Digitaler Zwilling: Herzerkrankungen mit Künstlicher Intelligenz erforschen

Wie lässt sich mit KI ein Herz realistisch simulieren? Daran arbeitete das HM-Forschungsteam im Projekt SmartHeart (Foto: ©Alexander Ratzing)

Patientenspezifische Digitale Zwillinge des Herzens sollen künftig dabei helfen, die Ursachen kardiovaskulärer Erkrankungen zu erforschen und die Auswirkungen von Eingriffen vorherzusagen.

Die Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind oft multifaktoriell. „Es gibt zahlreiche Wechselwirkungen beispielsweise zwischen Blutdruck, der Form und Funktion des Herzmuskels sowie der Herzklappen. Diese komplexen Zusammenhänge lassen sich nur schwer an lebenden Patienten untersuchen“, erklärt Ludwig Wagmüller.

Der Maschinenbauer entwickelte in seiner Promotionsarbeit an der Hochschule München (HM) ein personalisiertes Computermodell eines pulsierenden Herzens. Mithilfe von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) kann dieses patientenspezifisch angepasst werden. Damit soll künftig ermöglicht werden, das Verhalten des Herzens auch ohne invasive Diagnoseverfahren zu analysieren.

Bisherige Modelle oft langsam und ineffizient

Das besondere: Den Forschern zufolge benötigt das Modell weitaus weniger Rechenleistung als traditionelle Simulationen. Bislang hätten Supercomputer für die Berechnung und Visualisierung eines einzigen Pulsschlags mehrere Stunden benötigt, erklärt Wagmüller. Somit seien sie einerseits zu langsam, andererseits nur in aufwendiger Weise patientenspezifisch adaptierbar gewesen.

Im Projekt SmartHeart entwickelte er nun ein neuartiges Herzmodell mithilfe von KI-Methoden. Dafür arbeitete er zusammen mit Simulationsexpertinnen und -experten an der Fakultät für Maschinenbau, Fahrzeugtechnik und Flugzeugtechnik der HM sowie der Technischen Universität München (TUM). Das von ihnen entwickelte Modell könne die patientenspezifische Geometrie detailgetreu nachbilden und brauche dennoch weniger Rechnerleistung als traditionelle Simulationen, heben die Wissenschaftler hervor.

Schneller rechnen mit KI

Der Trick zur Erstellung des Digitalen Zwillings: „Wir nutzen eine Kombination aus statistischen Verfahren und KI. Dieser Ansatz sorgt dafür, dass die Simulation weniger Rechenzeit benötigt“, sagt der Doktorand.

Eine wichtige Rolle spielt dabei das Reduced Order Modeling. Dabei handelt es sich um ein bekanntes Verfahren, welches komplexe Modelle in solcher Weise herunterbricht, dass sie weniger Rechenleistung benötigen, aber dennoch eine hohe Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Modell aufweisen. Die Forschenden konnten so erstmalig typische Bewegungsmuster in der Herzbewegung über verschiedene Patientengeometrien hinweg identifizieren und mathematisch beschreiben.

Das digitale Durchschnittsherz

Das neue Herzmodell basiert auf realen Daten von lebenden Patientinnen und Patienten. Mit Hilfe von siebzig anonymisierten MRT-Datensätzen gelang es Wagmüller, den Digitalen Zwilling eines Durchschnittsherzens inklusive seiner Abweichungen zu simulieren. Dieser wurde anschließend – ebenfalls mit anonymisierten – MRT-Daten trainiert.

Das Ergebnis ist ein pulsierendes, digitales Herz-Kreislauf-System, mit dem sich wesentliche physikalische Vorgänge abbilden und vorhersagen lassen. Dieser Digitale Zwilling lässt sich mit Hilfe von spezifischen Daten individualisieren.

Digitaler Zwilling auf dem Weg in die klinische Praxis

„Durch die Kombination von reduzierten Modellen, die die Simulation beschleunigen, sowie variablen Geometrien, die eine Individualisierung erlauben, eröffnet die Simulationstechnik völlig neue Anwendungen“, resümiert HM-Professor Markus Gitterle, der gemeinsam mit HM-Professor Michael Wibmer das Projekt leitete. So ermögliche der Digitale Zwilling langfristig Einblicke in pulsierende Herz-Kreislauf-Systeme.

Ein Zukunftstraum der Forscherinnen und Forscher sei die Visualisierung und Erprobung chirurgischer Eingriffe: „Der Digitale Zwilling wird laufend weiterentwickelt. Auf diese Weise lässt sich vielleicht eines Tages schon vor einem Eingriff am offenen Herzen untersuchen, ob die geplante Operation den gewünschten Erfolg bringt“, ergänzt Wibmer.

Das Projekt wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert und gemeinsam mit den Projektpartnern AdjuCor GmbH sowie Prof. Michael W. Gee der TUM umgesetzt.

(ah/BIERMANN)