DGN glaubt nicht an „Polio-Comeback“, rät aber zur Impfung von Kindern und immungeschwächten Erwachsenen9. Juli 2025 Den besten Schutz vor einer Polio-Infektion bietet die Impfung. (Foto: © Zerbor – stock.adobe.com) Nach Funden von Polioviren in den Abwasserproben mehrerer Großstädte besteht nach Einschätzung von Experten zwar kein Risiko für eine Endemie. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) rät dennoch Risikopersonen, ihren Impfstatus zu überprüfen, und Kinder impfen zu lassen. Wie das Robert Koch-Institut (RKI) berichtete, sind in vielen deutschen Städten im Abwasser Polio-Viren entdeckt worden. Die nachgewiesenen Erreger der Poliomyelitis, cVDPV2, stammen von Impfviren, die sich mit der Zeit so verändert haben, dass sie wieder pathogen sind, vor allem bei Menschen mit unzureichendem Impfschutz. Nach Einschätzung des RKI erscheint es „zunehmend wahrscheinlicher, dass derzeit in Deutschland zumindest lokal begrenzt eine Übertragung von cVDPV2 stattfindet“.1 Begründet wird dies mit der langen Dauer des Geschehens – über erste auffällige Wasserproben wurde bereits Ende 2024 in einem Großteil der nun betroffenen Städten berichtet – und mit dem Nachweis von cVDPV2 an verschiedenen Standorten. „Nach der außerordentlichen Erfolgsgeschichte der Polio-Impfung – weltweit wurde das Virus schließlich um mehr als 99 Prozent zurückgedrängt – ist die jetzige Situation zwar ein Rückschlag, aber die Immunisierung ist in Deutschland so hoch, dass wir keine Endemie befürchten müssen“, erklärt Prof. Uta Meyding-Lamadé, Mitglied der DGN-Kommission Neuroinfektiologie und stellvertretende Vorsitzende der Nationalen Poliokommission des RKI. „Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass sich Kinder ohne Impfschutz sowie immungeschwächte Erwachsene ohne Impfschutz nun auch wieder in Deutschland mit Polioviren infizieren könnten.“ Eine Infektion bedeutet nicht automatisch eine Erkrankung, dennoch sind neurologische Folgen nicht ausgeschlossen. Was also empfiehlt die DGN der Bevölkerung? Wichtig sei es, den Impfschutz von Kindern zu überprüfen. Die meisten Kinderärztinnen und Kinderärzte haben den Impfstatus im Blick, aber es gebe immer wieder Fälle, in denen aus verschiedensten Gründen Impftermine nicht wahrgenommen werden und die Kinder nicht ausreichend geschützt seien. „Weltweit müssen wir ein Augenmerk auf Kinder in und aus Krisengebieten legen. Die Kriege in Gaza oder der Ukraine, beispielsweise, haben dazu geführt, dass notwendige Vakzinierungen oft nicht mehr durchgeführt werden können. Wir sollten Organisationen unterstützen, die in diesen Gebieten impfen. Zudem sollte bei Kinder und Kleinkindern grundsätzlich der Impfstatus geprüft werden“, rät die Expertin. Die zweite gefährdete Gruppe sind immundefiziente Erwachsene. „Es besteht kein Grund zur Panik, denn Erwachsene infizieren sich sehr viel seltener und es kommt nur in Ausnahmefällen zu schweren Verlaufsformen. Dennoch sollten Ungeimpfte dieser Risikogruppe eine Vakzinierung in Erwägung ziehen und vulnerable geimpfte Personen sollten prüfen, wann die nächste Auffrischungsimpfung fällig ist“, empfiehlt Meyding-Lamadé. Wie die Expertin hervorhebt, kann auch bei Erwachsenen, die bisher noch keine Grundimmunisierung erhalten haben, diese problemlos nachgeholt werden. Allerdings dauere es einige Zeit, bis die Immunisierung aufgebaut ist. Dafür seinen drei Impfungen erforderlich und zwischen der Verabreichung der zweiten und der dritten müsse mindestens ein halbes Jahr liegen. „Zwar haben wir keine bedenkliche Situation in Deutschland, aber wir sehen nun wieder Hinweise auf ein Virus, von dem wir annahmen, dass es bei uns ausgerottet ist. Daher müssen wir den Schutz vulnerabler Gruppen stärken. Denn ist ein Mensch erst infiziert, besteht die Gefahr einer Erkrankung.“ Übertragung durch Schmierinfektion Des Weiteren verweist das RKI darauf 2, dass es sich in den meisten Fällen um eine Schmierinfektion handelt, deren Ausbreitung durch strenge Handhygiene vermieden werden kann. „Die Viren werden mit dem Stuhl ausgeschieden – und oft mit der Klinke in die Hand gegeben. Regelmäßiges Händewaschen und Handdesinfektionen minimieren das Übertragungsrisiko.“ Die Polio-Erkrankung verläuft in drei klinischen Phasen. Zunächst kommt es zu Kopfschmerzen und Fieber, labordiagnostisch ist in diesem Stadium eine Liquorpleozytose auffällig. Danach schließt sich das paralytische Stadium an. Wieder kommt es zu Fieber und durch die entzündliche Schädigung des Rückenmarks entwickeln sich die für die Kinderlähmung typischen asymmetrischen, proximal akzentuierten Lähmungen. Diese bilden sich dann einige Wochen später, im Reparaturstadium, meist nur unvollständig zurück. „Gut ein Drittel der Betroffenen trägt schwere, dauerhafte Lähmungen davon“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. Hinzu kommen Spätkomplikationen. Der Experte verweist hier auf das Post-Polio-Syndrom, das durch Fatigue und diffuse Schmerzen gekennzeichnet ist, und darauf, dass bei Betroffenen auch ein hohes Risiko für die sogenannte postpoliomyelitische spinale Muskelatrophie besteht. Dabei führt ein fortschreitender Muskelschwund erneut zu Lähmungen. „Die Therapiemöglichkeiten einer akuten Poliomyelitis sind sehr limitiert. Infrage kommt lediglich die Gabe von Immunglobulinen, doch die Wirksamkeit ist bisher noch nicht ausreichend belegt. Das macht deutlich, wie wichtig die Prophylaxe durch die Impfung ist“, schlussfolgert Berlit.
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