DOC 2021 digital: Innovators Lecture und Ridley Lecture – Von Datenseen und phaken Linsen

Prof. Michael Forsting (l.) und Dr. Lucio Buratto. Bildquellen: © Medienzentrum UK Essen, Buratto

Zu den wissenschaftlichen Highlights der General Session zählen auf den DOC-Kongressen jeweils die Innovators Lecture (Albrecht von Graefe-Vorlesung) und die Ridley Lecture. Die Ehre, diese Vorlesungen zu halten, hatten in diesem Jahr Prof. Michael Forsting, Direktor der Radiologie und medizinischer Direktor der zentralen IT des Universitätsklinikums Essen, und der international renommierte Katarakt- und Refraktiv-Spezialist Dr. Lucio Buratto aus Mailand, Italien.

Der Schwerpunkt der Forschungsarbeit von Prof. Forsting liege auf dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin, betonte Laudator Prof. Michael Knorz. Dabei begrenze sich der KI-Einsatz jedoch nicht auf den bereits gut digitalisierten Bereich der Radiologie. Vielmehr vernetze Forsting alle Abteilungen der Essener Uniklinik, um alle Daten in einem großen Pool für die Auswertung verfügbar zu machen.
Als Beispiel der vielen Ehrungen, die Forsting erhalten habe, verwies Knorz besonders auf die letztjährige Auszeichnung als „Vordenker des Jahres“ der Initiative Gesundheitswirtschaft.
Seit 2012 ist Forsting Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Zudem ist er Ehrenmitglied sowohl der chinesischen als auch der koreanischen Gesellschaft für Radiologie.

Als Einstieg in seine Innovators Lecture „Digitalisierung: Robotics, KI“ gab Forsting allen, die KI für ihr Fach nutzbar machen möchten, einen grundlegenden Rat mit auf den Weg: Die Grundvoraussetzung des Deep Learning sind hochvalide Daten (Ground Truth). „Wenn Sie Deep-Learning-Algorithmen mit schlechten Daten trainieren, wird nichts dabei herauskommen.“

Die größten Veränderungen in der Medizin durch KI-Einsatz erwartet Forsting im Bereich der sprechenden Medizin. Dieser sei im Gegensatz zu den technischen Disziplinen der Medizin – „die Originaldaten sind absolut fehlerfrei“ – hypothesengetrieben und daher fehleranfällig.

Nach einem Überblick, wie er in der Essener Klinik für Radiologie beim KI-Einsatz vorgegangen ist, gab Forsting einige Beispiele aus der Praxis, wo KI beispielsweise „langweilige“ Tätigkeiten übernehmen, Untersuchungen optimieren und weiterführende Erkenntnisse liefern kann. So nannte er unter anderem das Zählen von Plaques in MRT-Aufnahmen von MS-Patienten während der Verlaufsuntersuchungen. Des Weiteren könne KI Kontrastmittelreduktionen bei radiologischen Aufnahmen ermöglichen, indem Bilder, für die nur 20 Prozent der üblichen Kontrastmittelmenge eingesetzt worden seien, von Algorithmen auf 100 Prozent virtuellen Kontrast hochgerechnet würden. Als ein Beispiel für „omics“ in der KI (mehr aus Daten erkennen als zunächst vorhanden) nannte Forsting das Training eines Algorithmus zur Vorhersage distanter Organmetastasen und Lymphknotenmetasen bei einem Patienten mit Zervixkarzinom, indem sich die KI lediglich den Tumor „ansehe“.

Sodann ging Forsting der Frage nach, welche Player KI auf breiter Ebene in die Medizin einbringen werden. Seiner Überzeugung nach werden dies voraussichtlich große (Universitäts-)Kliniken sein, da sie viele Daten hätten und diese auch validieren könnten, also in der Lage seien, dafür zu sorgen, dass der „Datensee“ nicht mit schlechten Daten verunreinigt werde, veranschaulichte Forsting. Große Kliniken seien zudem am ehesten in der Lage, die Systeme zu trainieren und – ganz entscheidend: „Wir kennen die Fragestellungen. Wir können dafür sorgen, dass Informatiker nicht Probleme lösen, die wir gar nicht haben.“
Um die künftig neu entstehenden Produkte der medizinischen KI auf den Markt zu bringen, seien auch strategische Partner nötig, machte Forsting auf das an der Essener Uniklinik neugegründete Institut für KI in der Medizin aufmerksam. Aufgabe der mehr als 130 Mitarbeiter dieses Institutes sei es, KI-Anwendungen für die unterschiedlichen Disziplinen zu identifizieren, Systeme zu trainieren und zu überprüfen, inwieweit Medizin damit verbessert werden könne. In diese „Super Diagnostic Farm“, wie Forsting das Institut nannte, flössen mikrobiologische, genetische, pathologische, virologische, radiologische et cetera Informationen ein – „gerne auch der Augenhintergrund“ –, sodass „ein großer diagnostischer See“ entstehe, um am Ende personalisierte Medizin betreiben zu können.

Abschließend prognostizierte Forsting, dass noch ein weiterer Player in die medizinische KI einsteigen werde: Google, Amazon und Co. Auch diese großen IT-Konzerne sähen den medizinischen KI-Markt. Sie hätten bislang zwar keine realen Daten aus dem Gesundheitswesen respektive dem Krankenhaus, könnten aber exzellent mit großen Datenmengen umgehen, meinte Forsting und zeigte sich fest davon überzeugt, dass diese Player auch selbst in den Krankenhausmarkt einsteigen würden. Wahrscheinlich nicht in Deutschland, so Forsting, doch die IT-Konzerne würden sich alle Gesundheitsmärkte ansehen und künftig dort auch alle ihre Services anbieten.

Als „Take Home Messages“ formulierte Forsting sinngemäß diese drei Botschaften:
Wir digitalisieren die Medizin, um die Personalisierung der Medizin zu realisieren. Digitalisierung hat nicht das Ziel, vor Datenverlusten zu schützen.
Wer in die KI einsteigen will, sollte zunächst versuchen, die einfachen Dinge zu lösen.
Große Kliniken können ein Treiber für KI-Anwendungen in der Medizin sein. Sie können die ungelösten Probleme gut definieren und am besten dabei helfen, große und valide Datenseen aufzubauen.

PIOL-Explantation bei Katarakt-OP: Mit oder ohne Femtolaser?
„Lucio Buratto hat die moderne Katarakt- und Excimerlaser-Chirurgie entscheidend mitgeprägt“, eröffnete Prof. Rupert Menapace seine Laudatio auf den Ridley Lecturer 2021. Er erinnerte unter anderem daran, dass Buratto bereits 1978 mit der Phakoemulsifikation nach Kelman und 1979 mit der Implantation von Hinterkammerlinsen begonnen habe. Im Jahr 1989 habe Buratto mit dem Excimerlaser die weltweit erste intrastromale Keratomileusis durchgeführt und gleichzeitig mit der die PRK-Behandlung der Myopie begonnen. Zudem habe er 2004 als erster in Europa den Femtolaser in die Refraktive Chirurgie eingeführt und 2006 damit auch die erste Hornhautverpflanzung vorgenommen.
In den mehr als 40 Jahren seiner ophthalmochirurgischen Laufbahn, so Menapace, habe Buratto inzwischen mehr als 45.000 Augen operiert und dafür mehr als 160 eigene Instrumente entwickelt.

In seiner Ridley Lecture widmete sich Buratto der Kataraktoperation bei vorhandener phaker IOL (PIOL) und der Frage, ob diese Operation dann besser mit oder ohne Femtolaser durchzuführen sei: FLACS oder Standard-Phako?
Zunächst erläuterte Buratto, welche präoperativen Untersuchungen bei einer geplanten PIOL-Explantation erforderlich sind und worauf speziell mit Blick auf die unterschiedlichen Linsentypen und -materialien zu achten ist.  
Das operative Vorgehen bei verschiedenen PIOL-Explantationen – durch eine oder zwei Inzisionen, PIOL-Entfernung im Ganzen, zerteilt oder gefaltet – demonstrierte Buratto anhand mehrerer OP-Videos und diskutierte sodann die Vor- und Nachteile des Femtolaser-Einsatzes.

Erschwert werde der Femtolaser-Einsatz insbesondere durch das PIOL-Design, erläuterte Buratto. Die optische Zone sei klein, die Linsendicke nehme von der Mitte zur Peripherie hin zu und die Mitte der optischen Zone sei in der Regel nicht identisch mit der Pupillenmitte.
Die „kritische Phase“ der PIOL-Explantation mit FLACS sei die Kapsulotomie, führte Buratto weiter aus. Eine möglicherweise inkomplette Kapsulotomie mit zurückgebliebenen Brücken oder Mikroadhäsionen könne während der Explantation zu Kapselrupturen oder -einrissen führen. Er verdeutlichte dies am Vergleich einer zentrierten und einer dezentrierten Linse; bei letzterer, so zeigte er, drohe eine inkomplette Kapsulotomie.

Ein weiteres Problem stelle die Wahl des Musters der Linsenfragmentierung dar, erklärte Buratto. So könnten etwa beim Würfel-Muster die erzeugten Linsenstücke oder auch entstehendes Gas die Sicht des Operateurs einschränken. Günstiger sei es, vier Tortenstücke zu schneiden, da hierbei weniger Linsenmaterial und Gas erzeugt würden.

Die „Pros“ des Femtolaser-Einsatzes sieht Buratto in der Reduktion des Ultraschalles, die insbesondere bei Patienten mit geringer Endothelzelldichte vorteilhaft sei, in der kürzeren OP-Zeit im Augeninneren und in der guten Zentrierung der Kapsulotomie.
Problematisch sei dagegen, dass beim Femtolaser-Einsatz Interferenzen zwischen der PIOL und der OCT des Lasers (Femto OCT Errors) möglich seien, was wiederum zu einer ungenauen oder falschen automatischen Erkennung okulärer Strukturen wie der Hornhautrückfläche, des Limbus, des Pupillendurchmessers oder der Vorderkapsel führen könnte.  

Burattos Fazit lautete, die FLACS sei viel komplexer als die Standard-Phako. Die Entscheidung für eine PIOL-Explantation mit FLACS müsse daher genau abgewogen und der Eingriff von einem erfahrenen Femtolaser-Nutzer durchgeführt werden. Die Standard-Phako sei bei einer PIOL-Explantation im Rahmen der Kataraktchirurgie im Allgemeinen sicherer und einfacher.

Richard P. Kratz- und Meyer-Schwickerath-Lecture
Mit der Richard P. Kratz-Lecture 2021 wurde Prof. Duy-Thoai Pham (Berlin) geehrt. Eine Kurzfassung seines Vortrages „Meilensteine der modernen Kataraktchirurgie“ ist in der DOC-Kongressausgabe 1 der Ophthalmologischen Nachrichten auf den Seiten 12–14 nachzulesen.

Prof. Frank G. Holz, Direktor der Universitätsaugenklinik Bonn, wurde in diesem Jahr von der DOC mit der Meyer-Schwickerath-Lecture ausgezeichnet. Sein Vortragsthema lautete: „Altersabhängige Makuladegeneration: Neue Perspektiven in Diagnose und Therapie.“ Eine Zusammenfassung dieser Ehrenvorlesung wird im kommenden Netzhaut-Special der Ophthalmologischen Nachrichten publiziert.

Alle Ehrenvorlesungen können von registrierten Teilnehmern der DOC 2021 digital noch bis Ende Juli im Highlight-Channel der DOC abgerufen werden. (dk)