Der Ein-Stunden-Blutzuckerwert als neuer Marker zur Diabetes-Prävention

Der Ein-Stunden-Blutzuckerwert kann Hinweise auf die Stoffwechselgesundheit geben. Symbolbild: sorapop/stock.adobe.com

Ein erhöhter Ein-Stunden-Blutzuckerwert signalisiert einen kritischen Stoffwechselzustand – noch vor dem Prädiabetes. Der Wert könnte zu einem neuen klinisch relevanten Biomarker werden – und eine gezieltere, frühere Prävention des Typ-2-Diabetes ermöglichen.

Prädiabetes gilt als Vorstufe des Typ-2-Diabetes. Doch nur etwa 20 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes erfüllten zuvor die gängigen Kriterien. Umgekehrt entwickelt sich bei über 40 Prozent der Menschen mit einem Prädiabetes nie ein Diabetes. Wie lassen sich Risikopersonen besser identifizieren und gezielter versorgen?

Frühphase der Stoffwechselstörung unter der Lupe

Um Antworten auf diese Frage zu finden, haben Forschende der Eberhard-Karls-Universittät Tübingen, von Helmholtz Munich und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) nach präziseren Markern gesucht. Besonders relevant erschien ihnen die Ein-Stunden-Plasmaglukosekonzentration (1h-PG) beim oralen Glukosetoleranztest (OGTT).

Ein Wert von ≥ 155 mg/dl gilt hierbei laut International Diabetes Federation (IDF) als früher Indikator einer gestörten Glukoseregulation – oft bevor der Nüchtern- oder Zwei-Stunden-Werte auffällig werden. Diese Messung könnte Chancen bieten, um gefährdete Personen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln, so die Hoffnung.

Lebensstil-Intervention mit deutlichem Effekt

Um ihre Hypothese zu überprüfen, haben die Forschenden im Rahmen des Tübinger Lebensstil-Interventionsprogramms (TULIP) 317 Personen mit unterschiedlicher Glukosetoleranz neun Monate lang intensiv betreut. Ziel der Lebensstil-Intervention war ein Gewichtsverlust von mindestens fünf Prozent durch ausgewogene Ernährung und durch regelmäßige Bewegung.

Die Teilnehmenden wurden anhand von Stoffwechselparametern drei Gruppen zugeordnet:

normale Glukoseregulation
• isoliert erhöhter 1h-PG (Nüchternzucker und 2h-PG noch normal)
• klassische gestörte Glukoseregulation (Prädiabetes)

Bereits zu Beginn der Studie zeigte sich, dass Personen mit hohem 1h-PG-Wert metabolisch zwischen gesund und krank einzuordnen sind. Ihre Insulinsensitivität und ihre Betazellfunktion waren eingeschränkt und ihr Leber- und Bauchfett erhöht, allerdings noch reversibel.

Nach neun Monaten Intervention verbesserten sich die Insulinsensitivität und Betazellfunktion den Studienteilnehmenden deutlich. Sie erreichten nahezu das Niveau stoffwechselgesunder Menschen. Gleichzeitig normalisierte sich der Leberfettwert. In der Prädiabetes-Gruppe waren diese Verbesserungen deutlich geringer ausgeprägt.

Langfristiger Nutzen: 80 Prozent geringeres Risiko

Über einen Zeitraum von bis zu zwölf Jahren zeigte sich ein eindrucksvoller Effekt: Personen mit erhöhtem 1h-PG, die an der Intervention teilgenommen hatten, erkrankten zu 80 Prozent seltener an Typ-2-Diabetes als Menschen mit Prädiabetes. Fast die Hälfte erreichte sogar wieder normale Blutzuckerwerte – doppelt so viele wie in der Prädiabetes-Gruppe.

Durch die Gewichtsreduktion und durch weniger Leberfett verbesserten sich sowohl die Insulinsensitivität als auch die Fähigkeit der Betazellen, auf Glukose zu reagieren. Diese Normalisierung zentraler Stoffwechselprozesse könnte entscheidend sein, um den Übergang in einen stabilen, gesunden Glukosestoffwechsel zu ermöglichen.

Neue Präventionsstrategie mit Potenzial für die Praxis

Der Ein-Stunden-Wert erwies sich dabei als der sensitivste Marker zur Früherkennung von Glukosetoleranzstörungen. Er war deutlich aussagekräftiger als der HbA1c-Wert, die Nüchtern- oder die Zwei-Stunden-Glukose. „Der Wert markiert offenbar den optimalen Zeitpunkt, um den Stoffwechsel noch zu normalisieren“, kommentiert Prof. Andreas Birkenfeld. Er ist Letztautor der Studie, DZD-Sprecher und Direktor des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen von Helmholtz Munich an der Universität Tübingen sowie ärztlicher Direktor der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie am Universitätsklinikum Tübingen.

Laut Birkenfeld ermögliche es der Test perspektivisch, gefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren und effektiv zu behandeln, lange bevor ein Prädiabetes diagnostiziert werde. Damit könne sich der 1h-PG als neuer, klinisch relevanter Biomarker etablieren.