Der Stimme rechtzeitig eine Pause gönnen

Entwickelt von biomedizinischen Ingenieuren und Opernsängern, sitzt das kleine, weiche und flexible drahtlose Gerät am oberen Brustkorb, um die Stimmaktivität in Echtzeit zu überwachen. Nähert sich der Nutzer seiner Grenze, erzeugt ein zweites Gerät am Handgelenk einen Vibrationsalarm. Foto: Northwestern University

Stimmermüdung rechtzeitig erkennen – ein neues Gerät soll das ermöglichen. Stimmprofis wie Sängerinnen und Sänger oder Lehrende könnten von der neuartigen Technologie profitieren.

Forschende der Northwestern University, Chicago, USA, haben das erste, smarte Wearble entwickelt, das kontinuierlich überwacht, wie sehr Menschen ihre Stimme nutzen und das rechtzeitig warnt bevor Stimmermüdung und mögliche Verletzungen auftreten.

Das batteriebetriebene, kabellose Gerät und die dazugehörigen Algorithmen könnte entscheiden sein für alle, die ihre Stimme im Beruf viel beanspruchen, etwa Sänger, Lehrende, Politikerinnen aber auch Call-Center-Personal. Es könnte auch dabei helfen, Patientinnen und Patienten mit Stimmstörungen aus der Ferne kontinuierlich während ihrer Therapie zu überwachen.

Das weiche, flexible Gerät wird am oberen Brustkorb befestigt und misst Vibrationen beim Sprechen oder Singen. Die gesammelten Daten werden direkt via Bluetooth an Smartphone oder Tablet des Nutzers gesendet, der dann seine Stimmaktivität in Echtzeit überprüfen und den Gesamtverlauf der Stimmnutzung messen kann. Machine-learning-Algorithmen differenzieren zwischen Sprechen und Singen und versetzen beispielsweise Sänger in die Lage jede Aktivität nachzuverfolgen. Mit der App können Nutzer individuelle Grenzen festlegen. Wenn sie sich der Grenze nähern, warnen Smartphone, Tablet oder ein am Handgelenk getragenes Gerät. So können sie eine Pause einlegen.

„Das Gerät misst Amplitude und Frequenz für Sprechen und Singen präzise“, erklärt John A. Rogers, der die Entwicklung geleitet hat. „Diese beiden Parameter sind wichtig, um die allgemeine Belastung der Stimmbänder zu bestimmen. Sich dieser Parameter bewusst zu sein – sowohl zu einem bestimmten Zeitpunkt als auch über einen längeren Zeitraum – ist essenziell für gesunde Nutzung der Stimme.“

„Es ist für Menschen leicht zu vergessen, wie sehr sie ihre Stimme benutzen“, erklärt Theresa, Brancaccio, Stimmexpertin. „Erfahrene klassische Sänger sind sich ihrer Nutzung der Stimme tendenziell bewusster, weil sie das gelernt haben. Aber manche Menschen – insbesondere Sänger mit weniger Training oder etwa Lehrer, Politiker oder Sporttrainer, die für ihren Job laut sprechen müssen – merken häufig nicht, wie sehr sie ihren Stimmapparat belasten. Wir möchten ihnen ein besseres Bewusstsein dafür geben, um Verletzungen vorzubeugen.“

Stimmermüdung tritt auf, wenn zu stark beanspruchte Stimmbänder anschwellen, die Stimme klingt heißer und verliert an Durchhaltevermögen. Stimmermüdung wirkt sich etwa bei Sängern negativ aus, sie können nicht mehr klar singen oder die Töne so treffen, wie mit einer gesunden Stimme. Fehlendes Bewusstsein für eine drohende Stimmermüdung ist ein Problem.

Rogers und Brancaccio haben auch mit dem Sprachpathologen und Stimmexperten Aaron M. Johnson zusammengearbeitet, um zu untersuchen, ob das Gerät zur Evaluation und Überwachung der Therapie bei Patienten mit Stimmstörungen genutzt werden könnte. Johnson zufolge könnte das kleine Gerät dabei helfen die Stimme der Patienten außerhalb einer klinischen Umgebung zu überwachen.

„Ein Kernstück der Stimmtherapie ist es, Menschen dabei zu helfen, wie und wie stark sie die Nutzung ihrer Stimme verändern müssen“, erklärt Johnson. „Das Gerät wird Patienten und ihrer behandelnden Ärzte in die Lage versetzen zu Stimmnutzungsmuster zu verstehen und Anpassungen vorzunehmen, um Stimmermüdung zu reduzieren oder die Erholung zu beschleunigen. Stimmtechniken und Übungen aus der Therapie in den Alltag zu übertragen ist ein herausfordernder Aspekt der Stimmtherapie – das Gerät könnte dabei helfen, diesen Prozess zu verbessern.“

Rogers Team hat bestehende Geräte so modifiziert, dass sie die Belastung der Stimme präzise messen können. Dazu gehören Frequenz, Volumen, Amplitude, Dauer und Tageszeit. Das Gerät misst Vibrationen anstatt Audioaufnahmen zu machen. So kann das Gerät die Aktivität der Stimme direkt am Nutzer messen. Größte Herausforderung war die Entwicklung von Algorithmen, die in der Lage sind, Sprechen und Singen zu unterscheiden. Der eingesetzte Algorithmus kann das mit 95prozentiger Genauigkeit. Der Machine-Learning Algorithmus wurde mit Hilfe von Gesangstudenten trainiert, die unterschiedliche Übungen absolvierten, mit einem breiten Spektrum an Stimmumfängen, vom Bass bis zum Sopran.

Lange zu Sprechen sei eine der am meisten ermüdenden Aktivitäten für die Stimme angehender Sänger, so Brancaccio. Die Unterscheidung zwischen Singen und Sprechen können Menschen helfen, sich bewusst zu werden wie viel sie sprechen. Es gebe Belege dafür, dass kurze Pausen von 15 bis 20 Minuten absoluter Stille über den Tag verteilt dabei helfen, dass sich das Gewebe der Stimmbänder erholt und regeneriert. (ja)