DGFG-Bilanz 2020: Mehr Menschen spenden Gewebe auch unter Corona

Augenhornhaut ist das am meisten gespendete Gewebe in 2020. Foto: © DGFG

Für das Jahr 2020 verzeichnet die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) eigenen Angaben zufolge mit 2816 Gewebespenden (2019: 2764) und 6364 vermittelten Gewebetransplantaten (2019: 5585) erneut einen Anstieg. Zu Hornhauttransplantaten konnten 5401 Augenhornhäute aufbereitet werden.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, so die DGFG, sei dies „eine nahezu überraschende Entwicklung“, denn noch im Frühjahr 2020 habe der erste Lockdown in Deutschland die Spende und Transplantation von Gewebe vorübergehend ausgebremst.

„Corona stellt uns alle vor bisher unbekannte Herausforderungen. Die Konfrontation mit dem Tod schien selten so nah und alltäglich wie in diesen Zeiten. Daher empfinde ich absolute Demut, dass so viele Menschen beziehungsweise ihre Angehörige die Gewebespende trotz globaler Ausnahmesituation wahrnehmen und in 2020 einer Spende zugestimmt haben“, betont Martin Börgel, Geschäftsführer der DGFG.

„Dass das hohe Niveau der Gewebespende gehalten werden konnte, war mit Einsetzen des ersten Lockdowns im Frühjahr nicht zu erwarten“, unterstreicht die DGFG. Ende März seien die Spende und Vermittlung von Gewebe um fast 25 Prozent zurückgegangen. Abgesagte Operationen, fehlende Kapazitäten in den Kliniken sowie der vorsorgliche Ausschluss von COVID-19-positiven Verstorbenen schränkten nach wie vor das Spende- und Transplantationsgeschehen ein. Aufgrund eines „elastischen Netzwerkes“ aus Entnahmekrankenhäusern, Gewebebanken und transplantierenden Einrichtungen und deren gemeinsamer Anstrengung, hätten Patientinnen und Patienten auch in Notfällen mit Gewebe versorgt werden können.

Gewebe nach dem Tod spenden: Zu selten Thema in Familien
Die im Zuge der Pandemie zu beobachtende Sensibilisierung der Bevölkerung für Gesundheitsthemen spiegelt sich nach Einschätzung der DGFG auch in der gestiegenen Zustimmungsrate von nahezu 41 Prozent wider. Dennoch werde dem Thema Gewebespende „gesamtgesellschaftlich weiterhin zu wenig Aufmerksamkeit“ geschenkt. Die Folge sei, dass noch immer Tausende Menschen auf ein Transplantat warten müssten.

„Der Schlüssel liegt in der Kommunikation und Aufklärung“, meint die DGFG. Ergebnisoffen würden ihre 50 Koordinatorinnen und Koordinatoren Angehörige bei einem Sterbefall über die Möglichkeit der Gewebespende informieren. Fast 7500 solcher Gespräche seien im vergangenen Jahr geführt und 3046-mal sei einer Gewebespende zugestimmt worden. „Haben Verstorbene zu Lebzeiten keine Entscheidung für oder gegen die Gewebespende getroffen, entscheiden die Angehörigen in ihrem Sinne“, erläutert die DGFG. Im Jahr 2020 sei dies in mehr als zwei Drittel der Gespräche der Fall gewesen. Für viele Angehörige stelle diese Entscheidung eine zusätzliche Belastung in ihrer Zeit des Trauerns dar. Börgel appelliert deshalb: „Scheuen Sie sich nicht vor dem Thema Gewebespende am Essenstisch und teilen Sie Ihre Einstellung Ihren Liebsten mit“. Der Wille könne schriftlich im Organ- und Gewebespende-Ausweis oder in der Patientenverfügung festgehalten werden.

Augenhornhaut – das meistgespendete Gewebe
Aus den 2816 erhaltenen Gewebespenden konnte die DGFG im vergangenen Jahr 6081 Gewebepräparate gewinnen. Mit rund 90 Prozent sei die Augenhornhaut dabei das am meisten gespendete Gewebe gewesen, betont die Gesellschaft. In den elf Hornhautbanken ihres bundesweiten Netzwerkes seien 5401 Augenhornhäute zu Hornhauttransplantaten aufbereitet worden. Unter den 3984 vermittelten Augenhornhauttransplantaten seien 483 in der Gewebebank vorpräparierte Hornhautlamellen (LaMEK) für die Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty (DMEK) gewesen, bilanziert die DGFG.

Zudem, so heißt es weiter, hätten 52 Lebend-Gewebespenden im Jahr 2020 realisiert werden können. Zur Lebend-Gewebespende zähle die Spende der Plazenta und der darin enthaltenen Amnionmembran im Rahmen einer geplanten Kaiserschnittgeburt. In der Augenheilkunde komme sie zur Behandlung der Hornhautoberfläche zum Einsatz und könne als AmnioClip-plus – eingespannt in ein Ringsystem – ähnlich wie eine Kontaktlinse auf das erkrankte Auge gelegt werden. Von diesen Transplantaten vermittelte die DGFG 100 im zurückliegenden Jahr.

Die Gewebespende – eine Gemeinschaftsaufgabe
„Trotz des steten Ausbaus der Gewebespende und steigender Transplantatvermittlung herrscht in Deutschland noch immer ein Mangel an Gewebe, insbesondere an Augenhornhäuten, Herzklappen und Blutgefäßen“, konstatiert, die DGFG,  geht jedoch davon aus, dass der Eigenbedarf an Gewebe in Deutschland gedeckt werden könne – unabhängig von Importen aus dem Ausland. „Dies gelingt nur, wenn die Gewebespende weiterhin als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird. Hier spielt das Bewusstsein der Bevölkerung eine große Rolle, jedoch muss auch die Infrastruktur für eine nachhaltige Gewebespende gegeben sein“, verdeutlichte Börgel.
Zu wenigen sei bekannt, so der DGFG-Geschäftsführer weiter, dass jeder Mensch Gewebe spenden könnte – im Falle der Augenhornhaut sogar bis zu 72 Stunden nach Todeseintritt. Zudem spiele die Hirntoddiagnostik bei der Gewebespende im Gegensatz zur Organspende keine Rolle. Von den Gewebespenderinnen und -spendern seien 87 Prozent an einem Herz-Kreislauf-Stillstand gestorben. Somit sei die Zahl potenzieller Spenderinnen und Spender sehr groß: Von 986.000 Verstorbenen im Jahr 2020 sei der Großteil Herz-Kreislauf-Erkrankungen erlegen. Auch viele Krebserkrankungen oder ein hohes Lebensalter schlössen eine Gewebespende nicht zwingend aus, betonte Börgel. Fast 40 Prozent der postmortalen Gewebespenderinnen und -spender seien 2020 älter als 75 Jahre gewesen.