Behandeln unter Kriegsbedingungen: Eine Momentaufnahme aus der Ukraine

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Über die Lage und Herausforderungen der Augenklinken und Augenzentren in der Ukraine sprach PD Dr. Lyubomyr Lytvynchuk, Stellvertretender Direktor der Universitäts-Augenklinik Gießen, anlässlich einer Pressekonferenz zum 120. DOG-Kongress.

Lytvynchuk ist Ukrainer und seit fast sieben Jahren an der Universitäts-Augenklinik in Gießen angestellt. Zusammen mit Klinikdirektor Prof. Matus Rehak und mit großer Unterstützung seitens der DOG, der Retinologischen Gesellschaft, des Berufsverbandes der Augenärzte und der ophthalmologischen Community Deutschlands koordiniert er einen Teil der Hilfsaktion für ukrainische Augenkliniken und ukrainische Augenärzte.

Lytvynchuk berichtete über die Organisation und Durchführung der Versorgung von Patienten mit Augenverletzungen und Augenerkrankungen unter den Bedingungen der militärischen Invasion russischer Streitkräfte in der Ukraine.

„Der Alltag unserer Kolleginnen und Kollegen sowie der ganzen ukrainischen Bevölkerung hat sich am 24. Februar dieses Jahres dramatisch geändert. Millionen von Menschen waren gezwungen zu fliehen. Hunderttausende sind obdachlos geworden. Ohne Zukunft, Aussichten und Sicherheiten. Zehntausende wurden ermordet und getötet. Angst und Hilflosigkeit sind ständige Begleiter der ukrainischen Menschen geworden. Das Leben in der Ukraine hat andere Landschaften, Gerüche, Farben und Klänge bekommen. Zum Beispiel den Luftalarmton“, schilderte der Stellvertretende Gießener Klinikdirektor.

Die Gesamtzahl von beschädigten oder zerstörten medizinischen Einrichtungen betrage heutzutage 927. Davon seien 52  bereits vollständig wiederhergestellt worden, weitere 200 teilweise. In den Regionen Kyiv, Tschernihiw, Donezk, Mykolajiw und Charkiw sei die medizinische Infrastruktur am stärksten betroffen.

Zu den Herausforderungen der Augenklinken und Augenzentren im Krieg, so  Lytvynchuk, zählten vor allem die organisatorischen – etwa fehlendes Material und Technik -, der Verlust von medizinischem und nichtmedizinischem Personal, zusätzlich anfallende Kosten für die Organisation von Sicherheitsmaßnahmen, die Logistik selbst und natürlich fehlende finanzielle Mittel.

Aber auch medizinisch gebe es viele Herausforderungen wie Augenverletzungen durch Explosionen. Aber auch das hohe Maß an komplexen okulären Polytraumen sowie die hohe Assoziation von Augenverletzungen mit anderen Kopf-, Hals-, Gesichts- oder systemischen Verletzungen seien problematisch. Zudem könne das Vorliegen lebensbedrohlicher Zustände bei Soldaten nach einer Verletzung die Evakuierung um mehrere Tage und damit den Zugang zu einer spezialisierten augenärztlichen Abteilung verzögern, berichtete Lytvynchuk und erklärte: „Augenverletzungen, sowohl militärischer als auch ziviler Natur, sind ein schwerwiegender Teil der Verletzungen in der Ukraine. In diesem Krieg verwendet der Feind verbotene Waffen sowie Phosphorbomben und Streumunition. Daher die besonderen Charakteristika von Augenschäden. Die Frequenz militärischer Augenverletzungen in diesem Krieg beläuft sich auf sieben bis neun Prozent von der Gesamtzahl.“

Unter allen militärischen Augenverletzungen, so hieß es weiter, würden bis zu 71,9 Prozent als perforierende Verletzungen diagnostiziert. In dieser Gruppe seien 43,8 Prozent der Fälle Verletzungen mit intraokularem Fremdkörper. Deshalb spiele unter den Soldaten die Verwendung von Military Combat Eye Protection eine große Rolle. Nach einer vorläufigen Analyse hätten verwundete Soldaten, die Tactical-Brillen verwendeten, keine nachweislichen Augenverletzungen.

„Die Wiederherstellung und Unterstützung der augenärztlichen Versorgung der Zivilbevölkerung gehört auch zu der Mission unserer Wohltätigkeitsveranstaltungen“, so Lytvynchuk. „Eine große Zahl von Augenärzten aus der Ukraine ging nach Deutschland. So vielen ukrainischen Augenärzten wie möglich sollte eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht werden, sobald es die Umstände erlauben. Dort werden sie gebraucht“, betonte Lytvynchuk.