Diabetologie: Wie sich Geschlechtsunterschiede auf Behandlung und Verlauf auswirken

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Die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede ist in der modernen Diabetologie kein „Nice-to-have“, sondern eine Grundvoraussetzung für wirksame Prävention, Diagnostik und Therapie, betont Prof. Julia Szendrödi.

Männer und Frauen unterscheiden sich nicht nur in ihrer Hormonlage, sondern auch in ihrer Selbstfürsorge, in der Wahrnehmung von Symptomen, in der Stoffwechselregulation und in ihrem Ansprechen auf Medikamente, erklärt eingangs Szendrödi auf der 59. Jahrestagung der DDG.

Gerade bei Frauen mit Diabetes zeigen sich deutliche Unterschiede im Krankheitsverlauf. Nach der Menopause steigt ihr Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall signifikant – um 40 beziehungsweise 25 Prozent im Vergleich zu Männern. Ursache sind nicht nur klassische Risikofaktoren wie Blutzucker- und Fettstoffwechselstörungen, sondern auch hormonelle Veränderungen, eine oft unzureichende Selbstfürsorge und strukturelle Unterversorgung, erklärt Szendrödi.

Geschlechtsunterschiede ernst nehmen

Zudem sind Frauen oft mehrfach belastet, betont Szendrödi. Sie tragen nach wie vor den Großteil der Sorgearbeit – ob in der Kindererziehung oder in der Pflege von Angehörigen. Gleichzeitig sind sie häufiger von sozioökonomischer Benachteiligung betroffen, verdienen weniger, haben seltener Zugang zu höherer Bildung und verfügen über geringere Gesundheitsressourcen. Diese strukturellen Ungleichheiten erschweren den Zugang zu Präventions- und Versorgungsangeboten – mit unmittelbaren Folgen für die Krankheitsbewältigung und Prognose.

Auch der weibliche Zyklus beeinflusst den Zuckerstoffwechsel, erklärt die Medizinerin: Zwei Drittel aller Frauen mit Diabetes erleben in der zweiten Zyklushälfte eine reduzierte Insulinempfindlichkeit. Dennoch werden prämenopausale Frauen in Studien oft ausgeschlossen, beklagt Szendrödi. Die Menopause wiederum bringt häufig eine Gewichtszunahme im Bauchbereich, verstärkte Insulinresistenz und neue Herausforderungen in der Einstellung des Blutzuckers mit sich. Hier brauche es „maßgeschneiderte“ Therapieansätze.

Männer mit Diabetes seien hingegen häufiger von schlechter Therapieadhärenz betroffen, insbesondere bei Krebserkrankungen – ein weiteres Beispiel dafür, dass erfolgreiche Versorgung Geschlechtersensibilität braucht, so Szendrödi. Trotz dieser Erkenntnisse fehlen geschlechtsspezifische Daten häufig in Studien, und pharmakokinetische Unterschiede werden nicht ausreichend berücksichtigt. Die Folge: eine Medizin, die Männern und Frauen nicht gerecht wird, sagt Szendrödi.

Daher fordere die Deutsche Diabetes Gesellschaft:

  • konsequent gendersensible Forschung, insbesondere zur Wirkung antidiabetischer Medikamente in verschiedenen Lebensphasen,
  • die Integration patientenberichteter Outcomes (PROMs), um Unterschiede in Alltag und Therapieerleben sichtbar zu machen,
  • gezielte Förderung von Clinician Scientists, die moderne Technologien und Geschlechtersensibilität verbinden,
  • und eine verpflichtende Berücksichtigung von Geschlecht, psychosozialer Situation und Lebensrealität in der klinischen Praxis und Leitlinienentwicklung.
    Diabetologie der Zukunft heißt: individualisiert, gerecht, geschlechtersensibel – damit alle Patienten die Versorgung bekommen, die sie brauchen.