DOG 2021: Bilanz des ersten Lockdowns – Notfallpatienten blieben Kliniken vorübergehend fern

Prof. Gerd Geerling berichtete über die Entwicklung augenärztlicher Behandlungszahlen während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Fotos: © yrabota – stock.adobe.com / Geerling

Während der ersten vier Wochen des Lockdowns im Jahr 2020 wurden nicht nur geplante Eingriffe in der Augenheilkunde stark reduziert. Es gab auch weniger augenärztliche Notfalloperationen, wie jetzt vorgestellte Daten zeigen. Die Hintergründe hierzu erläuterte Prof. Gerd Geerling von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) auf der Kongress-Pressekonferenz zur DOG 2021 online.

Zu Beginn der Pandemie waren die deutschen Kliniken angewiesen, Behandlungskapazitäten für schwere COVID-Verläufe freizuhalten. In der Folge konzentrierten sich die Augenkliniken auf augenärztliche Notfälle und dringliche Erkrankungen und stellten geplante Eingriffe weitestgehend zurück. „Diese Beschränkungen spiegeln sich in einer Befragung von 1190 Augenärztinnen und Augenärzten für den Zeitraum vom 15. März bis 15. April 2020 wider“, berichtete Geerling.
In dieser Befragung gaben 91 Prozent der Praxen und Kliniken an, ihre Sprechstundentätigkeit zu reduzieren beziehungsweise sich auf die Notfallversorgung zu beschränken. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei den Eingriffen. „Ambulante Operationen wurden von der Hälfte, stationäre Operationen von 70 Prozent der Befragten auf notfallchirurgische Eingriffe beschränkt“, fügte der Direktor der Universitäts-Augenklinik Düsseldorf hinzu.

Weniger Unfälle, Angst vor Ansteckung
Obwohl augenärztliche Notfälle somit klar priorisiert wurden, ging die Zahl der Notfallbehandlungen in den ersten vier Wochen des Shutdowns deutlich zurück, wie die jetzt vorgestellten Daten belegen. In Prozentangaben sah der Rückgang demnach wie folgt aus: Netzhautablösungen minus 34 Prozent, Bulbusverletzungen minus sieben Prozent, Glaukomanfälle minus 17 Prozent, Gefäßverschlüsse minus 31 Prozent, Hornhauttransplantationen minus 59 Prozent. „Das sind sehr deutliche Rückgänge“, sagte Geerling. „Man mag spekulieren, ob ein Lockdown-bedingter anderer ‚Lifestyle‘ mit weniger Unfällen im Beruf und in der Freizeit zu dieser Reduktion beigetragen hat. Offenbar haben die Patienten aber Arztbesuche auch aus Angst vor einer COVID-19-Ansteckung vermieden“, vermutete er.

Eine weitere Zahl untermauert diese Annahme. So stieg in dem untersuchten Monat die Rate von Operationen aufgrund schwerster Infektionen des Augeninneren um acht Prozent an. „Infektionen des Augeninneren behandeln wir zunächst mit Medikamenten“, erläuterte Geerling. Der Anstieg bei den Eingriffen erkläre sich daher vermutlich mit verspäteten Arztbesuchen, die ein radikaleres Vorgehen erforderlich machten. „Wir müssen leider davon ausgehen, dass einige Patientinnen und Patienten damit zu Beginn des Lockdowns gesundheitliche Nachteile erlitten haben“, bilanzierte der DOG-Experte.

Rasche Normalisierung
Allerdings normalisierte sich die Situation nach kurzer Zeit wieder. Wie eine Umfrage unter allen deutschen Hornhautbanken belegt, ging die Zahl der Hornhauttransplantationen im Jahr 2020 gegenüber 2019 um insgesamt nur drei Prozent zurück. „Das ist die gute Nachricht: Versäumte Operationen wurden rasch nachgeholt“, so Geerling. Auch dringliche Behandlungen wie die operative Medikamenteneingabe bei Makuladegeneration hätten trotz Pandemie jederzeit weiter stattgefunden.
Dass sich die Situation in der Augenheilkunde schnell wieder normalisierte, führt die DOG auch auf die Schutzmaßnahmen zurück, die umgehend ergriffen wurden. „Durch Abstandsregelungen, Maskenpflicht, Zugangsbegrenzungen für Begleitpersonen zu Warte- und Behandlungsräumen sowie Schutzschilde bei Spaltlampen-Untersuchungen haben wir das Infektionsrisiko erfolgreich minimiert“, betonte Geerling.

Effektive Schutzmaßnahmen und hohe Impfbereitschaft
So fand sich einer Untersuchung der Universitätsaugenklinik Köln aus der Zeit des Frühjahrs-Shutdowns 2020 zufolge unter 1145 Patienten, die stationär behandelt wurden, kein einziger mit einer SARS-CoV-2-Infektion. „Dies, obwohl 84 Prozent von 1162 befragten Augenärztinnen und Augenärzten das Infektionsrisiko in ihrem Fach aufgrund des geringen Abstandes zum Patienten vergleichsweise höher als in anderen medizinischen Disziplinen einschätzen“, berichtete Geerling. Bei einer Online-Befragung hätten 93 Prozent der Augenärzte angegeben, sich impfen lassen zu wollen.

„Sowohl die augenärztliche Versorgung von Notfallpatienten als auch die Behandlung der von Erblindung bedrohten Patienten wurden in Deutschland während der Corona-Pandemie auf hohem Niveau aufrechterhalten“, so das Fazit von DOG-Präsident Prof. Hagen Thieme. „Eine Lehre aus dieser Zeit lautet: Patienten sollten sich in einer Pandemie aus Angst vor Ansteckung nicht davon abhalten lassen, bei neu auftretenden Symptomen zum Arzt zu gehen“, betonten Geerling und Thieme.

Termin-Tipp:
Ein Symposium mit dem Titel „Aktuelle Informationen zur Rolle der Augenheikunde in der COVID-19-Pandemie” findet am Freitag, 1. Oktober, von 12.00 bis 12.45 Uhr statt (Channel 1).


Referenzen:
Hattenbach et al. Der Ophthalmologe; 7/2020.
https://doi.org/10.1007/s00347-020-01162-x
Framme et al. Der Ophthalmologe; 7/2021. https://doi.org/10.1007/s00347-021-01374-9
Rokohl et al. Graefe’s Archive; 6/2021. https://link.springer.com/article/10.1007/s00417-021-05086-3
Hattenbach et al. Der Ophthalmologe; 9/2020. https://doi.org/10.1007/s00347-020-01220-4
Kaupke N et al. Der Ophthalmologe 7/2021. https://doi.org/10.1007/s00347-020-01248-6
Deutsches Keratoplastikregister, Stand 3.8.21. Trigaux et al. Current Eye Research 2020. https://doi.org/10.1080/02713683.2020.1828487
Roth et al. Der Ophthalmologe 7/2021. https://doi.org/10.1007/s00347-021-01425-1