Editorial: Grenzen neu definieren1. Dezember 2025 Mit dem Thema Intraokularlinsen beschäftigt sich Detlef Holland in seinem Dezember-Editorial (Foto li.: ©Holland/Augenzentrum one /Foto re.: ©Oktay-stock.adobe.com) Dr. Detlef Holland vom Augenzentrum One – Kiel informiert an dieser Stelle regelmäßig über interessante und praxisnahe Erkenntnisse aus der internationalen ophthalmologischen Fachliteratur. Im aktuellen Beitrag liegt der Schwerpunkt auf der Verwendung von Intraokularlinsen mit Zusatzfunktion bei zuvor kontraindizierten Patientengruppen. Das Jahr 2025 neigt sich dem Ende entgegen und wir blicken auf ein spannendes Jahr zurück. Auf der Seite von Kompakt Ophthalmologie wurde über viele interessante neue Studien berichtet und Sie als Leser konnten sich immer wieder schnell über die neuesten Trends in der Therapie und Diagnostik der Augenheilkunde informieren. Seit über sechs Jahren bestand nun dieses Format und wir sind stolz, auf eine große und treue Leserschaft setzen zu können. Genau wie die Medizin einer ständigen Evolution unterworfen ist, so wird sich auch in diesem – nun auf ool.de beheimateten Format – in 2026 einiges tun. Seien Sie gespannt. Wir freuen uns auf jeden Fall auf spannende Veränderungen im neuen Jahr. Wie gerade angedeutet ist die Medizin glücklicherweise auch einer ständigen Evolution unterworfen. Oftmals kommen die Veränderung über Entwicklungen aus der Grundlagenforschung, manchmal wie beim Avastin über eine mutige Adaption aus anderen Fachbereichen und manchmal sind es auch kleine Schritte, die sich aus der Erfahrung heraus ergeben, welche wir in unserem klinischen Alltag machen. So können zum Beispiel positive Ergebnisse mit Therapieverfahren dazu führen, dass wir langsam das Indikationsspektrum erweitern und so einer größeren Patientenzahl zugänglich machen können. Paradigmenwechsel: Einsatz von Intraokularlinsen mit Zusatzfunktion bei Patienten mit Makuladegeneration In einer umfassenden Übersichtsarbeit bewerteten die Kollegen die aktuelle Evidenz und Expertenmeinung zum Einsatz von Intraokularlinsen (IOL) mit erweiterter Tiefenschärfe (EDOF) bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer nicht exsudativer Makuladegeneration. Historisch gesehen galt nicht nur die Makuladegeneration als relative Kontraindikation für die Implantation von Intraokularlinsen mit Zusatzfunktion, insbesondere für Linsen zur Presbyopiekorrektur. Diese Bewertung beruhte primär auf Bedenken hinsichtlich einer Beeinträchtigung des Sehvermögens und einer möglichen Progression der Makuladegeneration und konsekutiver Sehstörungen. Wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse fehlten aber eigentlich zu diesen wichtigen Fragen. Weltweit wurden diese Linsen aber zunehmend in diesem Grenzbereich eingesetzt. Dies führt dazu, dass neuere Studien und klinische Erfahrungen diese Kontraindikation jedoch zunehmend infrage stellen. Es zeichnet sich nun ein Paradigmenwechsel hin zu einem differenzierteren, patientenspezifischen Ansatz ab. Um dieses Spannungsfeld genauer zu beleuchten, wurde von der Arbeitsgruppe neben einer intensiven Literaturrecherche eine Umfrage unter Mitgliedern des Komitees der Europäischen Gesellschaft für Katarakt- und Refraktionschirurgie durchgeführt. Die Literaturrecherche zeigte eine zunehmende Evidenz für den potenziellen Nutzen und die Vorteile von EDOF-IOLs bei ausgewählten Patienten mit Makuladegeneration: Es zeigte sich gleichzeitig aber, dass weiterhin Bedenken bezüglich des Einsatzes bestehen. In der Umfrage gaben immerhin 59 Prozent der Befragten an, die Implantation von EDOF-IOL in dieser Patientengruppe als „versuchswürdig“ einzustufen. Von diesen setzten jedoch nur 37 Prozent EDOF-IOL bei Makuladegeneration regelmäßig ein. Von den Befragten gab nur eine Minderheit an, den Einsatz nicht in Betracht zu ziehen. Weitere Forschung ist erforderlich, um optimale Patientenauswahlkriterien und Langzeitergebnisse für EDOF-IOL bei Augen mit Makulapathologie zu ermitteln. Optisches Design neuer IOL-Untergruppen treibt Paradigmenwechsel an Warum gab es lange Zeit Widerstände gegen den Einsatz von Linsen mit Zusatzfunktion bei Patienten mit AMD? Beziehungsweise warum erleben wir nun einen Paradigmenwechsel? Die Begründung liegt in dem optischen Design einiger neuer Untergruppen von IOL zur Korrektur der Presbyopie. Diese neueren IOL ermöglichen zum Beispiel im Vergleich zu diffraktiven Multifokallinsen ein kontinuierliches Sehfeld mit geringerer Lichtstreuung über mehrere Brennpunkte und werden auch als IOL mit erweitertem Sehfeld bezeichnet. Um eine evidenzbasiertere Einteilung von IOL zur Korrektur von Presbyopie zu definieren, hat die ESCRS kürzlich eine Klassifikation veröffentlicht, die auf Clusteranalysen der Defokuskurven dieser IOLs basiert. Eine Gruppe dieser IOL bilden die IOL mit erweitertem Sehfeld, die früher auch als EDOF-IOL bezeichnet wurden. Diese neue Bezeichnung erleichtert es auch den Patienten, besser zu verstehen, welchen Sehschärfenbereich diese Linsen abdecken. Insbesondere refraktive Linsen mit erweitertem Sehschärfenbereich sollten bei Frühstadien von AMD von Nutzen für die Patienten sein ohne Risiken einzugehen. Dies sollte jedoch eine sorgfältige Patientenauswahl voranstellen und mit einem realistisches Erwartungsmanagement verbunden sein. Wichtig wird es für die zukünftige Einschätzung sein, Langzeitstudien aufzulegen, die den Nutzen und die Sicherheit des Einsatzes von diesem Linsentyp bei Patienten mit Frühstadien der AMD belegen. Die meisten vorliegenden Studien zu diesem Thema haben nur ein relativ kurzes Follow-up. Die zitierte Arbeit fasst erstmalig die vorliegende Literatur zu diesem Thema zusammen und stellt damit einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu evidenzbasierten Guidelines zum Einsatz von Linsen mit erweitertem Sehschärfenbereich bei AMD dar. Fuchs-Endotheldystrophie im Frühstadium stellt keine Kontraindikation für die Verwendung einer EDOF-IOL dar Nicht nur Erkrankungen der Makula stellten lange Zeit eine Kontraindikation für die Implantation von Linsen mit Zusatzfunktion dar. Auch andere Pathologien im Bereich der Hornhaut werden auch heute noch weitläufig als problematisch für den Einsatz von presbyopiekorrigierenden Linsen eingestuft. Unsere eigene Erfahrung im klinischen Alltag zeigt aber andere Resultate. Die Fuchs-Endotheldystrophie zum Beispiel (FECD) gilt als eine relative Kontraindikation für die Implantation von Linsen mit Zusatzfunktion, allerdings ohne ausreichende Evidenz. Auf der diesjährigen ESCRS berichteten wir über unsere Erfahrungen mit der Implantation von Kunstlinsen mit erweitertem Sehschärfenbereich bei FECD in Kombination mit der Femtolaser-assistierten Katarakt-Chirurgie (FLACS). Wir analysierten retrospektiv die prä- und postoperativen Befunde von 30 Patienten mit Implantation einer hydrophoben EDOF-IOL. Die Nachbeobachtungszeit betrug bis zu 70 Monate. Alle Patienten zeigten typische Befunde einer frühen FECD und bei keinem traten postoperativ Anzeichen einer Hornhautdekompensation auf. Die Patienten zeigten gute Ergebnisse hinsichtlich der Verbesserung des unkorrigierten Fern- und Intermediärvisus und die Brillenunabhängigkeit im Alltag verbesserte sich signifikant. Wir schließen daraus, dass eine Fuchs-Endotheldystrophie im Frühstadium keine Kontraindikation für die Verwendung einer EDOF-IOL darstellt. Insbesondere in Kombination mit der FLACS, die mit niedriger effektiver Phakozeit den Endothelzellverlust im Vergleich zur Standardoperation minimiert. Die Verwendung einer hydrophoben IOL wird bei FECD aufgrund des möglichen Risikos einer späteren Endotheltransplantation mit intrakameraler Gasinjektion empfohlen, da dieses Material im Gegensatz zu hydrophilem das Risikos einer gasinduzierten Trübung der Kunstlinse reduziert. Neue Studie bestätigt: IOL ermöglichen gute Sehqualität auch bei FECD Zu ähnlichen Ergebnissen kamen in der neueren Vergangenheit auch andere Autoren. So veröffentlichten Blau-Most et al. Ergebnisse einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie. Dazu wurden 19 Augen von zehn Patienten mit FECD Grad 2 bis 5 und 57 gesunde Augen von 57 Patienten eingeschlossen. In Ihrer Studie wurden sowohl IOL mit erweitertem Sehschärfenbereich als auch Linsen mit vollständigem Sehschärfenbereich (MIOL) analysiert. Hauptzielparameter waren Sehschärfe und Refraktion sechs Wochen nach der Operation. Sekundäre Endpunkte waren die subjektive Wahrnehmung der Sehschärfe, der Brillenunabhängigkeit, photopischer Phänomene und die Zufriedenheitswerte der Patienten. Patienten mit FECD in der EDOF-Subgruppe wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe einen geringeren unkorrigierten Fernvisus aber einen besseren unkorrigierten Nahvisus auf. Ein Ergebnis, dass sich nicht schlüssig erklären lässt. Über erhöhte photopische Phänomene berichteten die EDOF-Patienten mit FECD aber nicht. In der multifokalen IOL-Subgruppe zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der FECD- und der Kontrollgruppe hinsichtlich der Sehschärfe in allen Bereichen und der Brillenunabhängigkeit. FECD-Patienten berichteten aber über vermehrte photopische Phänomene als die Kontrollgruppe, was jedoch die Aktivitäten des täglichen Lebens nicht beeinträchtigte. Es gab in beiden Gruppen keine Unterschiede in der von den Patienten berichteten Sehwahrnehmung und der allgemeinen Zufriedenheit. Die Autoren folgerten ebenfalls, dass der Einsatz von IOL zur Korrektur der Alterssichtigkeit bei Patienten mit früher FECD erwogen und eine vergleichbare Patientenzufriedenheit erzielt werden kann. Ein wichtiger limitierender Faktor dieser Studie ist jedoch das kurze Kontrollintervall. Nun muss – wie auch bei der AMD – die klinische Forschung mit prospektiven Langzeitstudien folgen, um exakte Guidelines für unseren Alltag zu definieren. Es zeigt sich aber, dass sich die Grenzen im Bereich der IOL immer weiter verschieben. Die voranschreitende Entwicklung insbesondere in Hinblick auf moderne Optiken bringt einen immer größer werdender Einsatzbereich mit sich, ohne die Sicherheit der Patienten zu gefährden. Diese muss natürlich immer höchste Priorität haben. Genau wie im Winter beim Schlittschuhlaufen sollten wir uns nie mit unseren Patienten auf zu dünnes Eis begeben. Durch die weitere Forschung werden wir sehen, wie das Betreten neuer Wege uns und unsere Patienten nicht in Gefahr bringt. Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Weihnachtszeit und ein gesundes Neues Jahr. Vielleicht auch mit den richtigen Temperaturen zum Schlittschuhlaufen. Dr. Detlef Holland Augenzentrum.ONE Kiel
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