“Der Traum ist wahr geworden”

“Wir sind dahin gekommen, wohin wir wollten”, freute sich Sabine Kliesch, die den Kongress “Andrology 2020” gemeinsam mit Stefan Schlatt leitete, bei der Verabschiedung der Teilnehmer. Foto: Kliesch

Vom 5. bis 9. Dezember 2020 fand der erste weltumspannende Andrologie-Kongress der deutschen, europäischen und internationalen andrologischen Fachgesellschaften statt – wegen der Corona-Krise in digitalem Format.

“Wir hatten alle einen Traum”, begannen die Organisatoren des Kongresses, Prof. Sabine Kliesch und Prof. Stefan Schlatt aus Münster, ihren Willkommensgruß. Gemeint war damit die Zusammenführung der International Society of Andrology (ISA), der European Academy of Andrology (EAA) und der Deutschen Gesellschaft für Andrologie (DGA) in einem gemeinsamen Kongress. Die Idee geht bereits auf das Jahr 2017 zurück. “Ende 2019 und Anfang 2020 wurden die Redner für Plenarsitzungen und Symposien kontaktiert und freuten sich nach, an der Konferenz teilzunehmen”, schreiben die Veranstalter – und dann kam die Corona-Pandemie.

Zwischenzeitlich sollte der Kongress im Hybridformat stattfinden, also mit übertragenen Live-Sitzungen wie der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) im September. Als sich auch dies im Krisenjahr als unpraktikabel erwies, stellten sich die Organisatoren der Herausforderung, alle Sitzungen neu zu ordnen, die digitale Infrastruktur aufzubauen und die Wissenschaftler und Kliniker zu motivieren, als Redner und Moderatoren auch online aktiv teilzunehmen. “Mehr als 10.000 E-Mails und Hunderte von Zoom-Konferenzen später sind wir hier bei Ihnen”, so Kliesch und Schlatt.

Am Ende konnten die beiden konstatieren: “Der Traum ging in Erfüllung.” Präsentiert wurden über 300 mündliche Vorträge beziehungsweise Poster in 33 Sitzungen, welche von über 700 Teilnehmern angesehen wurden. “Das ist, wo wir hin wollten”, sagte Kliesch und fügte die Hoffnung an, dass dieser Weltkongress einen stimulierenden Effekt auf die andrologische Community in der Welt und insgesamt haben möge.

Von Chromosomenanomalien bis zur Sexualmedizin

Inhaltlich umfasste der Kongress alle Teilgebiete der Andrologie, von der Grundlagenforschung bis zu klinischen Ergebnissen. Die Andrologie ist allgemein sehr interdisziplinär und naturwissenschaftlich aufgestellt, und daher gab es zahlreiche Vorträge und Poster, welche die Grundlagen von Fertilitätsstörungen beleuchteten, wie sie vielleicht in Zukunft einmal in Therapien münden könnten. Dieses Spektrum wurde auch in den sechs Plenarvorträgen abgedeckt: Sie begannen mit einem Vortrag von Rob McLachlan (Melbourne, Australien) über das australische Männergesundheitsprogramm, das als Blaupause für andere Länder genutzt werden könnte, beleuchteten Chromosomensegregation, Umlagerungen und Reparatur von DNA-Schäden in männlichen Keimzellen, betrachteten die Therapie männlicher Infertilität als “Fenster zur Männergesundheit”, beleuchteten die endokrine Regulation der männlichen Pubertät, erörterten, wie die Fertilitätsprotektion praktisch umgesetzt werden kann und warfen schließlich noch einen Blick auf die Männergesundheit in Asien.

Am letzten Tag spannte der Kongress den Bogen weit in den gesundheitspolitischen Bereich hinein, als es um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft für Männergesundheit und männliche Reproduktionsprobleme ging. Christopher De Jonge (Minneapolis, MN/USA) konstatierte eine globale Krise der männlichen Fertilität, die mithilfe der “Male Reproductive Health Initiative” (MRHI) angegangen werden soll. Auch sexualmedizinische Aspekte kamen zur Sprache. So beklagte Oleg Ivanovich Apolikhin (Moskau, Russland) einen zunehmenden, konsumorientierten “Egozentrismus” im Sexualleben. “Das Ziel ist das Ego. Es geht nicht mehr darum, sich als Paar miteinander auszutauschen (sharing each other), sondern Sex ist eine Art Sport (a kind of exercise).” Ganz zum Schluss ging es sogar noch einmal um den Feind des Kongresses, dem erfolgreich die Stirn geboten worden war: COVID-19. Andrea Sansone (Rom, Italien) und Kollegen hatten untersucht, wie sich die Online-Suchanfragen nach Pornographie, Dating-Apps und Sexarbeit während des Frühjahrs-Lockdowns in Italien geändert hatten. Während die Pornographie-Nachfrage in diesem Zeitraum zunahm, ließen die Anfragen nach “realen Erlebnissen” per Dating-App erwartungsgemäß nach – erreichten danach aber wieder das Vorniveau. “Sexuelle Aktivität ist ein Coping-Mechanismus”, kommentierte Sansone.

Die Kongressinhalte sind bis zum 9. Januar 2021 für registrierte Teilnehmer abrufbar. Der nächste Weltkongress der Andrologie soll 2025 als Präsenzkongress in Washington, DC/USA, stattfinden.

(ms)