DOG-Präsident Hoerauf: „Zu wenig Zeit für Patienten und Ärzteausbildung“

DOG-Präsident Prof. Hans Hoerauf mit einer Büste des Gründers der augenärztlichen Fachgesellschaft, Albrecht von Graefe. Foto: ©DOG/Dirk Deckbar

„Wir haben zu wenig Zeit für das Patientengespräch und die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses“, kritisierte DOG-Präsident Prof. Hans Hoerauf während der Pressekonferenz zur Eröffnung des 118. DOG-Kongresses, der pandemiebedingt vom 9. bis 11. Oktober erstmals als virtuelle Jahrestagung stattfindet.

Fehlentwicklungen in der Augenheilkunde durch die zunehmende Ökonomisierung in der Medizin sind ein Schwerpunktthema des diesjährigen Kongresses, der als Schluss- und Höhepunkt des Von-Graefe-Jahres an den 150. Todestag des Gründers der Fachgesellschaft erinnert.

Fehlanreize im System müssten korrigiert, überbordende Bürokratie- und Dokumentationsvorgaben endlich abgebaut werden, lautete die zentrale Forderung des DOG-Präsidenten, die er auch in seiner Präsidentenrede erhebt und anhand eigener Erfahrungen sowohl aus der Uniklinik als auch aus dem niedergelassenen Bereich untermauert.

Ausgerechnet die Zeit des Lockdowns während der Corona-Pandemie habe ihm die kritikwürdigen Zustände in der Medizin deutlich vor Augen geführt, berichtete Hoerauf, der als Direktor die Universitäts-Augenklinik Göttingen leitet. „In diesen Wochen und Monaten geringerer Patientenzahlen hatten wir definitiv mehr Zeit für das Patientengespräch und die Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses.“ In dieser schwierigen Situation sei ihm klar geworden, dass man Medizin gründlicher und empathischer betreiben könne, als dies sonst möglich sei – wenngleich ihm die Flure manchmal auch etwas zu leer gewesen seien. „Der gesunde Mittelweg wäre nicht schlecht.“
Unter den heute üblichen Bedingungen aber, so Hoerauf, sei der Klinikbetrieb von sehr kurzen Verweildauern, Personal- und Zeitmangel sowie Überlastung geprägt. „Das ist eher ein Durchschleusen, das kennt wohl jeder.“ Fehlanreize belohnten Prozeduren und Diagnostik, wo mitunter ärztliches Abwarten angezeigt wäre. Für die Versorgung von Patienten mit komplexen Krankheitsbildern, aber auch für die Aus- und Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses stehe zu wenig Personal mit der erforderlichen Expertise zur Verfügung.

Die Ärzte müssten sich im Interesse der Patienten und der nachfolgenden augenärztlichen Generationen dem Wirtschaftlichkeitsstreben dort entgegenstellen, wo es zu Verwerfungen führe, meinte Hoerauf. Er rief dazu auf, das vorherrschende ökonomisch getriebene Leistungsprinzip mit dem Bedürfnisprinzip – dem Wunsch des Patienten nach Zeit für ihn – und der ärztlichen Ethik zusammenzubringen. „Patienten mehr Zeit zu geben, das müsste mehr wertgeschätzt werden.“

Hilfreich wäre ein Abbau von Dokumentationspflichten und Bürokratievorgaben, die aus Sicht des DOG-Präsidenten seit Jahren entgegen aller Versprechungen eher zu- statt abnehmen. „Dann wäre schon eine Menge mehr Medizin am Patienten möglich“, betonte Hoerauf. Die sprechende Medizin werde nicht leistungsgerecht vergütet, daher sei es einfacher – kostendeckender – eine Operation zu empfehlen als eventuell noch abzuwarten.
Mit Blick auf den Nachwuchs meinte er, es gebe zwar keine „Flucht“ der Weiterbildungsassistenten und Assistenzärzte, aber man sollte pfleglicher mit der jungen Generation umgehen. In der Weiterbildung sei die deutsche Augenheilkunde nicht schlecht, aber andere Länder würden dafür mehr Freiräume bieten. Es gebe also noch „Luft nach oben“, die Weiterbildung attraktiver zu gestalten.

„Albrecht von Graefe waren die korrekte Indikationsstellung, aber auch Empathie für den Patienten extrem wichtig“, schlug der DOG-Präsident den Bogen zurück zum Gründer der Fachgesellschaft. Zum Wohl seiner Patienten habe von Graefe sich auch Auseinandersetzungen mit der Krankenhausverwaltung geliefert, erinnerte Hoerauf, der zur Pressekonferenz aus einem Senderaum im Berliner Estrel-Hotel – dem sonstigen DOG-Tagungsort – der Online-Welt zugeschaltet war. Das sei zwar eine ganz gewohnte Umgebung, meinte er, allerdings fehle „der wichtige Rest“ um ihn herum.