Deutscher Krebspreis 2023: Weniger Chemotherapien durch präzisere Risikoeinschätzung7. Juni 2023 Bildquelle: ©Westdeutsche Studiengruppe Prof. Nadia Harbeck (München) und Prof. Ulrike Nitz (Mönchengladbach) wurde am vergangenen Freitag, dem 02.06.2023, der Deutsche Krebspreis in der Kategorie Klinische Krebsforschung verliehen. Ihre Forschung „hat die Therapierealität für Frauen mit frühem Brustkrebs weltweit verändert“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Ausgezeichnet wurden die beiden Medizinerinnen für die zwei bahnbrechenden Studien PlanB und ADAPT. Sie leiteten diese Studien im Rahmen der Westdeutschen Studiengruppe (WSG). Weniger Chemotherapien ohne Verschlechterung der Heilungschancen Eine von acht Frauen erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs (1). Etwa 70 % der Betroffenen werden an einem hormonsensiblen Brustkrebs leiden. Bei diesen Frauen ist eine Antihormontherapie gesetzt und es stellt sich immer die Frage, ob eine zusätzliche Chemotherapie vonnöten ist. Dank der Arbeit der beiden deutschen Wissenschaftlerinnen sind Frauen mit hormonsensiblem Brustkrebs sowie ihre Ärzte jetzt in der Lage, die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie mit deutlich mehr Sicherheit und Präzision zu treffen als bislang möglich. Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) weist in der Begründung der Preisvergabe darauf hin, dass die Studien vielen Patientinnen eine Entscheidung für eine chemotherapiefreie Therapie mit geringer Belastung ermöglichen wird, ohne dass die Heilungschancen reduziert würden. Multigen-Analyse und präoperative Abschätzung des Erfolges der Antihormonbehandlung als Schlüssel Eine Besonderheit der Studien ist, dass die Wissenschaftlerinnen den genetischen Fingerabdruck des Tumors einbezogen haben (PlanB). Mit Hilfe eines Multigentests wird das Recurrence Score®-Ergebnis ermittelt. Dieser Wert macht eine Vorhersage darüber möglich, ob eine Chemotherapie erforderlich ist. In der Nachfolgestudie ADAPT wurde zusätzlich vor der Operation getestet, wieviel Erfolg von der Antihormontherapie zu erwarten ist. „Durch dieses Verfahren konnte die Zahl der Chemotherapien unter den Studienteilnehmerinnen insbesondere in der Gruppe der jüngeren Frauen (≤50 Jahre) deutlich reduziert werden“, so Nitz. 46.000 Frauen mit hormonsensiblem Brustkrebs, aber nur 4859 durchgeführte Multigentests – Behandlungsrealität und Zukunft Bei etwa 46.000 Frauen in Deutschland wird pro Jahr ein hormonsensibler (HER2-) Brustkrebs mit bis zu drei befallenen Lymphknoten diagnostiziert (2) . Für diese Frauen kann individuell geklärt werden, ob sie wirklich von einer Chemotherapie profitieren. Zusammen mit den amerikanischen Studien, die den identischen Multigentest verwendet haben und den Arbeiten der WSG liegen nun Daten von fast 30.000 Studienpatientinnen vor. Zusammenfassend und gleichlautend zeigen sie: Multigentests und eine Antihormontherapie vor der operativen Entfernung des Tumors können vielen Frauen die Chemotherapie ersparen (3,4,5 ). Eine weitere im klinischen Alltag wichtige Botschaft ist, dass bei Einsatz von Multigentests nicht nur weniger, sondern auch anderen Frauen eine Chemotherapie empfohlen wird als mithilfe der bislang konventionellen Diagnosekriterien. So kann mithilfe des Tests auch potenziell lebensgefährliche Untertherapie vermieden werden. Das heißt, es verbessert sich die Behandlung einer Gruppe von Frauen, deren Risiko ohne den Multigentest unterschätzt wird, die aber von einer Chemotherapie profitieren. Zusammenfassend ist eine Chemotherapie bei etwa 20% der Frauen ohne Lymphknotenbefall und etwa 30% der Frauen (jünger als 50 Jahre) mit 1-3 befallenen Lymphknoten gerechtfertigt und für die Heilung notwendig. (3,4,5) Für die anderen Patientinnen ist eine chemotherapiefreie Behandlung bei exzellentem Therapieerfolg möglich (unter der Voraussetzung, dass eine kurze präoperative Antihormontherapie insbesondere bei den jungen Frauen erfolgreich war). Im Jahr 2021 wurden lediglich 4859 Multigentests über die Krankenkassen abgerechnet (6) . Nach Umfragen von Brustkrebs Deutschland e.V. werden Multigentests nur etwa einem Viertel der in Frage kommenden Frauen überhaupt angeboten (7) . Die wissenschaftlichen Ergebnisse der WSG-Studien haben inzwischen Eingang in die deutschen und die europäischen Behandlungsempfehlungen gefunden. „Wir hoffen, dass die Auszeichnung mit dem Deutschen Krebspreis der klinischen Umsetzung unserer Forschungsergebnisse einen weiteren deutlichen Schub geben wird“, sagte Nitz. Die Studienlage Speziell für den hormonsensiblen Brustkrebs wurde die 21-Gen-Signatur (Oncotype DX Breast Recurrence Score®-Test) entwickelt, die eine präzise Einschätzung zum Risiko und zum Ansprechen des Tumors auf eine Chemotherapie versprach. Die 21-Gen-Signatur sollte zunächst in klinischen Studien daraufhin getestet werden, inwieweit sie helfen könnte, den Einsatz von Chemotherapie gezielt zu steuern. Hierzu starteten in den 2010er Jahren in den USA zwei große Studien mit insgesamt mehr als 15.000 Frauen. In die Studien einbezogen wurden Brustkrebspatientinnen mit 0-3 befallenen Lymphknoten. In Deutschland startete die Westdeutsche Studiengruppe (WSG) unter Leitung der beiden Preisträgerinnen mit der PlanB-Studie, die den genetischen Fingerabdruck analog verwendete. Die Nachfolgestudie ADAPT integrierte darüber hinaus die Information aus dem Ergebnis einer kurzen präoperativen Antihormonbehandlung (endokrine Sensitivität) in die Entscheidung über das weitere Behandlungskonzept. Insgesamt nahmen ca. 30.000 Frauen an den Studien teil. Übereinstimmend zeigen die deutschen und amerikanischen Studienergebnisse: • Bei Frauen nach den Wechseljahren, wenn sie zu den ca. 80-85 % mit niedrigem bis mittleren Risikoprofil (erhoben anhand des genetischen Fingerabdrucks) gehörten, ist keine Chemotherapie notwendig. • Bei jungen Frauen mit niedrigem Risikoprofil ist dies ebenso der Fall. • Bei mittlerem Risiko-Profil im genetischen Fingerabdruck scheint die zusätzliche Information aus der präoperativen Antihormontherapie entscheidend. Frauen, deren Tumor sehr hormonsensibel ist, haben ohne Chemotherapie in der ADAPT-Studie exzellente Überlebenschancen nach 5 Jahren. Von den jährlich ca. 70.000 neuen Brustkrebsfällen in Deutschland leiden 60-70% der Betroffenen an einer hormonsensiblen Brustkrebserkrankung Der Deutsche Krebspreis und die Brustkrebsforschung Der Preis der DKG und der Deutschen Krebsstiftung zählt zu den höchsten Auszeichnungen in der Onkologie und wird jährlich in den Sparten „Klinische Forschung“, „Translationale Forschung“ und „Experimentelle Forschung“ vergeben. Bereits mehrfach wurden Meilensteine der Brustkrebsforschung ausgezeichnet: • 1998 erhielt Prof. Axel Ullrich den Deutschen Krebspreis für seine bahnbrechenden Erkenntnisse um einen Oberflächenbestandteil der Brustkrebszelle – den HER2-Rezeptor. Letzterer vermittelt die Wirkung der ersten Antikörpertherapie (Trastuzumab), die gegen Brustkrebs entwickelt wurde. Ca. 20% der heutigen Fälle sind HER2-positiv (besitzen also diesen Oberflächenbestandteil) – auch heute noch eine der klinisch relevanten Untergruppen. • 2020 wurde Prof. Rita Schmutzler für die bahnbrechenden Arbeiten der Kölner Arbeitsgruppe zum erblichen (familiären) Brustkrebs (ca. 5% der Fälle) und seiner Prävention mit dem Deutschen Krebspreis ausgezeichnet.
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