Die Rolle des Kaliumstroms im Hirnstamm bei der Chronifizierung von Schmerzen

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Warum verschwinden einige Schmerzen, während andere anhalten und chronisch werden? Einen überraschenden Unterschied auf zellulärer Ebene entdeckten Wissenschaftler aus Israel.

Forscher von der Hebräischen Universität in Jerusalem, Israel, zeigen in einer jüngst in „Science Advances“ veröffentlichten Studie, dass sich die zellulären Vorgänge in Projektionsneuronen als Antwort auf akute und chronische Schmerzen unterscheiden. Ihre Entdeckung wirft ein neues Licht darauf, wie Schmerzen chronisch werden – und eröffnet Möglichkeiten für gezieltere Behandlungen.

Natürliches Bremssystem für Schmerzen

Das Team um den Doktoranden Ben Title unter der Leitung von Prof. Alexander M. Binshtok von der Hebräischen Universität – Hadassah School of Medicine und dem Center for Brain Sciences (ELSC) an der Hebräischen Universität erforschte in speziellen Experimenten mit Mäusen das superfizielle dorsale Horn der Medulla oblongata, in dem sich Neuronen befinden, die als Schaltstation für Schmerzsignale fungieren. Diese Projektionsneuronen helfen dabei, Schmerzsignale vom Körper an höhere Hirnregionen weiterzuleiten.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass diese Neuronen bei akuten inflammatorischen Schmerzen ihre eigene Aktivität herunterfahren. Dieses eingebaute „Bremssystem“ hilft, die Menge der an das Gehirn gesendeten schmerzbezogenen Signale zu begrenzen. Sobald die Entzündung und die Schmerzen abklingen, kehren die Neuronen in ihren normalen Zustand zurück.

Bei chronischen Schmerzen versagt dieses Bremssystem jedoch, wie die Forscher in ihren Experimenten zeigen konnten. Ihnen zufolge reduzieren die Neuronen ihre Aktivität nicht – vielmehr werden sie erregbarer und feuern mehr Signale ab, was möglicherweise zur Persistenz der Schmerzen beiträgt.

Der Schlüsselakteur: Typ-A-Kaliumstrom

Mithilfe einer Kombination aus Elektrophysiologie und Computermodellierung identifizierten die Forscher den Kaliumstrom vom Typ A (IA) als einen Schlüsselmechanismus, der dabei hilft, die Erregbarkeit der Neuronen zu regulieren.

Bei akuten Schmerzen steigt der IA an und wirkt wie ein natürliches Beruhigungsmittel für die Schmerzbahnen. Bei chronischen Schmerzen steigt dieser Kaliumstrom jedoch nicht an, und die Neuronen werden hyperaktiv. Das Fehlen dieser Regulierung könnte einer der biologischen Schalter sein, der vorübergehende Schmerzen in einen chronischen Zustand verwandelt.

Auswirkungen auf die Behandlung chronischer Schmerzen

Die Forscher sehen in ihren Erkenntnissen einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Schmerzchronifizierung. Die Studie zeige, auf welche Weise die körpereigenen Schmerzregulationsmechanismen des Nervensystems bei langfristigen Schmerzzuständen gestört werden.

„Dies ist das erste Mal, dass wir gesehen haben, wie sich dieselben Neuronen bei akuten und chronischen Schmerzen so unterschiedlich verhalten“, sagte Binshtok. „Die Tatsache, dass dieser natürliche ‚beruhigende‘ Mechanismus bei chronischen Schmerzen fehlt, deutet auf ein neues Ziel für die Therapie hin. Wenn wir einen Weg finden, dieses Bremssystem wiederherzustellen oder nachzuahmen, könnten wir möglicherweise verhindern, dass Schmerzen chronisch werden.“