DKOU 2017: Wirbelsäule – operieren wir zu viel?

DWG-Präsident Christian Knop nimmt auf einer Pressekonferenz auf dem DKOU Stellung zu den angeblich zu hohen OP-Zahlen in Deutschland. Foto: © Biermann Medizin/hr

Oft wird kritisiert, Deutschland sei mit 15 Millionen Wirbelsäulen-Eingriffen „Weltmeister” beim Griff zum Skalpell. Im Rahmen des DKOU widerspricht DWG-Präsident Prof. Christian Knop dieser Einschätzung. Demnach ist Deutschland keineswegs Weltmeister sondern Mittelfeld.

Laut OECD-Studie aus dem Jahr 20131 ist Deutschland mit 15 Millionen Wirbelsäulenoperationen pro Jahr Spitzenreiter auf diesem Gebiet. Seitdem stehen orthopädische Eingriffe immer wieder in der Kritik. „In der Öffentlichkeit ist die Frage ob zu häufig operiert wird vermeintlich schon beantwortet“, stellt Prof. Christian Knop, Präsident der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) fest.

Die Meldung „Deutschland als OP-Weltmeister“ sei eine Sensation gewesen und unkritisch als wahr übernommen worden. Vor allem zwei Aspekte der OECD-Studie kritisiert Knop. Zum einen hätten die Autoren nicht die tatsächlichen Operationen gezählt, sondern die Anzahl der Prozeduren-Schlüssel (OPS-Codes), die im deutschen Gesundheitssystem die Grundlage für die Leistungsabrechnung bilden. Mit diesen Codes würden aber auch die Einzelschritte einer Operation abgebildet. „Das ist, als würde man im Fußball nicht die geschossenen Tore zählen, sondern die Anzahl der Ballkontakte, die zum Tor geführt haben“, so Knop. Aber nicht nur in den Printmedien, selbst in Publikationen der Bundesregierung finde sich die falsche Gleichsetzung der Anzahl der Codes mit der Anzahl der Operationen.

Auch bei der Betrachtung der Zunahme von Operationen über einen mehrjährigen Beobachtungszeitraum wurde, so Knop weiter, lediglich die Anzahl der verschlüsselten Codes gezählt. So wurden für die Zeiträume von 2005 bis 2013 drastische Zunahmen operativer Eingriffe publiziert – ohne zu berücksichtigen, dass im Beobachtungszeitraum die Kataloge der OPS-Codes verändert und immer weiter ergänzt wurden, um die Details einer Operation besser abbilden zu können. Damit sei naturgemäß auch die Anzahl der verwendeten OPS-Codes pro Operation gestiegen. Selbst in jüngsten Studien hätten nicht die operierten Patienten oder die Anzahl der Operationen analysiert, sondern weiterhin die Daten des statistischen Bundeamtes, die sich nur auf die OPS-Codes beziehen.

Zum anderen berücksichtige die Publikation nicht den Altersdurchschnitt in den jeweiligen Ländern: In Deutschland leben vergleichsweise mehr ältere Menschen. Nach einer altersadjustieren Analyse liege Deutschland nur noch im Mittelfeld2. „Leider hat diese Meldung nicht mehr den Weg auf die Titelseiten gefunden“, sagt Knop.

„Aufgrund der Kritik an den Operationszahlen entscheiden sich mittlerweile auch hierzulande manche Patienten gegen eine Operation, sogar dann, wenn diese aus medizinischer Sicht notwendig wäre“, ergänzt Knop und warnt vor falschen Schlüssen. Bei Traumata, Tumoren, Infektionen oder krankhaften Verformungen der Wirbelsäule ist eine Operation häufig notwendig und kann lebensverlängernd sein. „Für den Notfall haben wir eine sehr gute Versorgung“, konstatiert Knop. Ansonsten sei die Standardbehandlung beim Kreuzschmerz konservativ und eine Operation keine Ad-hoc-Entscheidung, sondern ein langer Findungsprozess.

Knop betont, dass er als Präsident der DWG – gemeinsam mit den mehr als 1500 Mitgliedern – jeden Ansatz zur Verbesserung der Qualität in der Medizin unterstütze. Die DWG habe dazu mehrere Initiativen gestartet zum Beispiel die persönliche Qualifikation der Operateure, die Dokumentation aller Wirbelsäulenoperationen im nationalen Register der DWG oder der die Zertifizierung von Kliniken. „Zertifikate sind kein Allheilmittel“, stellt Knop fest „aber kleine Bausteine, um die Qualität zu verbessern.“ Auch auf der kommende Jahrestagung in Stuttgart, sei die „Qualität in der Medizin“ einer der Schwerpunkte. (ja)

Literatur:

  1. Managing Hospital Volumes Germany and Experiences from OECD Countries, Ankit Kumar, Michael Schoenstein und OECD Health Working Paper No. 61 International Variations in a Selected Number of Surgical Procedures von McPherson, K., G. Gon und M. Scott
  2. H. Stüwe, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 112, Heft 10, 6. März 2015