Die diabetische Katarakt beim Hund – Kurzinterview mit Veterinärophthalmologin Dr. Ingrid Allgöwer26. Juli 2023 Katarakt mit „water clefts“ und linseninduzierter Uveitis bei einem Hund Foto: © Allgöwer Bei diabetischen Hunden entwickelt sich im Verlauf der Erkrankung in den meisten Fällen eine diabetische Katarakt – nach 16 Monaten leiden 80% der Tiere daran. Der Hund kann innerhalb weniger Tage vollständig erblinden. Hier muss der behandelnde Tierarzt zügig eingreifen. Dr. Ingrid Allgöwer ist Veterinärophthalmologin und leitet eine Praxis mit 4 angestellten Tierophthalmologen in Berlin. Das Team behandelt etliche tausend Fälle von Augenerkrankungen bei Tieren pro Jahr. Über die diabetische Katarakt beim Hund hat die Spezialistin mit Kompakt VetMed gesprochen. Das Interview führte Tierärztin Sigrun Grombacher. Frau Dr. Allgöwer, bei der diabetischen Katarakt des Hundes besteht die Gefahr der Erblindung in kürzester Zeit. Um diese zu verhindern, muss der Tierarzt schnell eingreifen. Was ist bei der diabetischen Katarakt beim Hund grundlegend zu beachten? Dr. Ingrid Allgöwer Foto: © Allgöwer Allgöwer: Bei diabetischen Hunden ist wichtig zu wissen: 50% der Diabetiker haben nach 6 Monaten eine Katarakt, 75% nach 1 Jahr und 80% nach 16 Monaten. So ist davon auszugehen, dass nach anderthalb Jahren nahezu jeder diabetische Hund eine Katarakt hat. Die Hyperglykämie wirkt sich im Auge aus und in der Linse. Die Linse schwillt an, quillt auf und die Linsennähte treten auseinander und dazwischen bilden sich richtige Wasserspalten, sogenannte water clefts. Die sind pathognomonisch für eine rasch entstandene Katarakt und klinisch sehr gut zu erkennen. Der Diabetiker kann innerhalb von wenigen Tagen komplett erblinden. Wenn die Linsenkapsel durchlässig wird und die Katarakt Linseneiweiß ins Auge freisetzt, dann kommt es zu einer schweren linseninduzierten Uveitis, d.h. einer inneren Augenentzündung. Zur Uveitis gehört auch eine Engstellung der Pupille. Dies bzw. die Uveitis erschwert dem Tierarzt unter Umständen zu erkennen, dass eine Katarakt vorliegt. Meist werden die Hunde bei uns vorgestellt, weil sie erblindet sind oder weil sie eine schwere Uveitis haben. Oft ist der Diabetes noch gar nicht diagnostiziert, wenn die Hunde bei uns vorstellig werden, und wir als Ophthalmologen müssen dann die Diagnose Diabetes mellitus stellen … Ob und wie schnell bzw. wann eine Katarakt entsteht, hängt nicht unmittelbar von der Einstellung des Diabetes ab. Für Diabetes-Patienten wiegt eine Erblindung besonders schwer, weil es so rasch passiert und sie keine Möglichkeit haben, sich langsam an die verminderte Sehleistung anzupassen. Viel Zeit bleibt dem behandelnde Tierarzt nicht … Allgöwer: Wichtig ist: Bei einer rasch entstandenen Katarakt muss auch genauso schnell gehandelt werden. Denn, wenn bereits eine phakoklastische Uveitis entstanden ist, dann kommt es ganz schnell zur Netzhautablösung und zum Glaukom. Dann kann man nichts mehr machen. Wenn man aber sofort bei Entdeckung der Katarakt mit antiinflammatorischer Therapie sowohl systemisch mit nichtsteroidalen Antiphlogistika als auch lokal mit nichtkortisonhaltigen Augentropfen, d. h. nichtsteroidalen Antiphlogistika, beginnt, und die Patienten umgehend zum Ophthalmologen überweist, dann sind die Chancen gut. Wir operieren die Hunde sehr zeitnah, um das Auge zu retten. Keinesfalls warten wir ab bis der Diabetes optimal eingestellt ist, denn dann hätte man das Auge verloren. Wir sehen zu, dass die Tiere nicht in eine Ketoazidose gehen und dass sie während der Narkose nicht hypoglykämisch werden und operieren die wirklich so bald wie nur eben möglich. In der OP saugt man das ganze Linsenmaterial ab, setzt eine Kunstlinse ein und dann hat man wie bei den anderen Kataraktpatienten eine ausgezeichnete Erfolgsaussicht von ungefähr 90-95%. Im Anschluss an die OP sollte der Patient für 2 Wochen ruhig gehalten werden und einen Halskragen tragen. Ist mit weiteren Augenproblemen zu rechnen bei diabetischen Hunden? Allgöwer: Diabetespatienten bekommen alle ein trockenes Auge und sie haben eine Neigung zu Infektionen und Hornhautulzerationen, darauf muss man sich einstellen und den Besitzer auch. Die Augen müssen langfristig getropft werden und regelmäßig kontrolliert. Vor der Katarakt-OP schrecken viele Tierbesitzer wohl aus Unwissenheit zurück. Bedarf es einer besseren Aufklärung über die guten Erfolgsaussichten? Allgöwer: Die Katarakt-OP ist eine sehr befriedigende Therapie für den Hund und für den Besitzer. In aller Regel übernimmt eine Hunde-OP-Versicherung eine diabetische Katarakt-OP, denn es handelt sich ja um eine erworbene Erkrankung, es kommt natürlich auf die Vertragsbedingungen an. Zu bedenken ist außerdem, dass nichtoperierte Hunde ja auch in Komplikationen gehen wie eine Studie gezeigt hat (Krishnan H et al., 2020; s. unten). Die Rate bei den nichtoperierten ist sogar höher als bei den operierten Hunde-Patienten. Die Komplikationen, die sich bei den nichtoperierten ergeben, sind Glaukom und Netzhautablösung. Dann muss ich enukleieren oder eine Prothese einsetzen und habe dann auch eine Operation zu tragen, aber im Resultat einen blinden Hund oder einen schmerzhaften Hund, den ich dauerhaft therapieren muss. Nichts zu machen ist demnach keine Alternative. Liebe Frau Dr. Allgöwer, herzlichen Dank für das Gespräch.
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