Desinformation: Was bringen Faktenchecks?7. Februar 2022 Foto: ©Christian Horz – stock.adobe.com Was hilft, wenn Patientinnen und Patienten aufgrund von Falschinformationen Impfungen ablehnen, zu gefährlichen „Heilmitteln“ greifen oder auf Infektionsschutzmaßnahmen verzichten? Laut einer Studie im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ ist eine Widerlegung von Falschnachrichten zu COVID-19 nur von kurzer Wirkdauer. Ob Faktenchecks in der Lage sind, gezielte Fehlwahrnehmungen zu COVID-19 zu reduzieren, untersuchte ein internationales Forscherteam. Das Team befragte hierzu Menschen in drei Ländern (USA, Großbritannien und Kanada), die sich im Ausmaß an Polarisierung und im politischen Umgang mit COVID-19 stark unterscheiden. Während sich die Befragung in den USA und Großbritannien über mehrere Pandemiewellen erstreckte, erfolgte die Befragung in Kanada während nur einer Welle. Die Gruppe um Erstautor John M. Carey, Professor für Sozialwissenschaften am Dartmouth College in Hanover (USA), legte den teilnehmenden Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Pandemie Faktenchecks zu COVID-19-Falschbehauptungen oder Artikel ohne Zusammenhang zu den Falschbehauptungen vor. Danach bewerteten die Probandinnen und Probanden wahre und falsche Aussagen zu COVID-19. Zwar erkannten diejenigen Befragten, welche den Faktencheck vorgelegt bekommen hatten, die Falschbehauptungen direkt im Anschluss häufiger als falsch, dieser Effekt war jedoch schon einige Wochen später kaum noch zu beobachten. Die Autoren fanden auch keine Evidenz für Übertragungseffekte auf die Wahrnehmung anderer Falschwahrnehmungen zu COVID-19 – die Meinung der Befragten änderte sich nur zu den konkreten Themen, die in den Faktenchecks behandelt wurden. Ebenso sahen die Forscher keine Evidenz dafür, dass sich die Wirkung der Faktenchecks erhöhte, wenn diese wiederholt mit einigen Wochen Abstand vorgelegt wurden. Dr. Sabrina Heike Kessler vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Abteilung Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich (Schweiz) ist überrascht davon, dass auch die wiederholte Konfrontation mit einem Widerlegungstext in der aktuellen Studie nicht zu länger anhaltenden positiven Effekten führte. „In der Theorie wurde angenommen, dass durch das wiederholte Lesen einer Widerlegung diese von den Leserinnen und Lesern als vertrauter und richtiger wahrgenommen werden würde. Da hier derselbe Widerlegungstext zwei Mal genutzt wurde, wäre eine nächste Frage, ob ein zweiter Widerlegungstext dann erfolgreicher wäre, wenn dieser noch weitere Korrekturinformationen enthalten würde“, erklärt Kessler in einem Statement für das Science Media Center Deutschland. Die Wissenschaftlerin geht davon aus, dass ein weiterer Text mit mehr Argumenten oder erklärenden Details wahrscheinlich eine längere positive Wirkung haben könnte. Sie hält gute Faktenchecks daher für eine wertwolle Ressource im Kampf gegen die Verbreitung von Fehlinformationen. „Ein kontinuierliches Widerlegen von Fehlinformationen durch Faktenchecks ist insbesondere im Kontext von COVID-19 wichtig. Denn verbreitete Fehlinformationen sind hier nicht nur ein Gesundheitsrisiko für einzelne Personen, sondern mitunter für die gesamte Gesellschaft“, sagt Kessler. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Leipzig, gibt zu bedenken, dass es sich bei der Studie um eine Experimentalstudie handelt. Es sei davon auszugehen, dass die gezeigten kurzfristigen Effekte von Faktenchecks im Alltag der Nutzer kleiner sind als im Rahmen der Studie gezeigt. So weisen auch die Studienautoren darauf hin, dass die Studie keine Aussage dazu treffen kann, inwieweit sich die Faktenchecks auf das Verhalten der Nutzer auswirken. Zudem verweist Hoffmann auf den Publikations-Bias, wonach eher Studien veröffentlicht werden, die einen Effekt von Faktenchecks zeigen und die Wirksamkeit von Faktenchecks somit überschätzen. Hoffmanns Fazit auch im Hinblick auf ältere Studien zu dem Thema: „Faktenchecks sind nicht wirkungslos, aber auch keine Wunderwaffe im Kampf gegen Misinformation.“ Was ergibt sich daraus für den behandelnden Arzt oder die Ärztin? Stehter Tropfen hölt den Stein. Selbst wenn die Information in einem aufklärenden Gespräch die Patientin oder den Patienten nicht direkt zu überzeugen vermag, könnte doch ein Prozess zum Umdenken angestoßen werden. Vielleicht liefern Medizinerinnen und Mediziner im direkten Gespräch neue Aspekte, die bislang nicht berücksichtigt wurden. Wichtig beim Widerlegen von Fehlwahrnehmungen ist aus Sicht von Kessler, die entstehende Lücke durch eine „einprägsame alternative Erklärung“ zu schließen. „Idealerweise ist die Erklärung wissenschaftlich gesicherter und plausibler als die Falschnachricht und wird kurz und leicht verständlich kommuniziert.“ Noch effektiver als die Bekämpfung der Fehlwahrnehmung im Nachhinein sei jedoch die vorherige „Impfung gegen Fehlinformationen“, so Kessler. „Bei dieser ‚Impfung‘ geht es darum, Menschen die Risiken von verbreiteten Fehlinformationen vor Augen zu führen und gleichzeitig eine präventive Widerlegung vorzunehmen. Dies verbessert dann auch ganz allgemein deren Kompetenz, Fehlinformationen zu erkennen.“ (ah)
Mehr erfahren zu: "Neustart für das Programm für Nationale Versorgungsleitlinien" Neustart für das Programm für Nationale Versorgungsleitlinien Nach der Auflösung des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin, das bis 2024 das Programm koordinierte und redaktionell betreute, war nach einer Möglichkeit gesucht worden, die Arbeit an den […]
Mehr erfahren zu: "Arbeitszeitgesetz: Marburger Bund sieht drohende Aufweichung" Arbeitszeitgesetz: Marburger Bund sieht drohende Aufweichung Der Marburger Bund (MB) lehnt die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform des Arbeitszeitgesetzes entschieden ab. In einem Positionspapier weist er auf bestehende Möglichkeiten hin, schon jetzt flexible Modelle „in ausreichendem Maße“ […]
Mehr erfahren zu: "Semaglutid: Kardiovaskulärer Nutzen unabhängig von Gewichtsverlust" Weiterlesen nach Anmeldung Semaglutid: Kardiovaskulärer Nutzen unabhängig von Gewichtsverlust Bei übergewichtigen Patienten ohne Diabetes kann der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid das Risiko für Herz-Kreislaufprobleme reduzieren. Ob und wieviel Gewicht sie verlieren, scheint dabei keine Rolle zu spielen, wie neueste Datenanalysen nun […]