DGPPN: Psychische Erkrankungen erfordern flexible Regelungen

Neben Psychotherapie kann bei psychischen Erkrankungen auch eine medikamentöse Behandlung notwendig sein. (Foto: © MrAshi – stock.adobe.com)

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht die Einführung eines Primärarztsystems vor. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) unterstützt diese Idee grundsätzlich, betont in einer Stellungnahme jedoch die besonderen Anforderungen psychischer Erkrankungen an die Versorgung.

Die DGPPN unterstütze das Ziel einer intelligenten Steuerung des Zugangs zu medizinischen Leistungen, wie es von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgehalten wurde und unter anderem im Konzeptpapier Koordination und Orientierung in der Versorgung der Bundesärztekammer (BÄK) “formuliert ist, heißt es in der Stellungnahme.

Psychische Gesundheit als besonderer Versorgungsbereich

Gleichzeitig weist die Fachgesellschaft „mit Nachdruck“ darauf hin, dass psychische Erkrankungen einer besonderen Versorgungssituation bedürfen. „Die Inanspruchnahme psychischer Gesundheitsleistungen unterscheidet sich von anderen Bereichen – nicht zuletzt aufgrund der noch immer bestehenden oder manchmal auch nur befürchteten – gesellschaftlichen Stigmatisierung, die vielen Betroffenen den Zugang zur Behandlung erschwert“, erklärte die DGPPN.

Bei psychischen Beschwerden sei der Hausarzt zwar in vielen Fällen eine erste Anlaufstelle und könne auch selbst Hilfe anbieten oder die Patienten weitervermitteln. Wenn Patienten allerdings Scham für ihre Beschwerden empfänden, noch kein gewachsenes Vertrauensverhältnis oder auch kein regelmäßiger Kontakt zu einem Hausarzt bestehe, dann könne der verpflichtende Weg über einen Primärarzt eine zusätzliche Zugangshürde darstellen, gibt die Fachgesellschaft zu bedenken. Dies könne dazu führen, dass Hilfe sehr spät oder gar nicht in Anspruch genommen werde.

Es sei deshalb grundsätzlich positiv zu bewerten, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in ihrem Konzeptpapier „Ambulant passgenau versorgt“ für die psychotherapeutische Versorgung eine Ausnahme vom Primärarztsystem vorsieht. Allerdings greife dieser Vorschlag „deutlich zu kurz“, erklärte die DGPPN.

Psychotherapie allein ist nicht immer ausreichend

Denn Psychotherapie sei zwar ein wichtiger, aber nicht alleiniger Bestandteil der Behandlung psychischer Erkrankungen. Eine differenzierte Diagnostik und Behandlungsplanung müsse biologische, biographische, psychische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigen. „Die Entscheidung über die geeignete Behandlungsform (z. B. Psychotherapie, medikamentöse Behandlung, sozialpsychiatrische Maßnahmen) setzt eine fachlich fundierte Einschätzung voraus, die häufig nur durch psychiatrisch qualifizierte Fachärztinnen und Fachärzte geleistet werden kann“, heißt es in der Stellungnahme weiter.

Würde einzig die Psychotherapie vom Primärarztmodell ausgenommen und Personen mit psychischen Beschwerden lediglich über die psychotherapeutische Sprechstunde gesteuert, könnte dies bestehende Fehlsteuerungen im Versorgungssystem verstärken, statt sie zu verbessern, fürchtet die Fachgesellschaft: „Menschen mit leichteren psychischen Erkrankungen würden einfacher Zugang erhalten, während Betroffene mit schweren und komplexen Krankheitsbildern strukturell benachteiligt würden. Dies ist nicht nur ineffizient, sondern auch versorgungsethisch bedenklich.“

Direktzugang auch zu Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie

Daher fordert die DGPPN, dass der Direktzugang nicht nur zu psychotherapeutischen, sondern auch zu psychiatrischen Leistungen gewährleistet bleiben muss. Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und weitere Fachärzte mit psychiatrischer Qualifizierung seien für Menschen mit psychischen Erkrankungen zentrale Behandelnde. Sie unter Primärarztvorbehalt zu stellen, den Direktzugang zur Psychotherapie aber zu erhalten, sei in Anbetracht der Versorgungsrealität nicht nachvollziehbar.

Insbesondere Menschen mit schweren, chronischen und komplexen psychischen Erkrankungen benötigten eine kontinuierliche Versorgung und engmaschige Betreuung. In solchen Fällen sollten Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, für Nervenheilkunde, für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychiatrie auch gemeinsam mit den Hausärzten, in primärärztlicher Funktion, die individuelle Versorgung koordinieren dürfen, fordert die DGPPN.