Diabetes: Wie Künstliche Intelligenz die Therapie unterstützen kann12. November 2024 Foto: © Pcess609/stock.adobe.com Wie unterstützt KI in der Diabetestherapie bereits heute und in Zukunft? Darauf antwortet Prof. Bernd Kulzer, 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), in einem Pressestatement. Die immer größer werdende Menge an verfügbaren digitalen Gesundheitsdaten und -informationen sowie die sich immer schneller entwickelnden Modelle der künstlichen Intelligenz (KI) wecken weltweite große Hoffnungen, dass sich mit ihr die Forschung, Therapie, Versorgung und Prognose des Diabetes deutlich verbessern, sagte Kulzer eingangs auf der Online-Pressekonferenz von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe am 29. Oktober. Aktuell basieren die meisten KI-Anwendungen in der Diabetologie auf „schwachen KI-Systemen“, wie etwa Deep Learning oder maschinellem Lernen, erklärt Kulzer. Diese haben das Ziel, verschiedene Daten intelligent miteinander zu verknüpfen und daraus Zusammenhänge und Muster zu erkennen, aus denen dann in einem weiteren Schritt Rückschlüsse gezogen und Vorhersagen getroffen werden können. Diese Musterwerden vom Computer gelernt und sind Grundlage für neue Entscheidungen in der Zukunft. Zum Beispiel werden anhand eines großen Datensatzes von Glukosedaten (sog. Trainingsdaten) Algorithmen mit dem Ziel entwickelt, bei neuen Datensätzen neue Steuerungsalgorithmen zur Insulindosierung zu finden. Anwendungen mit sog. „starken KI-Systemen“, die eine allgemeine künstliche Intelligenz – bei der die Maschine eine dem Menschen gleichgestellte Intelligenz hat („artificial general intelligence“) – oder auch künstliche Superintelligenz – bei der durch die Maschine die Intelligenz und Fähigkeiten des menschlichen Gehirns übertroffen werden („artificial super intelligence“) – nutzen, gibt es bei Diabetes bislang nicht, heißt es weiter im Pressestatement. Forschung mit KI In vielen Bereichen der Diabetesforschung (Grundlagenforschung, klinische Forschung, Versorgungsforschung) wird durch die Analyse großer Datensätze per KI nach neuen Zusammenhängen zwischen einzelnen Variablen gesucht. Bei der Identifizierung der komplexen pathophysiologischen Prozesse, die dem Typ-1- und Typ-2-Diabetes sowie dem Schwangerschaftsdiabetes zugrunde liegen, verschiedenen Subgruppen mit unterschiedlichen Risikokonstellationen und Prognosen leisten KI-Anwendungen einen wichtigen Beitrag. Auch Registerdaten, Krankenakten oder Versicherungsdaten stellen eine gute Datenbasis dar, welche mit KI analysiert werden können, um die aktuelle Versorgungssituation besser zu verstehen und eine mögliche Unter- wie Überversorgung zu erkennen, erklärt der Diabetologe. Prävention des Typ-2-Diabetes KI-gestützte Screening-Algorithmen ermöglichen es, in unterschiedlichsten Settings das persönliche Risiko für Typ-2-Diabetes zu ermitteln, Personen im Stadium des Prädiabetes zu identifizieren und Typ- 2-Diabetes zu diagnostizieren. Für den Anstieg der Diabetesprävalenz sind neben Verhaltens- auch Umweltfaktoren wie Lebens-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse, das Angebot an gesunden bzw. ungesunden Lebensmitteln, Möglichkeiten zur körperlichen Bewegung und soziale Faktoren von entscheidender Bedeutung. Diesbezüglich bietet sich aufgrund der Fülle und Komplexität der Daten der Einsatz von KI für entsprechende Modellierungen dieser Einflussfaktoren und deren Veränderung bei entsprechenden Maßnahmen an, erläutert Kulzer weiter. Präzisionsmedizin Die Diagnose von Folge- und Begleiterkrankungen mit Hilfe von KI bietet Menschen mit Diabetes zum einen die Chance einer personalisierten Diagnose, oft auch verbunden mit einer individuellen Prognose und für Arzte eine zusätzliche Quelle für klinische Entscheidungen. Mittlerweile existieren für fast jede Begleit- und Folgeerkrankung des Diabetes eine Vielzahlunterschiedlicher KI-unterstützter Diagnostikverfahren, welche das Risiko für die Entwicklung gesundheitlicher Risiken im Zusammenhang mit Diabetes quantifizieren und personalisieren. Der Diabetologe führt folgende Beispiele an. Retinopathie: Systeme zur KI-gesteuerten Diagnostik werden zunehmend praxistauglicher. Mittlerweile wurden zahlreiche Systeme mit unterschiedlichen KI-Methoden von der amerikanischen (FDA [U.S. Food and Drug Administration]) oder europäischen Zulassungsbehörde (EMA [European Medicines Agency]) für diesen Einsatz in der klinischen Routine zugelassen. Bei der KI-Diagnostik kann auf das Weittropfen der Augen verzichtet werden, die Diagnostik ist preiswert und mittlerweile ausreichend genau. Nephropathie: Es existieren mittlerweile eine Vielzahl von Vorhersagemodellen für Personen ohne bisherige Anzeichen einer Nephropathie sowie für Menschen mit einem Risiko für die Entwicklung eines Nierenversagens mit Dialysepflicht. Herzinsuffizienz: In Netzwerkmetaanalyse von Patienten mit Herzinsuffizienz, Schlaganfall,Bluthochdruck und Diabetes konnte mit Hilfe von Techniken des maschinellen Lernens bei der Vorhersage der Herzinsuffizienz eine Genauigkeit von deutlich über 90 Prozent erzielt werden. Neuropathie: KI-Algorithmen sind bereits heute in der Lage, die aktuell üblichenVerfahren der Neuropathiediagnostik (z. B. Vibrationswahrnehmungsschwelle) deutlich zu verbessern und valide Aussagen zur Prognose der Neuropathie zu liefern. Diabetischer Fuß: Mittels KI-Methoden lassen sich das Erkennen von Risiken fürFußulzera und Amputationen sowie die Prognose für die Entwicklung eines diabetischenFußsyndroms verbessern und das Exzessmortalitätsrisiko bestimmen. Depression: Auch Depressionen bei Diabetes lassen sich anhand verschiedener soziodemografischer, klinischer und psychosozialer Faktoren, die durch Patientenbefragungund aus Krankenakten gewonnen werden können, mit Hilfe von KI-Algorithmen voraussagen. Hypoglykämien: Es existieren mittlerweile zahlreiche KI-unterstütze KI-Prädiktionsmodelle, anhand derer in Kombination mit der Methode der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) eine Vorhersage von Unterzuckerungen, in einigen Fällen in Kombination mit automatisierten Insulindosier-Systemen (AID-Systemen) auch eine automatisierte Gegensteuerung zur Vermeidung von Hypoglykämien erfolgt. Ketoazidose: KI-Algorithmen können die Prognose von Ketoazidosen ermöglichen, und deren Auftretenswahrscheinlichkeit und bei speziellen Risikogruppen deren Gefährlichkeit voraussagen. Bessere Nutzung von CGM und AID-Systemen Algorithmen auf der Basis von KI können die automatische Mustererkennung von Glukoseprofilen, die Vorhersage von Glukosespiegeln und noch genauere, passgenaue Therapieentscheidungen unterstützen. Bei der Entwicklung adaptiver Steuerungsalgorithmen bei AID-Systemen spielen KI-Anwendungen eine immer wichtigere Rolle, um bestehende Limitationen (z.B. verzögerte Insulinwirkung, Bewegung, Ernährung, Menstruation) aktueller AID-Systeme zu überwinden und damit dem Ziel von automatisiert gesteuerten AID-Systemen (Closed-loop-Systeme) immer näher zu kommen. Zunehmend werden KI-Modelle auch in Arzt- oder Patientenentscheidungssystemen integriert. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Tools zur Verbesserung der Entscheidungsfindung im klinischen Alltag, die sich an Menschen mit Diabetes, Ärzte oder das Pflegepersonal richten und auf der Basis von Algorithmen Therapieempfehlungen auf Diskrepanzen mit evidenzbasierten Leitlinien, mögliche Nebenwirkungen oder unerwünschte Medikationswechselwirkungen prüfen oder die zwischen Arzt und Personen mit Diabetes vereinbarten Ziele monitoren. Für Menschen mit Diabetes können Expertensysteme eine Hilfe bei der Therapiedurchführung darstellen und auch die Schulung unterstützen. Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz Es gibt mittlerweile in der Diabetologie eine Vielzahl von KI-Anwendungen. Diese werden zukünftig einen Paradigmenwechsel in der Diabetesversorgung einleiten – weg von konventionellen Behandlungsstrategien hin zu einer gezielten, datengesteuerten Präzisionsmedizin. Dies wird auch für Menschen mit Diabetes eine große Unterstützung darstellen, da die durch KI unterstützte Diabetestherapie personalisierter und besser an den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen der Betroffenen ausgerichtet erfolgen kann. Ob sich KI in der Diabetologie durchsetzen wird, hängt allerdings auch ganz entscheidend davon ab, ob durch entsprechend regulatorischer Prozesse mögliche Risiken der KI minimiert werden können. Dazu gehören z. B. die mangelnde Überprüf- und Vergleichbarkeit von KI-Modellen, noch weitgehend ungelöste Probleme bei der Transparenz und Offenlegung der Algorithmen, mögliche Stigmatisierungs- und Diskriminierungseffekte infolge von KI, Datenschutzprobleme oder Haftungsaspekte.
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