Den Hirntumor vom Stromnetz nehmen: Life Sciences Bridge Award für Varun Venkataramani

Dr. Varun Venkataramani vom Universtitätsklinikum Heidelberg wird von der Aventis Foundation mit einem Life Sciences Bridge Award ausgezeichnet. Bildquelle: Uwe Dettmar/Copyright: Aventis Foundation

Eine neue therapeutische Perspektive beim Glioblastom hat Dr. Varun Venkataramani (35) vom Universitätsklinikum Heidelberg eröffnet. Er hat entdeckt, dass Gliomzellen sich über Synapsen mit Nervenzellen verbinden, um durch elektrische Impulse schneller zu wachsen.

Ein Medikament zur Unterbrechung dieses Stromflusses wird klinisch bereits geprüft. Um dem Neuroonkologen den Weg zu einer unbefristeten Professur zu ebnen, verlieh ihm die Aventis Foundation am 26.09.2025 einen Life Sciences Bridge Award.

Glioblastome, auch Gliome genannt, sind besonders bösartige Gehirntumore. Sie bilden sich aus Gliazellen, deren natürliche Aufgabe es ist, die Nervenzellen zu schützen, zu stützen und zu ernähren. Gliome wachsen sehr schnell und werden oft zu spät bemerkt. Sie verdoppeln ihr Volumen innerhalb eines Monats. Selbst bei einer nach heutigem Standard optimalen Therapie beträgt die mittlere Überlebenszeit von Gliom-Patienten maximal 18 Monate.

Mitbegründer des Forschungsfeldes „Cancer Neuroscience“

Vom Tumorherd ausgehend ziehen die Gliomzellen entlang der Nervenbahnen diffus durch das Gehirn. Dabei verbinden sie sich zu einem Netz, das das Netz der Nervenzellen durchschlingt. Schlimmer noch: Die Tumorzellen bilden Synapsen mit Nervenzellen aus. Über diese Synapsen greifen sie elektrische Impulse ab, die ihre Teilung fördern und ihre Ausbreitung beschleunigen.

Das hat Venkataramani vor zehn Jahren im Rahmen seiner medizinischen Doktorarbeit entdeckt. Diese überraschende Entdeckung hat er zusammen mit seinen Heidelberger Mentoren und Mitarbeitenden im Lauf des vergangenen Jahrzehnts validiert, erweitert und vertieft. Dabei entlarvte er auch den Trick der Tumorzellen, sich bei ihrer Ausbreitung wie unreife Nervenzellen während der Gehirnentwicklung zu verhalten. Venkataramani hat das Forschungsfeld der „Cancer Neuroscience“ mitbegründet und eine neue Perspektive für die Behandlung von Gliomen eröffnet: Den Tumor vom Stromnetz zu nehmen, um sein Wachstum zu stoppen.

„Repurposing“ von Perampanel für das Glioblastom wird vorangetrieben

Im synaptischen Spalt zwischen Nerven- und Gliomzellen werden Signale, die das Tumorwachstum triggern, vor allem durch den Botenstoff Glutamat übertragen. Er dockt an AMPA-Rezeptoren der Tumorzellen an, woraufhin Kalziumionen in die Zellen einströmen und einen elektrischen Strom auslösen.

Diese Rezeptoren sind, wenn sie überaktiviert werden, auch in die Entstehung epileptischer Anfälle eingebunden. Der selektive AMPA-Rezeptorblocker Perampanel ist seit 2012 für die Behandlung von Epilepsien zugelassen. Er könnte also auch die Übermittlung von Nervensignalen an Tumorzellen unterbrechen. Venkataramani und seine Kolleginnen und Kollegen treiben das „Repurposing“ dieses Medikamentes für die bisher nicht zugelassene Indikation Glioblastom deshalb zügig voran. Präklinisch haben sie dessen Wirksamkeit bereits festgestellt. Eine prospektive klinische Phase-II-Studie läuft aktuell.

„Perampanel ist erst der Anfang der Entwicklung effektiver Glioblastom-Therapien“, hofft Venkataramani, der seit 2022 eine 15-köpfige Forschungsgruppe am Universitätsklinikum Heidelberg führt. Technologie- und Therapieentwicklung gehen in dieser Gruppe Hand in Hand.

„Tumorkonnektom“ weiter entschlüsseln

Jüngst hat das Team den Machbarkeitsnachweis für ein gentherapeutisches Verfahren erbracht, das eines Tages für die Diagnostik und für die Therapie von Glioblastomen eingesetzt werden könnte. In diesem Verfahren – einem retrograden Virustracing – werden exklusiv alle mit dem Tumor verbundenen Nervenzellen markiert und für die Apoptose vorbereitet.

In der Grundlagenforschung sieht der junge Neuroonkologe seine vordringliche Aufgabe darin, das „Tumorkonnektom“ im Gehirn weiter zu entschlüsseln – eine große Herausforderung für einen Clinician Scientist. „Varun Venkataramani hat entscheidend dazu beigetragen, das Forschungsfeld der Cancer Neuroscience zu begründen, an dessen Weiterentwicklung er maßgeblich beteiligt ist“, sagt Prof. Werner Müller-Esterl, Vorsitzender der Jury des Life Sciences Bridge Award. „Wir möchten ihm mit diesem Preis über die Brücke zu einer unbefristeten Professur helfen.“

Der Life Sciences Bridge Award ist einer der höchstdotierten Nachwuchspreise Deutschlands. Er wird jährlich an drei Preisträger vergeben, die an deutschen Universitäten forschen.
Sie erhalten jeweils 100.000 Euro. Zehn Prozent davon dürfen sie für persönliche Zwecke nutzen, der Rest ist der Finanzierung ihrer Forschung vorbehalten.

Die Aventis Foundation ist eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie dient der Förderung von Kunst und Kultur sowie von Wissenschaft, Forschung und Lehre.