Diabetische Retinopathie: Das Auge als Fenster zur Erkennung von Erkrankungen

Bei diabetischen Mäusen reißen Blutgefäße (rot) und ihr Inhalt tritt in die Umgebung aus. Bevor solche Schäden auftreten, lässt sich die erhöhte Aktivität der Mikroglia (grün) mit dem von Tachibana und seinem Team entwickelten Mikroskopiesystem beobachten. Foto: © Tachibana/Kusuhara/Sotani

Eine neue Methode zur Aufnahme mikroskopischer Bilder der Netzhaut einer lebenden Maus ermöglicht es, die Reaktion von Gehirnzellen auf Krankheiten und Behandlungen aufzuzeichnen. Diese Entwicklung verspricht Fortschritte in der Erforschung und Therapie von Augenerkrankungen.

Die diabetische Retinopathie ist weltweit eine der häufigsten Ursachen für Erblindung. „Es ist bekannt, dass der Verlust des Sehvermögens auf eine Schädigung der Blutgefäße in der Netzhaut zurückzuführen ist, aber neuere Forschungen haben gezeigt, dass Anomalien in Neuronen und Immunzellen bereits vor der Gefäßschädigung auftreten“, erklärt der Neurophysiologe Tachibana Yoshihisa von der Universität Kobe, Kobe, Japan.

Er fährt fort: „Insbesondere Mikroglia, Immunzellen, die in der Netzhaut ansässig sind und ihre Umgebung ständig überwachen, lösen bei Auftreten von Anomalien Entzündungen aus. Da es jedoch schwierig ist, ihr Verhalten in lebenden Organismen zu beobachten, ist ihre Beteiligung weitgehend ungeklärt geblieben.“

Neue Methode: Kombination von Kopfhalterung, maßgeschneiderten Kontaktlinsen und Objektiv

Herkömmliche Mikroskopie-Aufbauten erfordern entweder fortgeschrittenes technisches Fachwissen, um die verzerrten Bilder zu korrigieren, oder sie erzielen mit der verfügbaren Technologie keine hochauflösenden Live-Bilder. Aus diesem Grund haben Tachibana und sein Team eine neue Technologie entwickelt. Diese kombiniert eine Kopfhalterung, maßgeschneiderte Kontaktlinsen und ein spezielles, aber im Handel erhältliches Objektiv. „Dieser Ansatz ermöglicht uns eine klare, langfristige Beobachtung der lebenden Netzhaut bis hin zu den kleinsten Bewegungen der Mikroglia“, erörtert der Forscher.

Diabetische Retinopathie: Erhöhte Überwachungsaktivität der Mikroglia

Tachibana und sein Team berichten, dass sie mit ihrer neu entwickelten Methode feststellen konnten, dass Mikroglia bei diabetischen Mäusen beginnen, sich aktiver zu bewegen. Das deute den Forschern zufolge auf eine erhöhte Überwachungsaktivität hin, lange bevor Gewebeschäden erkennbar sind. „Dieses Phänomen wurde bei der herkömmlichen Beobachtung an nicht lebenden Proben übersehen. Dabei ist dies eine wichtige Erkenntnis, die eine neue Perspektive für das Verständnis der Pathologie der diabetischen Retinopathie bietet“, so Tachibana. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlicht.

Das Forscherteam beobachtete auch die Wirkung des Diabetesmedikaments Liraglutid auf Mikroglia. Sie fanden heraus, dass bei diabetischen Mäusen die erhöhte Aktivität der Mikroglia wieder normal wurde. Auch konnten sie feststellen, dass die Aktivität dieser Zellen bei gesunden Mäusen ebenfalls reduziert wurde. Darüber hinaus veränderte das Medikament den Blutzuckerspiegel nicht. Tachibana dazu: „Dies deutet darauf hin, dass Liraglutid über einen Mechanismus auf Mikroglia wirkt, der ihr Verhalten direkt moduliert.“

Entwicklung neuer Therapieoptionen

Diese Möglichkeit, das Verhalten von Zellen im lebenden Organismus direkt zu beobachten, sei auch für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden von großem Vorteil. „Wir gehen davon aus, dass diese Technologie auch für andere Netzhauterkrankungen wie Glaukom und altersbedingte Makuladegeneration nützlich sein wird“, berichtet Tachibana.

Der Forscher der Universität Kobe hat jedoch noch ein weiteres Ziel vor Augen. Er betont: „Blindheit aufgrund diabetischer Augenerkrankungen ist ein ernstes globales Problem. Wir hoffen, dass unsere Technologie als nichtinvasive Diagnosemethode in der klinischen Praxis eingesetzt werden kann. So wird das Auge zu einem Fenster für die Erkennung systemischer Erkrankungen.“

Diese Forschung wurde in Zusammenarbeit mit Forschern des University of Texas Health Science Center in Houston, USA, des National Institute for Physiological Sciences, Okazaki, Japan, und der Nagoya University, Furocho, Japan, durchgeführt.