DKOU 2019: Spannungsfeld Technik und Ethik – „Soll alles erlaubt sein was geht?”24. Oktober 2019 Festredner Norbert Lammert beleuchtet das Spannungsfeld zwischen technologischem Fortschritt in der Medizin und Ethik und welche Rolle Medizin und Politik bei grundsätzlichen Fragestellungen spielen können. Foto: hr, Biermann-Medizin Der Festvortrag von Norbert Lammert auf der Eröffnung des diesjährigen DKOU beleuchtete das Spannungsfeld zwischen technologischem Fortschritt in der Medizin und grundsätzlichen ethischen Fragestellungen, etwa ob alles erlaubt sein soll, was möglich ist, wie die Politik regulierend eingreifen kann und wo die Grenzen der regulatorischen Möglichkeiten liegen. „Die Herausforderung an Medizin und Politik zwischen Technik und Ethik bewältigen wir entweder gemeinsam – oder gar nicht“, appellierte Norbert Lammert, seit Januar 2018 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Bundestagspräsident, in seinen Festvortrag an die Zuhörer. Lammert verwies darauf, dass technische Innovationen auf jeden Fall stattfinden, die Frage sei nur wie und unter welchen Bedingungen. Sein Vortrag lieferte viele Denkanstöße – etwa die Frage danach, ob alles was geht zulässig sein sollte, gerade auch in der Medizin: „Erträgt das die Gesellschaft oder braucht sie Grenzen, die zwar durch Innovation und technologischen Fortschritt überschritten werden könnten, aber aus ethischen Gründen nicht überschritten werden sollten?“ „Fortschritt braucht ethische und rechtliche Rahmenbedingungen“ Unter der Fülle an technischen Fortschritten und Innovationen hob Lammert die Rolle der Digitalisierung und insbesondere der Künstlichen Intelligenz (KI) hervor. An diese gebe es höchst unterschiedliche Erwartungen, die von Apokalypse bis Euphorie reichten. Es liege im Wesen der KI, dass komplexe Systeme Entscheidungen treffen. Aber wer trage die Verantwortung für diese Entscheidungen – der Hersteller, der Käufer, der Nutzer oder der Gesetzgeber? Lammert stellte den grundsätzlichen Bedarf einer Regulierung durch die Politik fest: „Fortschritt braucht ethische und rechtliche Rahmenbedingungen.“ Diese würden durch die Politik geschaffen. Lammert zeigte die Grenzen der regulatorischen Möglichkeiten des Gesetzgebers auf und machte dies am Umgang mit Daten fest, der global sehr unterschiedlich gehandhabt werde. Der europäischen Sicht – die Daten gehören demjenigen von dem sie erhoben wurden – stellte er etwa das amerikanische Modell und das chinesische Modell gegenüber. Während in den USA die Daten dem Unternehmen gehörten, das sie erhebt, gilt in China, dass der Staat den Anspruch auf die Daten hat. Kein europäischer Gesetzgeber hat bisher „auch nur den Hauch einer Chance“ globale Standards zu setzen was den Umgang mit Daten angeht, bedauerte er. Lammert zufolge muss Politik letztendlich immer verantwortlich entscheiden. „Sie kann allerdings nicht festlegen, was richtig und was falsch ist, da sie es nicht weiß.“ Eine demokratisch legitimierte Mehrheit könne auch nicht der Nachweis der Richtigkeit der eigenen Meinung darstellen. „Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein“ Die drei DKOU-Kongresspräsidenten Paul Alfred Grützner, Thomas Möller und Carsten Perka. Foto: hr, Biermann Medizin Die große Bedeutung der Digitalisierung in der Medizin betonte auch Kongresspräsident Prof. Paul Alfred Grützner, aber: „Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein.“ Sie müsse unterstützen. Hier nannte er als positives Beispiel entscheidende Vorteile durch Digitalisierung in der Notfallversorgung. Dem gegenüber warnte er vor dem Verlust von ärztlichen Freiheiten „wenn eine Software die Prozesse bestimmt“. Gerade ärztliche Freiheiten sieht Grützner durch Überregulierung im Gesundheitswesen durch eine Fülle von Gesetzen und zunehmenden ökonomischen Druck eingeschränkt. Eine Lösung könne eine Veränderung des Systems nach dem Vorbild der Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken sein. Hier gebe es keine Sektorengrenzen, einen lückenlosen Anschluss an die Rehabilitation und keine Deckelung der Kosten. Allerdings seien auch Kompromisse einzugehen, denn in diesem System gebe es etwa Einschränkungen bei der freien Arzt- und Krankenhauswahl. Aber der Wandel könne gelingen, wenn alle auf Basis gemeinsamer Werte agierten. Grützner mahnte auch die Weiterentwicklung der Fachgesellschaften an. „Wir müssen uns stärker international ausrichten“ Kongresspräsident Prof. Carsten Perka verwies in seinem Grußwort auf das vorhandene Potenzial für Veränderungen, allerdings brauche es dafür „schlankere und effizientere Entscheidungswege“. Als Erfolg hob er die erste gemeinsame Mitgliederversammlung von DGOU, DGOOC und DGU in diesem Jahr hervor auf dem – nun auch de jure – ersten gemeinsamen Kongress der Dachgesellschaft mit den Fachgesellschaften und dem Berufsverband. Ein weiterer Erfolg auf politischer Ebene ist die Vorbildfunktion des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) für das vom Gesetzgeber geplante Implantateregister: „Das EPRD als Blaupause für gesetzliche Vorgaben ist bemerkenswert“, konstatierte er. Auf der anderen Seite sparte Perka nicht mit Kritik am Fach O&U und seinen Fachgesellschaften. Prinzipiell müsse man weniger um sich selbst kreisen und mehr Bereitschaft zu Veränderungen zeigen. So mahnte er in Bezug auf die Wissenschaft: „Wir müssen uns stärker international ausrichten.“ Es gelte hier die Wettbewerbsfähigkeit des Faches zu stärken. Auch die Spezialisierung müsse vorangetrieben werden, um sich internationalen Standards anzupassen, so Perka weiter. In den neuen Technologien sieht er eine Chance, verwies aber trotzdem auf mögliche Wechselwirkungen, da „die Technologien, die wir nutzen wollen, werden auch uns verändern.“ „Verletzungen der Autonomie entgegentreten“ Neue Antworten auf Herausforderungen wie Digitalisierung, Qualitätsprüfungen und Transparenz oder Ökonomisierung forderte auch Dr. Thomas Möller, Kongresspräsident des BVOU. Diese Herausforderungen blieben bestehen, schafften aber neue Abhängigkeiten. Als Beispiel nannte Möller die Abhängigkeit von der Gematik beim Anschluss von Praxen und Krankenhäusern an die Telematik-Infrastruktur oder die Abhängigkeit von externen Beobachtern, die Qualität beziehungsweise Performance beurteilen. Um diesen Bedrohungen der ärztlichen Freiheit zu begegnen brauche es neue Fähigkeiten. „Wir müssen keine IT-Fachleute oder Öffentlichkeitsarbeiter werden, aber wir müssen genug wissen, um den Verletzungen unserer Autonomie entgegenzutreten“, konstatierte er. Die ärztliche Kompetenz und der ärztliche Beruf seien zunehmend Angriffen ausgesetzt. So warnte Möller vor der Unterminierung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient durch verschiedene Interessengruppen etwa Politik, Medien oder Selbsthilfegruppen: „Jeder weiß, was für die Patienten gut ist – und jeder weiß es besser. Dabei behandeln wir Ärzte die Patienten.“ Außerdem warnte Möller vor einer zunehmenden Marginalisierung der konservativen Orthopädie und Unfallchirurgie, durch die der breite Zuschnitt von O&U auf dem Spiel stehe. „Gäbe es eine Liste an bedrohten Therapiearten – die konservative Orthopädie und Unfallchirurgie stünde darauf.“ Und das trotz des riesigen Bedarfs an konservativen Therapien. (ja)
Mehr erfahren zu: "Direkt zum Facharzt? Kassenärzte schlagen Extratarif vor" Direkt zum Facharzt? Kassenärzte schlagen Extratarif vor Erst zum Hausarzt, erst dann zum Spezialisten – so soll künftig die Reihenfolge aussehen. Die Kassenärzte schlagen nun eine Alternative vor.
Mehr erfahren zu: "Ottobock geht an die Börse" Ottobock geht an die Börse Ottobock legt die Preisspanne für den Börsengang fest – wie viel die Aktien kosten sollen und wofür der Orthopädietechnikhersteller die Einnahmen nutzen will.
Mehr erfahren zu: "Kommen E-Patientenakten jetzt voll auf Touren?" Kommen E-Patientenakten jetzt voll auf Touren? Die allermeisten Versicherten haben inzwischen einen digitalen Speicher für Gesundheitsdaten – und Ärztinnen und Ärzte müssen sie in wenigen Tagen auch immer befüllen. Wird das dann rasch zum Alltag?