Digitalisierung zu schnell, GOÄ zu langsam4. Mai 2021 Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (r.) beim virtuellen 124. Deutschen Ärztetag. Foto: Bundesärztekammer Digitalisierung und Krankenhäuser – das waren die Schwerpunkte einer Diskussion zwischen Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beim 124. Deutschen Ärztetag. Doch auch die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) war wieder einmal dabei. In seiner Begrüßungsrede warnte Reinhardt vor einer überhasteten Einführung digitaler Anwendungen. Sicher seien Telemedizin und Videosprechstunden eine sinnvolle Ergänzung, gestand er zu. Die bereits fertigen Anwendungen wie die Notfalldaten und den elektronischen Medikationsplan könnten schnell umgesetzt werden. „Ich warne aber vor zu hoher Taktung bei neuen Anwendungen.“ Ein Feldversuch bei den Notfalldaten habe zum Beispiel gezeigt, dass Nachbesserungen oft nötig seien. Der Bundesärztekammerpräsident forderte, Anwendungen, die nicht primär der Patientenversorgung dienen, zu verschieben und nannte das elektronische Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheigung. Appell gegen Sanktionen bei Digitalisierung „Nutzen Sie bestehende Gesetzgebungsverfahren, um Sanktionen zu streichen oder wenigstens auszusetzen“, appellierte er an Spahn. Es sei für die Ärzte unmöglich, bis zum 30. Juni die elektronische Patientenakte digital umzusetzen. „Das ist kein Verschulden der Ärzte! Die Industrie muss nachbessern. Und dennoch hängt das Damoklesschwert der Sanktionen über uns.“ Generell gab der Allgemeinmediziner zu bedenken: „Die Digitalisierung muss sich an Bedürfnissen der Patienten, nicht an den Marktinteressen ausrichten.“ Spahn entgegnete, er könne den Leitantrag des Ärztetages, der eine überhastete Digitalisierung konstatiere, nicht verstehen. Nach 16 Jahren Stillstand sei im Januar die elektronische Patientenakte gestartet. Dass er in der Digitalisierung Tempo mache, sei auch darin begründet, dass Deutschland gerade in der Gesundheit, „bei dem sensibelsten, was wir haben“, nicht von anderen Ländern, insbesondere China, abhängig sein dürfe. „Wir schaffen es aber nicht bis zum 30. Juni“, insistierte Reinhardt in der anschließenden Diskussion. Wenn es den Ärzten technisch nicht möglich sei, alles bereitzustellen, dürfe es auch keine Sanktionen geben. Der Ärztepräsident schaffte es, dem Gesundheitsminister das Versprechen abzuringen: „Wenn es objektiv nicht möglich ist, gibt es auch keine Sanktionen.“ Konsens für mehr Kooperation Beim Thema Krankenhäuser gab es viele Übereinstimmungen zwischen den Positionen der beiden. „Wir brauchen eine moderne und zukunftsfeste Krankenhausplanung. Es muss nicht überall alles gemacht werden, wir brauchen mehr Kooperation, ein funktional abgestuftes subsidiäres System“, sagte Reinhardt. Spahn sagte fast gleichlautend: „Es muss eine bessere Kooperation zwischen den Krankenhäusern geben, es muss nicht jeder alles machen.“ Der Bundesärzekammerpräsident forderte aber auch, gerade angesichts der Erfahrungen der Pandemie, dass es keinen Personalabbau geben dürfe. Von den KollegInnen müsse der Druck genommen werden, Rendite zu erzielen. „Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge, sie sind keine Industriebetriebe. Wir haben das Mantra von mehr Markt und Wettbewerb stets kritisch hinterfagt.“ Schuld an der Misere seien zum großen Teil die Bundesländer. „Sie kommen meist völlig unzureichend ihrer Pflicht zur Investitionsfinanzierung nach.“ Dies sei „keine weltfremde Forderung, sondern der Einsatz für Strukturen, die eine humane Medizin ermöglichen“. Da ein Appell offenbar nicht ausreiche, müsse eine verpflichtende Kofinanzierung aus dem Bund her. Spahn entgegnete, erst müsse es „Bedarfsgerechtigkeit“ bei den Krankenhäusern geben, „dann zahle ich Daseinsvorsorge“. Der Minister kritisierte, dass es bei den Kliniken keine richtige Bedarfsplanung wie etwa bei der Feuerwehr gebe. So passiere es, dass zwei Krankenhäuser in unmittelbarer Nähe das Gleiche anböten. „In jeder deutschen Großstadt gibt es Überversorgung, so ist das“, behauptete er. Daher sprach sich Spahn wie Reinhardt für Zusammenlegungen und Kooperationen aus – „wegen der Qualität, nicht aus finanziellen Gründen“. Als Beispiel nannte er die Prostata-Chirurgie: „Eine Prostata-Operation will ich nicht im einem Krankenhaus haben, wo das nur zehnmal im Jahr gemacht wird. Große Zentren erreichen 40 bis 60 Prozent weniger Inkontinenz und Impotenz. Dafür würde ich 1000 km fahren.“ “Ausreden gibt es keine mehr“ Schließlich musste der Bundesärztekammerpräsident aber auch noch einmal die GOÄ ansprechen. Während Spahn bei Impfen und Digitalisierung den Turbo einlegt, tritt er bei diesem Thema eher auf die Bremse. Erst vor Kurzem hatte der Bundesgesundheitsminister Hoffnungen zerstreut, die GOÄ könnte noch in dieser Legislaturperiode von seinem Ministerium akzeptiert werden (wir berichteten). „Es ist ein kleiner Skandal, dass der freie Beruf Arzt nach 30 Jahren noch keine neue Gebührenordnung hat“, sagte Reinhardt. „Dabei hat sich die beauftragte Kommission klar für den Erhalt des dualen Versicherungssystems – mit Reformen – ausgesprochen“, erinnerte er. „Wir haben die Zeit genutzt. Die neue GOÄ enthält 5595 Positionen, konsentiert und von ärztlicher Seite betriebswirtschaftlich kalkuliert. Wir haben viele der von der Kommission geforderten Reformen umgesetzt. Von unserer Seite steht nichts mehr im Wege. Jetzt ist die Politik am Zug, Ausreden gibt es keine mehr.“ (ms)
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