Deutsche Schmerzgesellschaft drängt auf Einführung der Leistungsgruppe Schmerzmedizin

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Aktuellen Berichten zufolge plant die neue Bundesregierung, in den nächsten drei Jahren im Rahmen der Krankenhausreform keine neuen Leistungsgruppen einzuführen. Die Deutsche Schmerzgesellschaft sieht darin ein Todesurteil für etablierte Strukturen interdisziplinärer multimodaler Schmerztherapie in deutschen Krankenhäusern“.

„Millionen Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten in Deutschland vertrauen darauf, dass die neue Bundesregierung auch in Zukunft in fachlich spezialisierten Krankenhäusern eine stationäre Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST) auf hohem Niveau gewährleistet. Dazu ist es dringend nötig, bei der Umsetzung der Krankenhausreform, eine eigene und neue Leistungsgruppe Schmerztherapie zu ergänzen und einzuführen“, erklärt Prof. Frank Petzke, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. „Anderenfalls drohen massive Versorgungslücken und notwendige über Jahrzehnte gewachsene Strukturen würden zerschlagen“, so Petzke in einem eindringlichen Appel an die Chef-Verhandlungsgruppe des zukünftigen neuen Bundskoalitionsvertrags von CDU und SPD.

Existenzielle Bedrohung der stationären IMST

Einem aktuellen Bericht des „Deutschen Ärzteblatts“ zufolge haben sich Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen der Arbeitsgruppe Gesundheit darauf geeinigt, dass bei der Klinikreform in den kommenden drei Jahren keine zusätzlichen Leistungsgruppen eingeführt werden sollen. „De-facto wäre das ein Todesurteil für etablierte Strukturen interdisziplinärer multimodaler Schmerztherapie in deutschen Krankenhäusern“, warnt der Präsident der Fachgesellschaft. Er insistiert: „Halten Sie die Tür offen für neue Leistungsgruppen, statt die stationäre IMST in Deutschland de-facto zu demontieren.“

Konkret fordert Petzke: „Statt die Anzahl der medizinisch-fachlich vorgesehenen Leistungsgruppen der Krankenhäuser zukünftig auf 61 Gebiete zu begrenzen und Schmerz dabei auszuschließen, ist es dringend nötig, bei der Umsetzung der Krankenhausreform diese um den wichtigen Bereich der Schmerzmedizin zu ergänzen. Diesen Weg sollte die neue Bundeskoalition öffnen, statt (gemäß o.g. Vorberichte) definitiv für viele Jahre zu verschließen.“ Die Details könnten dann in den weiteren Beratungen der Bundesländer, der Bundesregierung und den weiteren Akteuren des Leistungsgruppenausschusses auf Bundesebene geregelt werden, hebt der Schmerzexperte hervor.

Eindringlich appelliert er: „Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sollte den zeitnahen Weg für weitere Leistungsgruppen und Korrekturen bzw. Nachbesserungen offenhalten.“ Dies sei auch für weitere Bereiche, etwa für die Geriatrie oder den Bereich der Geburts-/Entbindungskliniken von Bedeutung. Für den sogenannten Querschnittsbereich der Schmerztherapie mit dem eigenständigen fachlichen Schwerpunkt der stationären IMST sei dies jedoch „existenziell“, so Petzke. „Eine verspätete Korrektur droht unwiderrufliche Fakten zu schaffen und eine komplexe Versorgungsstruktur schlicht aufzulösen.“

Konsequenzen der Eingruppierung

Der Problemdruck hat sich aus Sicht der Schmerzmedizin in den letzten Wochen verschärft – erst kürzlich wurde der Leistungsgruppen-Grouper des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) veröffentlicht, der die Befürchtungen in Bezug auf die Abbildung der Schmerzmedizin bestätigt. Ein „Wegsterben“ entsprechend spezialisierter Versorgungsangebote in den Klinken wäre laut Deutscher Schmerzgesellschaft vorprogrammiert.

Die Fachgesellschaft beschreibt folgende Szenarien, die sich aus ihrer Sicht aus der Eingruppierung ergeben:

  • Fälle mit einer schmerztherapeutischen Behandlung mit interdisziplinär-multimodalem Behandlungskonzept (OPS-Kodes aus den Klassen 8-918/8-91b/8-91c) werden vom Leistungsgruppen-Grouper des InEK erratisch und aufgespalten zugeordnet.
  • Überwiegend erfolgt in der Logik des Leistungsgruppen-Groupers die Leistungsgruppenzuordnung nach dem Fachabteilungsschlüssel der Fachabteilung mit dem längsten Aufenthalt (nach § 301 SGB V).
  • In der Schmerzmedizin ist dieser Fachabteilungsschlüssel abhängig von der historischen Entwicklung am jeweiligen Standort. Die Zuordnung der interdisziplinären Therapie kann daher zu völlig unterschiedlichen Leistungsgruppen erfolgen (z.B. Allgemeine Innere Medizin, Allgemeine Chirurgie, Allgemeine Neurologie, Neurochirurgie).
  • Nutzt die schmerztherapeutische Einrichtung bereits einen spezifischen Fachabteilungsschlüssel der Schmerzmedizin (3753 oder 3759) erfolgt die Zuordnung in die Leistungsgruppe Allgemeine Innere Medizin. Das gleiche gilt, wenn ein „intensivmedizinischer“ Fachabteilungsschlüssel (36**) genutzt wird.
  • Eine weitere – etwas skurrile – Ausnahme ist zu beachten: Wird ein Fachabteilungsschlüssel der Schmerzmedizin oder der „Intensivmedizin“ genutzt und bei einem OPS-Kode aus der Klasse 8-918 eine Schmerzdiagnose aus dem Muskel-Skelettsystem als Hauptdiagnose verschlüsselt (z.B. Rückenschmerzen), werden diese Fälle (im DRG-System in den DRGs I42A/B gruppiert) immer der Leistungsgruppe Allgemeine Chirurgie zugewiesen. Liegt für diese DRGs ein anderer Fachabteilungsschlüssel vor (z.B. Innere Medizin, Neurologie, Neurochirurgie), erfolgt die Umleitung in die Leistungsgruppe Allgemeine Chirurgie nicht.

Konsequenzen für die pädiatrische Schmerzmedizin

Für Kinder- und Jugendliche ergibt sich laut Deutscher Schmerzgesellschaft ebenfalls eine inhaltlich kaum nachvollziehbare Leistungsgruppenzuordnung:

  • Für die Fälle mit einem spezifischen Fachabteilungsschlüssel der Schmerzmedizin (3753 oder 3759) oder einem „intensivmedizinischen“ Fachabteilungsschlüssel (36**) erfolgt die Leistungsgruppenzuordnung abhängig von der durchgeführten Therapie. Resultieren bei einem OPS-Kode aus 8-918 enstprechend Hauptdiagnose die DRGs B47A/B oder U42A/B/C erfolgt die Zuordnung zur Leistungsgruppe Allgemeine Innere Medizin, resultieren allerdings die DRGs I42A/B (z.B. bei Rückenschmerz) erfolgt die Zuordnung zur Leistungsgruppe Allgemeine Chirurgie.
  • Für die Fälle, die keinen OPS-Kode aus 8-918 erhalten haben (dafür aber z.B. die OPS-Kodes 8-91b/8-91c) werden Kinder im Alter unter 16 Jahren der eistungsgruppe Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin zugeordnet.
  • Bei einem Fachabteilungsschlüssel der Kinder- und Jugendmedizin erfolgt die Zuordnung immer zur Leistungsgruppe Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin.
  • Bei einem Fachabteilungsschlüssel der Neurologie werden die Kinder im Alter unter 16 Jahren der Leistungsgruppe Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin zugeordnet, Jugendliche im Alter über 16 Jahre kommen in die Leistungsgruppe Allgemeine Neurologie.
  • Bei anderen Fachabteilungsschlüsseln (z.B. Innere Medizin, Chirurgie/Orthopädie, Neurochirurgie) spielt das Alter für die Leistungsgruppenzuordnung keine Rolle.

Aktuelle Probleme unterstreichen den Bedarf einer neuen Leistungsgruppe

Der Fachgesellschaft zufolge ergibt sich die Notwendigkeit der zeitnahen Einführung einer eigenen und neuen Leistungsgruppe Schmerztherapie somit aus den folgenden Aspekten der aktuellen Lage:

  1. Fälle der medizinisch klar definierten und in speziellen Einrichtungen konzentrierten Schmerztherapie können über viele unterschiedliche und fachfremde Leistungsgruppen streuen.
  2. Die Mindestvoraussetzungen keiner dieser resultierenden Leistungsgruppen beschreiben nur ansatzweise die qualitativen personellen und strukturellen Voraussetzungen für die IMST.
  3. Einrichtungen, die auf die Behandlung chronisch kranker Schmerzpatienten spezialisiert sind, können unmöglich die Mindestvoraussetzungen aller möglichen resultierenden fachfremden Leistungsgruppen erfüllen. Diese Voraussetzungen sind fachfremd, medizinisch nicht notwendig und stellen kein qualitatives Defizit dar.
  4. Nicht an allen Standorten mit spezialisierten schmerztherapeutischen Einrichtungen finden sich zusätzliche Fachabteilungen, die für die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen z.B. der Leistungsgruppen Allgemeine Innere Medizin, Allgemeine Chirurgie und Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin „einspringen“ können. Hier würden zusätzliche Kosten und Aufwand entstehen, um Schmerztherapie überhaupt anbieten zu können.

Unzureichende Ausnahmeregelungen für Fachkrankenhäuser in der Schmerztherapie

Bezüglich der Ausnahmemöglichkeiten für Fachkrankenhäuser nach § 135d Abs. 4 SGB V, die auch für entsprechende Einrichtungen der Schmerztherapie relevant sind, bestehen ebenfalls weitergehende Probleme, wie die Deutsche Schmerzgesellschaft erläutert. Die Einschränkung, dass eine Zuordnung zum Level F in den Leistungsgruppen 1 und 14 nicht möglich sein soll, findet sich nur in der Gesetzesbegründung, aber nicht im Gesetzestext. Bislang ist gesetzlich auch keine Ausweisung von Fachkrankenhäusern nach Leistungsgruppen vorgesehen. Dem Gesetzestext ist für Level F – im Gegensatz zu den Leveln I bis III – noch nicht einmal sicher eine Ausweisung einzelner Krankenhausstandorte (vgl. § 135d Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V) zu entnehmen, auch wenn dies möglicherweise intendiert war.

Ein weiteres Problem der (Fach-)Schmerzkliniken liegt in den Mindestvoraussetzungen aufgrund der Zuordnung der Fälle in primär unpassende „verwandte Leistungsgruppen“ (z.B. Leistungsgruppe Intensivmedizin), die in der Regel gar nicht erfüllt werden können. Die bisher vorgesehenen Ausnahmeregelungen für Fachkrankenhäuser in Bezug auf die „verwandten Leistungsgruppen“ helfen in diesem Kontext grundsätzlich nicht weiter.

Das Fazit der Deutschen Schmerzgesellschaft: „Die Schaffung einer eigenen Leistungsgruppe Schmerzmedizin kann nicht auf eine spätere Weiterentwicklung des Leistungsgruppensystems verschoben werden. Aufgrund des Abrechnungsverbotes nach § 8 Abs. 4 KHEntgG, der Systematik der Vorhaltefinanzierung und der geplanten Mindestvorhaltezahlen würden viele – dringend benötigte – schmerztherapeutische Einrichtung diesen Zeitpunkt nicht mehr erleben.“

Deutliche Kritik auch vom BVSD

Auch Prof. Joachim Nadstawek, Vorsitzender des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD), äußert deutliche Kritik an den Plänen der neuen Bundesregierung. Weil bei der geplanten Klinikreform keine eigene Leistungsgruppe Schmerzmedizin vorgesehen ist, sei die Schmerzmedizin kein Bestandteil einer zukünftigen stationären Versorgung mehr, so Nadstawek. Die Finanzierung der Schmerzmedizin sei nicht mehr gesichert. „Wenn in den nächsten drei Jahren per Gesetz neue Leistungsgruppen ausgeschlossen werden, drohen Schließungen von aktuell noch 450 bestehenden schmerzmedizinischen Krankenhausabteilungen. Die Versorgung von vier Millionen Patienten mit schweren chronischen Schmerzen ist damit akut gefährdet“, sagt Nadstawek.

Schon bei der umstrittenen Abstimmung der Klinikreform im Bundesrat im November 2024 kritisierte Judith Gerlach, bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention: „Die teils überzogenen Strukturvorgaben für die Zuerkennung der künftigen Leistungsgruppen werden dazu führen, dass Behandlungsangebote wegfallen. Diese Gefahr droht zum Beispiel bei etablierten Fachkliniken im Bereich der Schmerztherapie oder chronischer Krankheiten. Dazu darf es aber nicht kommen. Wir brauchen daher auf Landesebene unbedingt eine Korrekturmöglichkeit für die Leistungsgruppenvoraussetzungen, um im Einzelfall reagieren zu können, auch sehr individuell, regional.“

Der BVSD unterstützt die Forderung von Judith Gerlach. „Patienten mit schweren und hoch-problematischen chronischen Schmerzen benötigen in der Regel eine effektive Komplexbehandlung, die derzeit in rund 450 Krankenhäusern durchgeführt wird. Die Möglichkeit der Einführung einer eigenen Leistungsgruppe Schmerzmedizin durch die Bundesländer darf nicht verbaut werden“, fordert Nadstawek.