Die blinden Flecken in der Arzneimittelforschung16. Januar 2025 Foto: Stefan/stock.adobe.com Wie viel Geld investiert die öffentliche Hand in die Entwicklung von Medikamenten? Das AIHTA will Licht ins Dunkel bringen und zeigt am Beispiel Antibiotika: Ohne öffentliche Beihilfen und Förderungen gibt es keine neuen Produkte. „Es ist nicht nur die Pharmaindustrie, die als Innovator zu sehen ist, sondern auch die öffentliche Hand.“ Mit diesen Worten bringt PD Dr. Claudia Wild, Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technologie Assessment (AIHTA), auf den Punkt, was die EU von der Industrie künftig verlangt: Unternehmen, die wollen, dass die öffentlichen Gesundheitssysteme ihre Produkte einkaufen, müssen offenlegen, wie groß der Anteil der öffentlichen Mittel entlang der gesamten Entwicklung war. Und zwar von den Grundlagen der Forschung bis zum Market Access. Bis Ende 2025 will das AIHTA – im Rahmen eines von der EU-geförderten Projektes – den Krankenversicherungen und Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten ein Handbuch für Preisverhandlungen mit der Industrie liefern. Das könnte konkret den regionalen Krankenhäusern und der Sozialversicherung von Nutzen sein. „Es soll eine Anleitung zur Selbsthilfe bieten“, erläutert Wild. Im Detail geht es darum, wie sich Daten von Herstellern einfordern, beziehungsweise selbst fundiert recherchieren lassen. Erste Erfahrungen, solche Informationen in die Preisverhandlungen einzubeziehen, liegen bereits aus Italien und Frankreich vor. Den ersten Teil hat das von der EU beauftragte AIHTA jetzt am Beispiel Antibiotika fertiggestellt und dabei auch gleich auf Praktikabilität getestet: „Piloting a Framework for analysing the public contributions to R&D: new antibiotics in focus“ ist nun publiziert worden. Wild: „Wir wollen unterstützen, wenn es darum geht, herauszufinden, wo öffentliche Gelder entlang der Wertschöpfungskette geflossen sind – direkt oder indirekt.“ Dazu gehört etwa die Grundlagenforschung, die fast überall zu einem großen Teil von der öffentlichen Hand getragen wird. Auch universitäre Spin-Outs, die später von der Industrie übernommen werden, oder auch Standort- und Wirtschaftsförderungen für Produktionsanlagen sollen beziffert werden – ebenso wie die Infrastruktur in Krankenhäusern, die für große, klinische Studien der Industrie genutzt werden. Untersucht wurden alle 126 in den vergangenen zehn Jahren in der Entwicklung befindlichen, eingestellten und zugelassenen antimikrobiellen Arzneimittel. Antibiotika als Beispiel für Marktversagen Geht es um so wichtige Medikamente, wie Antibiotika, lassen die jetzt vorgelegten Ergebnisse aufhorchen. Demnach werden neue Produkte für den Kampf gegen Resistenzen fast ausschließlich mit öffentlichen Geldern entwickelt. Hintergrund ist, dass die Interessen der Industrie anders gelagert sind, denn bei neuen Präparaten versagt der Markt: Sie werden nur im Notfall eingesetzt und wirken „nur“ gegen einen Erreger. Die Ertragsmöglichkeiten sind damit aus Sicht der Unternehmen gering. Die öffentliche Hand ist deshalb bei der Entwicklung eingesprungen. Seit 2014 wurden 27 neue antimikrobielle Mittel zugelassen, wobei 17 von großen Pharmakonzernen, jedoch zehn – und damit mehr als ein Drittel – von kleinen und mittleren Unternehmen entwickelt wurden. In Phase 3 befinden sich 17 Verbindungen, davon 5 von großen Unternehmen und 11 von kleinen und mittleren Unternehmen. Das Muster ist immer gleich – bei allen Medikamentengruppen, sagt Wild: „Praktisch die gesamte Grundlagenforschung geht über die öffentliche Hand.“ Jede Universität hat dann ein Technologie-Transfer-Office für den Wissenstransfer – zur Unterstützung von Patenten und das Finden von Industriepartnern. Diese kommen meist erst in den klinischen Phasen dazu, wenn weitgehend klar ist, dass eine Entwicklung nicht mehr scheitern kann. Das von der Industrie ins Treffen geführte Risiko, das bei den Verhandlungen für hohe Preisvorstellungen sorgt, trägt also tatsächlich nicht selten die öffentliche Hand, die damit ihrerseits mit Risikokapital arbeitet. Wild: „Die öffentliche Hand trägt ebenso ein Risiko. Nur redet sie nicht so oft darüber wie die Unternehmen.“ Eine eingehende Untersuchung des Antibiotika-Medikaments Venatorx ergab etwa öffentliche Investitionen in Höhe von rund 655 Millionen US-Dollar, was private Investmentfonds mit 45 Millionen klar in den Schatten stellt. Transparente Datenbank fehlt Allerdings ist die Art des öffentlichen Mitteleinsatzes sehr breit, und oft nur schwer zu fassen. Es gibt kein Reporting, was genau mit den Geldern passiert und welche Ziele damit verbunden sind. In der öffentlichen Diskussion geht diese fundamentale Rolle der öffentlichen Hand, der finanzielle Einsatz und das Risiko, das übernommen wird, überhaupt unter. „Wir leben alle in dem Mythos, dass allein die Pharmafirmen die Innovatoren sind und die Preise durch das hohe Risiko entstehen. Das ist falsch“, fasst Wild die aktuellen Ergebnisse des AIHTA zusammen. Und sie legt den Finger in eine offene Wunde: Während die EU darstelle, was sie mit den Geldern macht und eine entsprechende Datenbank zur Verfügung steht, sind solche transparenten Prozesse auf nationaler Ebene derzeit nicht vorhanden. Es brauche auch in Österreich ebenso wie in den anderen Mitgliedsstaaten eine einsehbare, strukturierte Aufbereitung der Daten um Licht ins Dunkel zu bekommen.
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