Diagnose pädiatrischer Ohr-Infektionen: KI-Modell besser als Kliniker

OtoDX gibt es zurzeit als Prototyp kombiniert mit einer Handy-App. Das Gerät würde über die Handykamera passen und es Ärzten erlauben, Fotos vom Inneren eines Ohrs zu machen, diese direkt in die App hochzuladen und eine diagnostische Einschätzung zu erhalten. Foto: Mass Eye and Ear.

Ein Maschinelles-Lernen-Modell diagnostizierte pädiatrische Ohrinfektionen im direkten Vergleich besser als Ärzte verschiedener Fachrichtungen, so das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie.

Das Künstliche-Intelligenz(KI)-Modell OtoDX wurde von Forschenden des Massachusetts Eye and Ear-Instituts (Mass Eye and Ear) entwickelt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie lag das Modell in über 95 Prozent der Fälle richtig bei der Diagnose pädiatrischer Ohrinfektionen bei einem Test mit 22 Bildern, verglichen mit 65 Prozent Trefferquote bei einer Gruppe von Hals-Nasen-Ohrenärzten, Pädiatern und Hausärzten, die die gleichen Bilder beurteilten.

Bei einem weiteren Test mit einem Datensatz von über 600 Innenohr-Bildern zeigte das KI-Modell eine Diagnosegenauigkeit von 80 Prozent, was signifikant über der in der medizinischen Literatur berichteten Diagnosegenauigkeit von Klinikern liegt.

Das KI-Modell arbeitet mit „deep learning“ und wurde mit Hilfe von hunderten von Fotografien aufgebaut, die von Kindern stammen, die am Mass Eye and Ear einen operativen Eingriff wegen rezidivierender Ohrinfektionen oder Flüssigkeitsansammlung in den Ohren hatten. Für die Autoren bedeuten ihre Ergebnisse einen wesentlichen Schritt hin zur Entwicklung eines diagnostischen Werkzeugs, das Ärzten bei der Beurteilung von Patienten helfen soll. Ein KI-basiertes Diagnose-Werkzeug könne etwa Pädiatern oder Ärzten in der Notfallversorgung einen zusätzlichen Test für die klinische Entscheidung geben, so die Autoren weiter.

„Ohrinfektionen sind häufig bei Kindern und werden doch oft nicht korrekt diagnostiziert, was zu Verzögerungen in der Behandlung oder unnötigen Antibiotika-Verschreibungen führt“, sagte der leitende Autor Matthew Crowson, MD, Hals-Nasen-Ohrenarzt und KI-Spezialist am Mass Eye and Ear. „Das Modell wird die Beurteilung von Klinikern nicht ersetzen, kann aber als Unterstützung für deren Expertise dienen und ihnen dabei helfen, bei ihren Therapieentscheidungen sicherer zu sein.

In den Vereinigten Staaten haben laut National Institute of Deafness and Other Communication Disorders mindestens fünf von sechs Kindern mindestens eine Ohrinfektion vor ihrem dritten Geburtstag. Unbehandelt können Hörverlust, Entwicklungsverzögerungen und Komplikationen wie beispielsweise Meningitis die Folge sein. Andererseits kann die Übertherapie von Kindern ohne Infektion zu Antibiotikaresistenzen führen.

Frühere Studien legen nahe, dass die normale Diagnosegenauigkeit von Ohrinfektionen mittels körperlicher Untersuchung bei Kindern unter 70 Prozent liegt, selbst mit technologischen Neuerungen und klinischen Praxisleitlinien. Crowson zufolge liegen die Gründe in der Schwierigkeit ein sich wehrendes oder weinendes Kind zu untersuchen und fehlende Erfahrung mit Ohruntersuchungen. Da Ärzte oft lieber vorsichtig sein wollten, sei es einfach zu verstehen, warum Eltern gerade die Notfallambulanz oft mit einer Antibiotikaverschreibung verließen, so Crowson.

Gemeinsam mit seinen Kollegen Michael S. Cohen, MD, Direktor der Multidisciplinary Pediatric Hearing Loss Clinic, und Christopher J. Hartnick, MD, MS, Direktor der Division of Pediatric Otolaryngology begann Crowson 2021 eine genauere Diagnosemethode zu entwickeln, die einen Maschinelles-Lernen-Algorithmus nutzt. Ein künstliches neuronales Netzwerk wurde darauf mit Hilfe von hochaufgelösten Fotografien von Trommelfellen von Patinnen und Patienten darauf trainiert, wo Infektionen zu erkenne sind. In einer im vergangenen Jahr publizierten Proof-of-concept-Studie konnten die Autoren zeigen, dass ihr Modell in 84 Prozent der Fälle normale von abnormalen Mittelohren unterscheiden konnte.

In ihrer aktuellen Studie verglichen die Forschenden die Genauigkeit eines verfeinerten Modells im direkten Vergleich mit klinisch tätigen Ärzten. Um das Modell zu trainieren wurden über 639 Bilder von Trommelfellen von Kindern 18 Jahre und jünger genutzt, die sich einem chirurgischen Eingriff – entweder Paukenröhrchen oder Abfluss von Flüssigkeit aus den Ohren – unterziehen mussten. Die Bilder wurden in die Kategorien „normal“, infiziert“ oder „Flüssigkeitsansammlung hinter dem Trommelfell“ eingeteilt. Mit dieser neuen Einteilung erreichte das Model eine mittlere Diagnosegenauigkeit von 80,8 Prozent.

In einer weiteren Studie wurden klinisch tätige Ärzte und Assistenzärzte verschiedener Fachrichtungen gebeten 22 neue Bilder von Trommelfellen zu beurteilen und das Ohr einer Kategorie zuzuteilen. Während das Maschine-Learning-Model 95 Prozent der Beispiel-Bilder korrekt zuteilen konnte, lag der mittlere Diagnose-Score der 39 Kliniker, die geantwortet hatten, bei 65 Prozent. Pädiater und Allgemeinärzte beurteilten zu 60,1 Prozent beziehungsweise 59,1 Prozent korrekt. (ja)