„Die Medizin steht vor einer Zeitenwende“27. November 2023 Bild: vefimov – stock.adobe.com Anlässlich der 18. Jahrestagung der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) gibt der DWG-Präsident und Gastgeber Prof. Markus Arand im Interview Einblicke zu wichtigen Kongressthemen, der aktuellen Gesundheitspolitik und dazu, was ein Wirbelsäulenchirurg und ein Schiedsrichter gemeinsam haben. Herr Professor Arand, Sie haben der Jahrestagung 2023 das Motto „Zurück in die Zukunft“ gegeben. Was hat es damit auf sich?Arand: Wir sind als Mediziner immer wieder in der Situation, das, was wir tun, neu bewerten zu müssen. Dabei müssen wir uns einerseits besinnen auf das, was wir als Bewährtes, als Grundlage haben, und andererseits die Entwicklungsmöglichkeiten, also die Zukunft, vor Augen haben. Zudem steht die Medizin hinsichtlich der Versorgung gerade vor einer Zeitenwende und es stellt sich die Frage, wie und ob wir alle unsere Patienten in der Zukunft noch adäquat behandeln können. Diese Sorge verstärkt die aktuelle gesundheitspolitische Ausrichtung noch. Kongresspräsident Markus Arand (Foto: Held/Conventus) Da sprechen Sie die Krankenhausreform von Minister Lauterbach an.Arand: Genau. Er spricht derzeit davon, dass etwa 400-500 – zumeist kleinere – Kliniken von der Landkarte verschwinden sollen. Da sind auch Kliniken dabei, die wichtig für die Versorgung von Menschen mit Wirbelsäulenerkrankungen sind. Was da auf uns zukommen wird, wissen wir noch nicht so genau. Aus meiner Sicht kommen wir aus relativ gesicherten Versorgungsstrukturen in einen Bereich, wo sich das System, in welchem Wirbelsäulenchirurgie betrieben wird, neu definieren muss. Die Krankenhausreform zielt ja darauf ab, dass sich Qualität durchsetzt. Ist das nicht auch für ihr Fachgebiet gesehen vernünftig, weil sich die Patienten bei einer komplizierten Wirbelsäulenoperation dann sicher sein könnten, dass sie von einem Spezialisten behandelt werden?Arand: Qualität wird – aus unterschiedlichen Perspektiven gesehen – oft unterschiedlich interpretiert. Wir als Deutsche Wirbelsäulengesellschaft weisen seit vielen Jahren unsere Qualität durch Datenerhebung und Register nach. Ob das jedoch die Qualität ist, die sich Herr Lauterbach vorstellt, das wissen wir nicht. Also sehen Sie die Reformbestrebungen eher skeptisch?Arand: Nein, ich möchte hier keine Skepsis schüren. Ich glaube schon, dass durch eine gewisse Konzentration im Krankenhaussektor durchaus eine Qualitätsverbesserung erreicht werden kann. Auch die Verschlankung gegebener Strukturen sehe ich positiv. Ob uns die Reform in der Personalsituation entscheidend weiterhilft, bezweifle ich allerdings. Die Krankenhausreform wird aus aktuellem Anlass auch im Programm des DWG-Kongresses ein Thema sein. Ein weiterer Schwerpunkt im Programm ist die steigende Versorgung altersbedingter Brüche. Welche speziellen Anforderungen stellen sich hier? Wie sollte man diese Entwicklung in den künftigen Bedarf einrechnen?Arand: Wir sehen in unserer täglichen Arbeit eine starke Zunahme knöcherner Verletzungen der Wirbelsäule bei älteren Menschen, die dann verbunden sind mit einer reduzierten Knochendichte und vollkommen anderen Behandlungsanforderungen. Neben der reinen Versorgung des Bruches muss der Chirurg dann eben auch eine Osteoporosetherapie einleiten. Diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren laut Forschermeinungen nochmals steigern und wir müssen diesen wachsenden Bedarf der Versorgung von altersbedingten Brüchen künftig in den Klinikalltag mit einrechnen. Auch im Hinblick auf die diversen Begleiterkrankungen dieser Patienten. Was ist mit dem Begriff „Ambulantisierung“ gemeint? Im Kongressprogramm wird es dazu einen Vortrag im Zusammenhang mit minimalinvasiver Chirurgie geben.Arand: Das bedeutet ambulante Eingriffe ohne stationäre Behandlung. Darauf wird aktuell in unserem Gesundheitssystem extrem viel Wert gelegt. Das wird die Zukunft. In der Wirbelsäulenchirurgie sicher etwas langsamer als in anderen Bereichen, weil es sich hier oft um komplexe Operationen handelt. Doch auch bei uns wird das kommen. Das heißt, dass einige Wirbelsäuleneingriffe stationär nicht mehr bezahlt werden. Für die Patienten ist das sicherlich eine schöne Entwicklung, weil die meisten ja nicht im Krankenhaus bleiben möchten. Um Risiken zu minimieren, muss man hier aber sehr genau die Patienten anschauen, die dafür geeignet sind. Es gibt Kofaktoren, die ambulante Eingriffe völlig unmöglich machen. Als Vortragende im wissenschaftlichen Programm finden sich ein Unternehmensgeschäftsführer, ein Strafverteidiger und ein Schiedsrichter. Was für Berührungspunkte haben diese Referenten mit Ihrem Fachgebiet?Arand: Ein Schiedsrichter muss innerhalb kürzester Zeit eine Situation bewerten und unter Druck eine Entscheidung treffen, die richtungsweisend für das gesamte Spiel sein kann. Ähnlich ist das bei einer Operation. Der Jurist wiederum kann uns sagen, wie man sich im Falle einer auftretenden Komplikation klug verhält, welche Abwägungen hier wichtig sind. Und vom Unternehmer können wir lernen, wann es sinnvoll ist, den richtigen „Change“ zu machen, um sich nicht auf einem falschen Weg zu verlieren. Das ist ein wesentlicher Teil des wirtschaftlichen Erfolges: den Mut zu haben einen Wandel einzugehen, wenn es diesen erfordert. Ich bin mir sicher, dass alle Kongressteilnehmer Impulse aus diesen Vorträgen mitnehmen werden. Worauf freuen Sie sich als Kongresspräsident ganz besonders?Arand: Es ist einfach schön, den Kongress der größten europäischen Wirbelsäulengesellschaft mit Themen prägen zu können, die einem am Herzen liegen, wie das eben angesprochene „Change Management“ oder die Zukunftsvision unseres Gesundheitswesens. Oder berufspolitische Themen, wie die Personalentwicklung und speziell die Etablierung von mehr Frauen in der Wirbelsäulenchirurgie, mit einfließen zu lassen. Das Interview führte Romy Held, Conventus Congressmanagement
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