DOG 2021: Präsident Thieme ermutigt zum kritisch-offenen Umgang mit neuen digitalen Möglichkeiten30. September 2021 DOG-Präsident Prof. Hagen Thieme erinnert in der Eröffnungsrede zum DOG-Kongress 2021 online an seinen Mentor Prof. L. P. Ailleo und ermuntert alle Augenärzte, den Nachwuchs für das Fach und die neuen digitalen Möglichkeiten zu begeistern. Bildquelle (Screenshot): DOG Einen weiten Bogen von Hermann von Helmholtz bis zur Künstlichen Intelligenz in der Augenheilkunde schlägt Prof. Hagen Thieme (Magdeburg) in seiner Präsidentenrede zum DOG-Kongress 2021 online. Die Orientierungspunkte, an denen entlang sich die Rede bewegt, sind die Begeisterung für das Fach Augenheilkunde und das kritische Offensein für Neues. Das Jahr 2021 sei ein wichtiges Jahr für die Augenheilkunde, erinnert Thieme zu Beginn seiner Rede an den Geburtstag von Hermann von Helmholtz, der sich am 31. August zum 200. Mal gejährt hat. Mit der Entwicklung des Augenspiegels (1850) habe der Anatom und Physiologe von Helmholtz die Augenheilkunde entscheidend beeinflusst – hätten die Mediziner bis dahin doch nur vermuten können, was hinter der Pupille des Auges vor sich gehe, nun sei es sichtbar geworden. Die Augenheilkunde revolutioniert habe schließlich Albrecht von Graefe (1828-1870) durch den Einsatz des Augenspiegels, indem er die Augenheilkunde vor allem mithilfe dieses Instrumentes aus dem Gebiet der Chirurgie herausgelöst und als eigenständiges Fach etabliert habe. „Ophthalmologische Initialzündung“Von Graefe, so Thieme, habe als Mentor alles daran gesetzt, seine Kollegen für dieses neue Instrument zu begeistern und so könne man als Folge der Entwicklung des Helmholtz‘schen Augenspiegels von der „ophthalmologischen Initialzündung der Begeisterung für unser Fach“ sprechen. Der Blick ins Augeninnere mit einem technischen Hilfsmittel, das man selbst bedient und es einem ermöglicht, eine eigene Diagnose zu stellen … das ist „ein absolut faszinierender Moment“, den jeder erleben und nicht mehr vergessen werde, berichtet Thieme von sich selbst als Student bei Prof. L. P. Aiello in Boston (USA). Sein Mentor Aiello sei es gewesen, der bei ihm diese „ophthalmologische Initialzündung“ mittels einer Lupe während der Befundung eines diabetischen Patienten ausgelöst habe. Aus diesem persönlichen Moment schlussfolgere er bis heute: „Es sind die Mentorinnen und Mentoren, die junge Leute für unser Fach begeistern, die das Weiterleben der klinischen und wissenschaftlichen Augenheilkunde sichern helfen.“ KI nicht fürchten, sondern kontrollierenNach dem einleitenden Rückblick auf die neue Technik des Augenspiegels im 19. Jahrhundert fragt Thieme, wie es heute mit der Begeisterung für neue Techniken innerhalb der Augenheilkunde aussehe und hält es für durchaus angemessen, zunächst Zurückhaltung und Vorsicht zu zeigen. Schließlich wolle man überzeugt werden, dass Innovationen sinnvoll seien und nicht nur Spielereien, die schon nach kurzer Zeit wieder verschwunden sein könnten. Als Beispiel aus der Augenheilkunde verweist er auf das Aufkommen der Laser-Scanning-Verfahren, die zunächst zurückhaltend betrachtet worden seien, sich dann aber flächendeckend in der Augenheilkunde – und nicht nur dort – durchgesetzt hätten. Die OCT-Technologie sei mit der Zeit immer weiter verfeinert worden und aussagekräftiger geworden, sodass sie letztlich nicht nur faszinieren konnte, sondern auch überzeugen musste. Dabei seien die Datenmengen immer größer geworden und er, Thieme, habe der Entwicklung auch lange folgen könnte, berichtet er aus eigener Erfahrung. Dann aber sei ein Punkt gekommen, wo er den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen habe – die OCT-A mit ihrer hochkomplexen, verwirrenden Datenfülle. Dies sei eine eindrucksvolle Technik, räumt der DOG-Präsident anerkennend ein, er wolle auch, dass diese Aufnahmen gemacht würden, aber mancher Untersucher komme an eine Grenze und so stelle sich die Frage, ob Künstliche Intelligenz (KI) hier helfen könne.KI und eine stetig wachsende Zahl an Algorithmen lösten jedoch nicht nur bei ihm die Sorge aus, dass diese den Augenarzt eines Tages ersetzen könnten. Solche Gefühle in der Ärzteschaft gelte es ernst zu nehmen, begründet er die Wahl des Kongress-Schwerpunktes 2021 „Digitalisierung in der Augenheilkunde“. Wichtig erscheine es ihm, dass die Augenärzte die Qualität dieser neuen Instrumente nur dann beeinflussen könnten, wenn sie die Kontrolle über die Algorithmen und Daten behielten, die in diese Systeme eingespeist würden. „Garbage in = garbage out“, bringt Thieme es auf den Punkt und folgert: „Es ist unsere Pflicht, die Datenqualität zu kontrollieren.“ KI, so ist er überzeugt, dürfe und werde Ärzte nicht ersetzen. „Wir sind aber gehalten, sie zu gebrauchen.“ Download-Apps und „Dr. Google“Doch nicht nur die Ärzte nutzen neue digitale Möglichkeiten, wechselt er den Blick hinüber zur Patientenseite. Dort würden inzwischen zahllose Download-Apps genutzt und „Dr. Google“ werde allein von Augenpatienten täglich millionenfach angeklickt. Im Grunde, so Thieme, wünschten sich die Patienten – wie schon in den Zeiten von Graefes – eine eingehende persönliche Beratung, aber Termine seien knapp und der Gesprächsbedarf riesig. Daher sei es keinem Patienten zu verübeln, wenn er sich seine Zweit- oder Drittmeinung im Internet suche. Zuweilen aber dauere es dann länger, Patienten von falsch aufgegriffenem Wissen wieder abzubringen als ein fundiertes Aufklärungsgespräch gedauert hätte. Als ein Beispiel für fragwürdige digitale Angebote nannte Thieme Visus-Apps, die zumeist keine validen Daten lieferten und allenfalls „ein Bauchgefühl“ des Patienten bestätigten. Thieme ruft seine Kolleginnen und Kollegen auf, kritisch mit neuen Techniken, aber dafür offen zu sein. Es liege an den Augenärzten und der Fachgesellschaft, aus dem großen Angebot die richtigen Instrumente für die Patienten auszuwählen. Lehrstühle für digitale MedizinDie Corona-Krise, so der DOG-Präsident, habe im Zuge des Digitalisierungsschubes vor allem gezeigt, dass Neues zunächst skeptisch mache. Dennoch habe jeder in der Pandemiezeit einen „digitalen Weg“ zurückgelegt. Dieser Weg sei bei jedem anders und so befände sich auch jeder an einem anderen Punkt. Wissbegierig zu bleiben, sei jedoch die Chance, die sich allen böte. Die ohnehin schon rasche Entwicklung in der Medizin sei in der digitalen Welt um ein Vielfaches schneller geworden, konstatiert Thieme und regt daher die Einrichtung spezieller Lehrstühle für digitale Medizin an, die Studenten all das geordnet vermitteln würden, was bisher zu langsam, zu mühsam und oft unsortiert gelernt werden müsste. Die derzeit beste Lösung für die vielen kleinen und großen Probleme auf dem digitalen Weg erkennt der DOG-Präsident darin, Mentor zu sein beziehungsweise einen Mentor zu finden. „Seien Sie und bleiben Sie Mentor“, appellierte er an seine Kolleginnen und Kollegin. „Wenn Sie einen Mentor sehen, der über Ihren Tellerrand hinausblickt, fragen Sie ihn nach Hilfe. Wenn es ein Mentor ist, wird er/sie Ihnen helfen.“ (dk)
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