Die allergische Konjunktivitis beim Hund: Unterdiagnostiziert und mit hohem Leidensdruck

Allergische Konjunktivitis bei einem Hund Foto: Dr. Ingrid Allgöwer

Dr. Ingrid Allgöwer ist Veterinärophthalmologin und leitet eine Praxis mit 4 angestellten Tierophthalmologen in Berlin. Das Team behandelt mehrere Tausend Fälle von Augenerkrankungen pro Jahr bei (fast) jeder Tierart.

Das Interview, das in Kompakt 04/2023 erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher.

Frau Dr. Allgöwer, in einer Studie berichten portugiesische Wissenschaftler (Delgado E et al.) über die allergische Konjunktivitis beim Hund (canine allergic conjunctivitis, cAC). Wie stellt sich das klinische Bild der cAC dar und wie häufig ist sie?

Veterinärophthalmologin Dr. Ingrid Allgöwer
Foto: © privat

Allgöwer: Tatsächlich kommt die cAC beim Hund unheimlich häufig vor. In den Sommermonaten sehen wir die Erkrankung täglich. Ich denke, die cAC ist unterdiagnostiziert, genauso wie die Allergie grundsätzlich. Dass es sich bei der cAC nicht um eine Erkrankung handelt, die man auf den ersten Blick erkennt, wie etwa eine Hornhautentzündung, macht das Vorgehen schwierig. Die cAC ist eine Ausschlussdiagnose. Auch beim Menschen nimmt die Erkrankung drastisch zu. Klinisch stellt sich die cAC als nicht-eitrige hochgradige Bindehautentzündung dar, die oft durch einen wässrigen, klaren Augenausfluss charakterisiert ist. Und je nachdem, wie weit das Geschehen fortgeschritten ist und ob Juckreiz hinzukommt – der muss nicht immer da sein, aber er tritt begleitend sehr häufig auf –, dann kann es auch sein, dass man mal eine erosive Blepharitis oder auch einen Hornhautdefekt sieht. Diese sekundären Merkmale entstehen durch den Juckreiz. Bei ausgeprägtem Juckreiz wird initial demnach ein Halskragen zum Schutz vor Verletzungen benötigt. Sobald eine Vermischung mit anderen Symptomen vorhanden ist, wird es noch schwieriger, die cAC zu diagnostizieren. Als Ursachen sind Umweltbedingungen zu nennen, aber auch schlicht eine Häufung des Vorkommens der Atopie und Allergie bei bestimmten Rassen. Und bei diesen sieht man die cAC immer öfter, wie etwa Französischen Bulldoggen. Die häufig von Tierärzten praktizierte Polypragmasie ist bei der cAC auf Dauer jedoch nicht zielführend. Zunächst wird das Problem auf die verordnete Antibiose und das Kortison natürlich erstmal besser, aber davon werden viele entzündliche Augenerkrankungen besser. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die Erkrankung eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität mit sich bringt, was sich sehr gut von menschlichen Patienten mit Heuschnupfen und allergischer Konjunktivitis ableiten lässt. Die haben einen sehr hohen Leidensdruck. Insofern bin ich sehr froh, dass wir über die cAC sprechen.

Wie kann die cAC von anderen entzündlichen Augenerkrankungen abgegrenzt werden? Wie sollte man diagnostisch vorgehen?

Allgöwer: Das erste ist, dass man sich den ganzen Hund anschauen muss, das ganze Bild. Häufig begegnet man der cAC bei Atopikern und Allergikern, die unter Umständen noch gar nicht diagnostiziert sind. Aber wenn man den Patienten untersucht, findet man viele Hinweise, wie etwa, dass bereits eine Pododermatitis oder eine Otitis vorliegt. Am Auge sieht man die bereits beschriebene hochgradige Bindehautentzündung, die in aller Regel mit serösem Augenausfluss einhergeht. Primär ist die Hornhaut nicht betroffen bei der cAC. Bei den reinen Allergikern ist tatsächlich zunächst nur die Bindehaut betroffen. Diese ist geschwollen. Manchmal ist sie nur ein wenig verdickt und etwas gefältelt – bis hin zur Chemosis. Wenn es sich um eine akute allergische Reaktion handelt, kann es sein, dass die ganze Bindehaut wässrig durchtränkt ist und vorquillt. Aber das klinische Bild muss nicht immer so stark sein. Dann kommt es noch häufig vor, dass die Hunde blinzeln, dass sie irritiert sind. Der Zustand der Augen hängt auch davon ab, wie lange das klinische Geschehen schon andauert. Im Sommer sehen wir Pollenallergien von 2–3 Wochen Dauer. Am Anfang liegt noch keine Verhornung der Konjunktiva vor, sondern man hat ein ganz akutes Bild mit Schwellung und Rötung der Bindehaut und serösem Augenausfluss. Hier sollte man den Schirmer-Tränen-Test machen und den Grenzwert bei etwa 15 ansetzen. Bei einer akuten cAC wird der Wert erhöht sein. Danach sollte ein Fluoreszein-Test gemacht werden, um Defekte an der Hornhaut auszuschließen. Wenn ich einfach ein diffus rotes episklerales Bild habe, dann kann ich Epinephrin einsetzen. Die oberflächlichen konjunktivalen Gefäße sprechen auf Epinephrin an, sie ziehen sich zusammen und das Auge wird blass und weiß. Wenn es die darunterliegenden Schichten betrifft, die Episklera oder wenn es ein intraokulares Problem ist, z.B. eine Uveitis, die noch nicht so stark ausgeprägt ist, dass ich sie auf den ersten Blick erkenne, wird mir der Epinephrin-Test insofern helfen, als dass dann die Bleichung des Auges weniger ausgeprägt sein wird. Dann muss ich weiter untersuchen. Insgesamt ist bei der cAC das Auge sonst komplett obB. Ein weiterer Baustein zur Absicherung der Diagnose ist die Zytologie mittles Cytobrush. Diese rolle ich nach der Probennahme auf einem Objektträger aus und färbe den Ausstrich per Diff-Quick an. Wenn ich vorwiegend Lymphozyten, Plasmazellen und Eosinophile sehe – Letztere sind nicht immer zwingend vorhanden –, dann habe ich einen weiteren Hinweis, dass es sich um eine cAC handelt. Sehe ich keine Eosinophilen und vielleicht nur wenige Plasmazellen, heißt das nicht, dass nicht trotzdem eine cAC vorliegen könnte.

Ab wann gilt der Schirmer-Tränen-Test als erhöht im Sinne einer cAC?

Allgöwer: Bei einem gesunden, jungen Hund ist ein Ergebnis von 15–20 als normales Ergebnis zu werten, auch 21, 22 kann mal noch als physiologisch zu betrachten sein. Da ist keine ganz scharfe Grenze zu ziehen. Wir sprechen wohlgemerkt immer vom Tränen-Test 1, ohne jede Vorbehandlung, also auch ohne Lokalanästhetikum. Generell gilt, wenn der Wert >20 ist, dann ist er auffällig. Wenn er 25 oder 30 ist, dann handelt es sich um eine Überproduktion von Tränen wie sie bei einer typischen Reizbindehautentzündung bei einer akuten cAC zu erwarten ist. Das Trickreiche ist jedoch: Wenn das Geschehen schon länger geht, dann schwellen die kleinen Kanälchen aus der Tränendrüse zu und dann kann auch die Tränenproduktion viel niedriger sein. Und bei einem länger anhaltenden Geschehen sind auch häufig die Meibom’schen Drüsen gestört in ihrer Produktion, dann tritt eine qualitative Störung des Tränenfilms in den Vordergrund, eine qualitative Keratoconjunctivitis sicca (KCS). Besteht das Krankheitsgeschehen schon länger, gar das ganze Jahr über, oder handelt es sich um einen Atopiker, dann kann durch die chronische Bindehautentzündung sekundär ein Tränenfilmproblem entstanden sein. Da wird es diagnostisch schwieriger, denn man sieht dann entweder durch die Schwellung eine verminderte Tränenproduktion und gewinnt den Eindruck, es mit einem trockenen Auge zu tun zu haben oder man sieht eine Überproduktion an Tränen und eine gestörte Komposition der Tränenflüssigkeit, bei der die Dreischichtigkeit – Fett, Wasser, Mukus – direkt auf dem Hornhautkontakt gestört ist. Vor allem fehlt der Fettfilm, was zu einem vermehrten Verdunsten der Tränenflüssigkeit führt. Dann steht das klinische Bild einer qualitativen Tränenfilmerkrankung im Vordergrund. Und trotzdem muss man dann wieder an die cAC denken und in der Diagnostik voranschreiten. Leidet der Patient sehr stark unter Epiphora, muss man die Durchgängigkeit der Tränenwege überprüfen mit dem Jones-Test. Bei dem gibt man Fluoreszein ins Auge und kontrolliert, ob der Farbstoff aus dem entsprechenden Nasenloch austritt. Ist jedoch der ganze Bereich geschwollen und der Hund hat ggf. noch eine Rhinitis, dann ist der Abfluss aus dem Tränenkanal einfach durch eine Schwellung gestört und deshalb muss man bei negativem Jones-Test den Tränennasenkanal in Lokalanästhesie spülen, was übrigens nahezu alle Patienten sehr gut mitmachen. Und nur die Spülung liefert den eindeutigen Hinweis darauf, dass ein Tränennasenkanal verstopft ist oder verlegt. Dann habe ich ausgeschlossen, dass es sich um ein ableitendes Problem handelt und dann folgt der nächste Schritt in der Diagnostik: ein Allergietest. Dabei muss ich natürlich darauf achten, dass das Tier systemisch nicht vorbehandelt ist mit Kortison in den zurückliegenden 4 Wochen, ggf. auch 6 Wochen. Kortisonhaltige Augentropfen sollten mindestens 2 Wochen vor Testung abgesetzt werden, da alle Augentropfen zu minimalen Teilen auch systemisch resorbiert werden. Anamnestisch arbeiten wir die üblichen Fragen beim allergischen Patienten ab. Hier ist besonders der zeitliche Rahmen resp. Kontext sehr wichtig. Wir leiten aus dem Serum einen Allergietest auf die exogenen Allergene ein, d.h. die Allergene, die aus der Umwelt an das Auge resp. die Schleimhäute geraten. Ein kompletter Allergietest schließt die saisonalen und die ganzjährigen Allergene ein. Nahrungsmittelallergien interessieren uns hier nicht.

Wie sieht ein effektiver Behandlungsplan aus?

Allgöwer: Wir versuchen den Besitzern immer zu vermitteln, dass man die Allergie nicht ausheilen kann und dass es nicht den einen „Golden Drop“ gibt und dann verschwinden die lästigen Symptome. Die Aufklärung der Besitzer ist unheimlich wichtig, um Frustration vorzubeugen – das ist in Analogie zur Humanmedizin. Wir können die klinische Symptomatik verbessern, aber wegbekommen wird man die Erkrankung nicht. Bei einer saisonalen Allergie auf z. B. eine Pollenart, funktioniert das vielleicht, aber zumeist handelt es sich ja um gemischte Allergien bei unseren Hundepatienten. Zur lokalen Therapie kommen beim Menschen antiallergische Augentropfen, die nicht kortisonhaltig sind, z.B. Mastzellenstabilisatoren wie Chromoglycin, die man mehrmals täglich geben muss, Antihistaminika wie Azelastin oder Levocabastin oder Kombinationen davon zum Einsatz. Diese sind jedoch insgesamt weniger potent als kortisonhaltige Augentropfen. Wir setzen Antihistaminika und Mastzellenstabilisatoren bei Hunden nicht gerne ein, d.h. nur sehr selten, weil die von der Wirkung her einfach nicht gut sind und man muss sie alle 6 Stunden tropfen, also 4-mal täglich. Und auch der Effekt ist zu gering, was die Compliance des Besitzers beeinträchtigt. Wenn die Beschwerden heftig sind, dann ist es sicherlich sinnvoll, lokal Kortison als Monopräparat – sofern kein anderes Problem parallel besteht – zu geben. Wir haben bei Hunden das Glück, dass wir keine vergleichbaren Nebenwirkungen haben wie beim Menschen. Beim Humanpatienten kann die lokale Kortisongabe einen Grauen oder Grünen Star verursachen. Es gibt Studien, dass der Augeninnendruck beim Hund zwar durch eine lokale Kortisongabe erhöht werden kann, aber eine Katarakt kann nicht induziert werden.

Sind flankierend lindernde Maßnahmen sinnvoll?

Allgöwer: Ja, unbedingt. Eine Maßnahme ist sehr zu empfehlen. Und zwar, dass man nach den Spaziergängen ein konservierungsmittelfreies Tränenersatzpräparat im Überschuss, es reichen schon 2-3 Tropfen pro Seite, in die Augen gibt und damit Feinstaub und Pollen von der Bindehaut wegspült. Es ist sehr wichtig, dass man bei Allergikern konservierungsmittelfreie Augentropfen benutzt. Das ist von Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen „Augenduschen“, denn diese sind meist nicht konservierungsmittelfrei und sie weisen eine für diesen Zweck ungünstige Zusammensetzung aus verschiedenen Stoffen auf. Der Tränenfilm ist ohnehin gestört bei Allergikern und wenn man mit einer Augendusche die ganzen „guten“ Tränen quasi wegwischt und vom pH-Wert und der Osmolarität völlig daneben liegt, dann ist das nicht sinnvoll. Oder gar eine Spülung mit einer Kochsalzlösung vornimmt: Das ist nicht physiologisch, das macht hier keinen Sinn. Da ist es sehr viel zweckdienlicher, ein konservierungsmittelfreies Tränenersatzpräparat zur Augenspülung zu verwenden und den Kopf des Tieres feucht mit einem Microfasertuch zu reinigen, um die Pollenbelastung zu reduzieren. Es gibt viele geeignete humanmedizinische konservierungsmittelfreie Präparate, die in Tropfflaschen, die 30 Tage lang anwendbar sind, angeboten werden. Die Tropfen sollten nicht allzu viskös sein wegen des angestrebten Spüleffektes. Zusätzlich kann man Antiallergika oral geben, z.B. Ceterizin, das vertragen die Hunde gut und es ist unserer Erfahrung nach gut wirksam. Allergiker mit einem chronischen, ganzjährigen Problem sehen wir viel häufiger als jene mit einer hochakuten cAC. Und die chronischen sind sehr viel schwieriger zu therapieren. In der Regel sind die Hunde entweder gegen Pollen allergisch, was dankbar ist, hier kann man z. B. kortisonhaltige Augentropen zur Zeit des Pollenflugs einsetzen und die beschriebenen Maßnahmen anwenden oder man kann ggf. eine Desensibilisierung durchführen. Bei ganzjährigen Allergikern sind häufig Milben die Verursacher: Vorratsmilben sind recht dankbar in der Behandlung, die Hausstaubmilben sind jedoch sehr undankbar.

Liebe Frau Dr. Allgöwer, herzlichen Dank für das Gespräch.