Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2024: Geschlechteraspekte in der Schmerzmedizin stärker berücksichtigen15. März 2024 Symbolbild: ©ugguggu/stock.adobe.com Frauen und Männer empfinden Schmerzen unterschiedlich und auch Schmerzmedikamente wirken geschlechtsabhängig. Prof. Bettina Pfleiderer forderte in ihrem Exzellenzvortrag zum Auftakt des Deutschen Schmerz- und Palliativtages, dieses Wissen in der Schmerzmedizin stärker zu berücksichtigen. Schon im 19. Jahrhundert wurde behauptet, dass Frauen empfindlichere Nerven hätten. Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen eine niedrigere Schmerzschwelle bei Frauen. Etwa 70 Prozent der Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, sind weiblich. „In Studien zur Untersuchung von Schmerzmitteln spiegelt sich dieses Geschlechterverhältnis jedoch noch nicht wider, was zu verzerrten Ergebnissen führt“, kritisiert Pfleiderer, Leiterin der Arbeitsgruppe Cognition & Gender an der Klinik für Radiologie der medizinischen Fakultät der Universität Münster. Geschlecht des Studienleiters beeinflusst das Ergebnis Ein weiterer Faktor, der die Studienergebnisse verzerren kann, ist das Geschlecht der Studienleiter. Das haben Studien mit Mäusen und Ratten gezeigt. Die Tiere wurden mit T-Shirts konfrontiert, die von Männern getragen wurden, was zu physiologischen Stressreaktionen und einer geringeren Schmerzwahrnehmung führte. Der Grund dafür war eine stressinduzierte Analgesie. Bei der Untersuchung geschlechtersensibler Aspekte in der Schmerzmedizin müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden, die die Schmerzverarbeitung beeinflussen. Dazu gehören Gene, Hormone, Alter, soziale Faktoren, vorherige Schmerzerfahrungen und auch das Gehirn. Frauen empfinden beispielsweise Druckschmerz stärker als Männer, unter anderem aufgrund ihrer dünneren Haut. Das weibliche Hormon Östrogen erhöht ebenfalls die Schmerzempfindlichkeit, während Testosteron Schmerzreize eher dämpft. Vielen Schmerzmedizinern ist nicht bewusst, dass die Strukturen des Gehirns, die in der Schmerzverarbeitung involviert sind, auch Östrogenrezeptoren aufweisen. Deshalb sind auch die Wirkungen und Nebenwirkungen von Schmerzmitteln geschlechtsabhängig. Bei Paracetamol gibt es zwar keinen geschlechtsabhängigen Effekt auf die schmerzlindernde Wirkung, aber die Ausscheidung unterscheidet sich deutlich und ist bei Frauen um etwa 30 Prozent reduziert. Das führt dazu, dass Überdosierungen oder langfristige Anwendungen bei Frauen schneller zu irreversiblen Leberschäden führen als bei Männern. Bei Opioiden hingegen machen sich geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl in der Wirkung als auch in den Nebenwirkungen bemerkbar. Für lipophile Opioide beispielsweise ist der höhere Fettanteil von Frauen klinisch relevant und das Bindungspotenzial bei Frauen deutlich höher, erläuterte Pfleiderer. Wissen zu Geschlechtsunterschieden in der Schmerzmedizin noch unzureichend Das Wissen über geschlechtsabhängige Unterschiede in der Schmerzmedizin ist jedoch noch nicht weit verbreitet. In einer Umfrage unter mehr als 2000 Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der medizinischen Fakultäten der Universitäten Münster und Duisburg-Essen konnten nur 30 Prozent der Befragten die Fragen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Schmerzmedizin richtig beantworten. Pfleiderer forderte eine verpflichtende stärkere Berücksichtigung des Geschlechts in Studien sowie die Angabe des Geschlechts der Versuchsleiter, um Ergebnisse zu standardisieren. Ein erster Schritt ist aus ihrer Sicht die stärkere Berücksichtigung des Geschlechtsaspekts im bio-psycho-sozialen Schmerzmodell. Aktuell wird der Geschlechtsaspekt nur in der Kategorie “sozial” genannt. Aber auch in den Kategorien „bio“ und „psycho“ sind geschlechtsspezifische Aspekte hoch relevant und sollten entsprechend aufgeführt und berücksichtigt werden.
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