Die Pansenwand im Fokus16. Januar 2023 Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Ganz schön was los da drin: Wiederkäuer sind auf die Stoffwechselkapazität ihres Pansens angewiesen, um die für andere Tierarten nicht verwertbaren Pflanzenstoffe effektiv zu verdauen. Hauptakteure bei der Verdauung im Pansen sind Mikroorganismen, die die Tiere mit hochwertigem Eiweiß und wichtigen Stoffwechselprodukten wie kurzkettigen Fettsäuren versorgen. Diese bilden die Hauptenergie- und Proteinquelle für die Pflanzenfresser. Die Biologie von auf der Pansenwand lebenden Mikroben und deren Einfluss auf die Verstoffwechselung der Futtermittel von Wiederkäuern sind bisher kaum erforscht. ForscherInnen der Vetmeduni, des Österreichischen Kompetenzzentrums für Futter- und Lebensmittelsicherheit sowie der Universität Wien, identifizierten nun erstmals dominante und sehr aktive mikrobielle Populationen an der Pansenwand. Die Studie ist in „Nature Microbiology“ veröffentlicht worden. Ein fundiertes Verständnis und eine Optimierung der Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft im Pansen kann die Effizienz der Energieproduktion beim Wiederkäuer entscheidend verbessern und gleichzeitig die Umwelt- und Klimabelastung der Wiederkäuer- und Milchproduktion minimieren. In aktuellen Forschungsarbeiten konnte gezeigt werden, wie mikrobielle Stoffwechselprodukte den Energiehaushalt des Rindes beeinflussen. Besonders die kurzkettige Fettsäure Acetat versorgt den Wiederkäuer mit dem für den Fettaufbau so wichtigen Kohlenstoff. Neben einer bereits seit langem bekannten dosisabhängigen Beziehung zwischen Acetat und Milchfett, ist Acetat auch Substrat für andere, sehr wichtige Stoffwechselprozesse im Körper. Mikrobielle Populationen identifiziert In ihrer Studie konnten die Wissenschaftler erstmals dominante wie auch aktive mikrobielle Populationen an der Pansenwand nachweisen. „Eine Gruppe von Mikroben, die sich dabei als besonders häufig und aktiv herausstellte, waren zuvor unkultivierbare Campylobacteraceae“ berichtet Cameron Strachan, Erstautor der Studie. „Diese sind hoch spezifisch an das Rind angepasst, und haben nichts mit lebensmittelassoziierten Erkrankungen beim Menschen, wie zum Beispiel durch Campylobacter jejuni hervorgerufen, zu tun“, setzt er fort. Zuerst führten die Wissenschaftler eine Analyse der genetischen Struktur von Campylobacteriaceae an der Pansenwand durch und dann wurden, basierend auf evolutionärer Theorie, ökologisch differenzierte bakterielle Populationen vorhergesagt. Der Ansatz basierte auf der Analyse des Genflusses, welcher koexistierende Mikroben in genetisch und ökologisch unterschiedlichen Populationen trennt. Solche Populationen werden als Gruppen eng verwandter, gemeinsam vorkommender Bakterien definiert. Diese sind durch spezifische Anpassungen gekennzeichnet, sodass sie sich zumindest in einigen Merkmalen von ihren am engsten verwandten Populationen unterscheiden. „Weitere Analysen ergaben eine große Übereinstimmung bei den wichtigsten Stoffwechseleigenschaften dieser Populationen, aber eben auch einige Unterschiede, welche zur unterschiedlichen Besiedlung der Pansenwand beitragen könnten,“ so Cameron Strachan. Interessanterweise fanden die AutorInnen einen so genannten metabolischen „trade-off“, bei dem eine Population unter Acetat besser wachsen kann, aber durch eine andere kurzkettige Fettsäure, Propionat, gehemmt wird, während die andere Population mit keinem der Substrate einen nachweisbaren Wachstumsvorteil oder -nachteil zeigte. Neben Acetat ist Propionat die zweitwichtigste kurzkettige Fettsäure im Pansen des Wiederkäuers. Propionat wird üblicherweise aus leichtfermentierbaren Kohlenhydraten wie Zucker und Stärke produziert und liefert die Glucose für das Rind, wodurch Korrelationen mit einzelnen Populationen erkennbar wurden, die mit dem beobachteten trade-off übereinstimmten. Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse, wie metabolische Unterschiede, die aus mikroevolutionären Prozessen entstehen, mikrobiologische Populationen formen können, die wiederum die Verfügbarkeit von kurzkettigen Fettsäuren für Wiederkäuer erheblich beeinflussen. Obwohl die Auslöser der Differenzierung der Campylobacteraceae Population schwer zu finden sind, spekulieren die AutorInnen, dass sie während der sogenannten agrokulturellen Revolution mit der Domestizierung des Rindes stattfand, und, dass Verschiebungen in der Futterzusammensetzung (z. B. mit dem Einsatz von zuckerreichen Weiden oder von Getreiden) den Differenzierungsprozess eingeleitet haben könnten, der bis heute im Zuge der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft andauert. Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, sollten die Auswirkungen der intensiven Wiederkäuerhaltung auf die Umwelt verringert werden. Die Analyse des Pansenmikrobioms ist dabei ein vielversprechender Ansatzpunkt.
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