DGTI: Hämophilie – Experten rechnen mit baldiger Einführung der Gentherapie

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Bisher waren die etwa 6000 Menschen in Deutschland, die an einer schweren Hämophilie A oder B leiden, auf regelmäßige Infusionen mit Gerinnungsfaktoren angewiesen. Neben neuartigen therapeutischen Antikörpern könnte zukünftig auch eine Gentherapie vor lebensgefährlichen Blutungen schützen. Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) rechnet damit, dass diese neue Behandlungsoption in einigen Monaten verfügbar sein wird.

Seit mehr als 20 Jahren forschen Wissenschaftler deshalb an einer Gentherapie zur Behandlung von Hämophilie. Ihr Ziel ist es, eine intakte Kopie des defekten Gens in die Leberzellen zu transportieren, damit diese die Gerinnungsfaktoren VIII oder IX herstellen. Der Transport ist inzwischen mithilfe sogenannter „Genfähren“ effektiv möglich, die aus Adeno-assoziierten Viren (AVV) entwickelt werden. Durch gentechnische Veränderungen sind diese Genfähren keine vermehrungsfähigen Viren mehr und deshalb für den Menschen völlig ungefährlich. Diese AVV-basierten Fähren binden sich gezielt an Leberzellen und können ihre „Fracht“, nämlich die intakten menschlichen Gene für Faktor VIII und IX, in den Zellen abladen.

Chinesische Forscher haben bereits 1996 eine Gentherapie an zwei Menschen mit Hämophilie B vorgenommen. „Die Leberzellen produzierten jedoch nur für kurze Zeit Gerinnungsfaktoren, deren Menge nicht ausreichte, um die Betroffenen vor Blutungen zu schützen“, erläutert Prof. Hermann Eichler vom Universitätsklinikum des Saarlandes. Inzwischen haben mehrere Firmen in den USA und in Europa Gentherapien entwickelt, die über mehrere Jahre und vielleicht sogar lebenslang die Produktion von Gerinnungsfaktoren in einer Menge ermöglichen, die spontane Blutungen in Gelenke oder Organe verhindern könnten.

Für die Hämophilie B liegen mittlerweile mit verschiedenen Gentherapien Erfahrungen zu über 50 Patienten vor, bei denen Faktor VIII-Konzentrationen von bis zu 45 Prozent der Normalwerte von Gesunden erreicht wurden. „Bei einigen Patienten produzierten die Leberzellen den Gerinnungsfaktor noch acht Jahre nach der Gentherapie“, so der Experte.

Bei der Hämophilie A laufen ebenfalls bereits klinische Studien, die in den nächsten Jahren zur Zulassung der Gentherapie führen könnten. Ein erster Zulassungsantrag wurde bereits bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA eingereicht.

Die Sorge, dass die Gentherapie die Leber schädigen könnte, hat sich laut dem DGTI-Experten bislang nicht bestätigt. Es komme zwar bei einigen Patienten anfangs zu einem zumeist nur vorübergehenden und leichten Anstieg der Leberenzyme, was auf eine geringgradige Zellschädigung hinweist. Bei den meisten Patienten würde sich die Leber jedoch vollständig erholen, sodass die Sicherheitsbedenken weitgehend ausgeräumt werden konnten.

Ob und wann die erste Gentherapie zugelassen wird, lässt sich nach Einschätzung von Eichler nicht genau vorhersagen. Wie die meisten Experten ist er jedoch optimistisch, dass dies bereits in einigen Monaten der Fall sein wird.