DOG 2021: Plötzliches Schielen – Wann handelt es sich um einen Notfall… und wann nicht?

Prof. Anja Eckstein. Foto: © Medienzentrum UK Essen

Bei jedem vierten Kind, das plötzlich schielt oder Doppelbilder sieht, diagnostizieren Ärzte in der Notaufnahme eine lebensbedrohliche Erkrankung. Bei Erwachsenen, die älter als 65 Jahre sind, ist die Ursache für neu aufgetretenes Schielen hingegen meist eine vorübergehende Durchblutungsstörung im Gehirn.

Was bei plötzlichem Schielen zu tun ist und woran man einen Notfall erkennt, erläuterte während der DOG-Pressekonferenz Prof. Anja Eckstein, stellvertretende Direktorin der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Essen sowie Leiterin der Sektion Strabologie und Neuroophthalmologie.
Ein plötzliches Schielen betrifft mitunter Menschen, die zu viel Alkohol getrunken haben oder sehr müde sind – in solchen Fällen sind die Auslöser bekannt und im Prinzip harmlos. „Hinter neu aufgetretenem Schielen oder Doppelbilder-Sehen kann aber auch eine ernsthafte Erkrankung stecken“, warnte Eckstein.

Symmetrisch gleichmäßig oder nicht?
Bei der Einschätzung, wie dringlich es sei, helfe zunächst die Unterscheidung, ob sich die Augen normal bewegen oder nicht. „Bewegen sich die Augen nicht symmetrisch gleichmäßig, handelt es sich oft um einen Notfall“, erklärte die DOG-Expertin. „Denn dann sind häufig die Hirnnerven gelähmt, die die Augenmuskeln steuern.“ Ursache einer solchen Lähmung können Hirnblutungen, Hirntumoren, Hirndruck oder ein Schlaganfall sein. „So wissen wir, dass Kinder, die mit akutem Schielen infolge einer Augenbewegungsstörung in die Notaufnahme kommen, am häufigsten an einem Hirntumor leiden“, berichtete Eckstein. Aufgrund ihres Volumens könnten Tumoren den Hirndruck erhöhen und das sei beim Blick ins Auge am geschwollenen Sehnerv erkennbar, fügte die Strabologin hinzu.

Hirnnervenlähmungen infolge von Durchblutungsstörungen
Anders verhalte es sich bei Erwachsenen über 65 Jahren, die akut schielen und auffällige Augenbewegungen zeigen würden, führte Eckstein weiter aus. „Bei dieser Altersgruppe ist die Lähmung der Hirnnerven am häufigsten durch eine kleinere Durchblutungsstörung im Gehirn bedingt.“ Lägen keine zusätzlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schwindel vor, dafür aber Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Übergewicht, würden die Betroffenen zur weiteren Abklärung zum Internisten oder Hausarzt geschickt. „Meistens bessern sich diese Hirnnervenlähmungen innerhalb von vier bis sechs Wochen von allein“, erläuterte die DOG-Expertin. Wichtig sei, durch entsprechende Vorsorge weitere Durchblutungsstörungen zu verhindern.

Akuter Handlungsbedarf bei gleichzeitigem Erbrechen, nach Unfällen und Frakturverdacht
Seien die Betroffenen jedoch jünger als 65 Jahre und litten neben Doppelbildern und Augenbewegungsstörungen zugleich unter Kopfschmerzen, Schwindel oder Erbrechen, bestehe unter anderem der Verdacht auf einen Hirntumor. Dann, so die Neuroophthalmologin, müsse sofort eine Bildgebung des Gehirns erfolgen.
Akuter Handlungsbedarf besteht laut Eckstein ebenfalls, wenn Doppelbilder nach Unfällen auftreten, etwa einem Sturz von einem Trampolin. „Zeigt sich dann auch noch ein blaues Auge, liegt wahrscheinlich eine Augenhöhlenfraktur vor, die bei Kindern innerhalb von 24 Stunden operiert werden muss.“ Andernfalls vernarbe das Gewebe und dauerhafte Schäden könnten zurückbleiben. Auch wenn sich nach einem Schlag auf das Auge Doppelbilder einstellen sollten, müsse sofort die augenärztliche Notfallambulanz aufgesucht werden. „Dann besteht der Verdacht auf eine Blow-out-Fraktur, die bei Erwachsenen innerhalb von ein paar Tagen operiert werden sollte, wenn die Doppelbilder anhalten“, sagte Eckstein. Schielen mit hervortretenden Augäpfeln könne darüber hinaus Folge einer Schilddrüsenerkrankung sein, des Morbus Basedow. In diesem Fall seien die Augenmuskeln entzündet und verkürzt, was zum Schielen führe.

Augenmuskel-Operation bei persistierendem Schielen
„In allen Fällen gilt: Ist die Grunderkrankung behandelt und bilden sich die Doppelbilder nicht zurück, kann die Schielstellung durch eine Operation der Augenmuskeln korrigiert werden“, betonte Eckstein. Für eine solche Schieloperation sei großes Erfahrungswissen notwendig, um die Symmetrie der Beweglichkeit beider Augen wiederherzustellen, da sich diese dreidimensional bewegen. Wer schiele, sollte sich an Augenärztinnen und Augenärzte wenden, die spezielle Erfahrung auf dem Gebiet der Strabologie und Neuroophthalmologie besitzen, empfahl die DOG-Expertin.


Termin-Tipp:
DOG-Symposium: „Schielen als Indiz für eine andere Grunderkrankung“. Samstag, 2. Oktober, 16:00 bis 16:45 Uhr, Channel 1