Dr. Google versus Hippokrates30. April 2021 Birgit Houy, Annika Hättich, Florian Dittrich, Achim Hein, Marie Samland, Christian Juhra, Yasmin Youssef (v.o.l.n.u.r.) (Screenshot: hr, Biermann Medizin) Auf einem Online-Podium der digitalen VSOU-Tagung wurde das weite Feld der Digitalisierung in der Medizin und im Fach diskutiert. Welche Innovationen bringen uns die neuen Medien in der Medizin? Mit welchem Risiko? Das waren untern anderem die Fragen und zugleich auch Titel der Veranstaltung. Die Moderatorinnen Dr. Annika Hättich (Hamburg) und Dr. Marie Samland (Leipzig) beleuchteten mit den Podiumsteilnehmenden Birgit Houy (Saarbrücken), Dr. Florian Dittrich (Langenfeld), Dr. Achim Hein (Dietenhofen), PD Dr. Christian Juhra (Münster) und Yasmin Youssef (Leipzig) die Chancen und Risiken, die die Digitalisierung sowohl ÄrztInnen in Beruf und Ausbildung als auch den PatientInnen bringt. Gefühlt wurden neben den vielen positiven Aspekten ebenso viele kritische Aspekte ins Feld geführt. Die galt sowohl für den Einsatz von Apps oder Telemedizin als auch Künstlicher Intelligenz und neuester technischer Systeme in der Praxis und Ausbildung. Über allem stehen zudem die Abwägungsfragen von Evidenz, Sicherheit, Recht und Ethik. Dittrich betonte, dass man an der Digitalisierung nicht vorbeikomme, diese passiere „mit oder eben ohne die Ärzte“. Entscheidend sei, wie man die Digitalisierung einsetze. „Sie ist ein Werkzeug, mit dem wir Erfahrungen sammeln und lernen müssen, richtig damit umzugehen“, betonte er. Auch neue, innovative Systeme müssten ausprobiert werden. „Je häufiger wir dies in der Aus- und Weiterbildung machen, desto steiler die Lernkurve am Patienten“, so Dittrich. Ärzte und Patienten profitierten etwa von kürzeren OP-Zeiten gleichermaßen. Auch Juhra sprach sich dafür aus, sich aktiv digitale Möglichkeiten zu erschließen und in das Thema zu vertiefen. Telemedizin, die zum Teil kontrovers diskutiert wurde, da die Patientenuntersuchungen in O & U unerlässlich seien, biete in viele Bereichen auch Vorteile für Ärzte und Patienten, so seine Erfahrungen aus der Universitätsmedizin. Man könne die digitalen Werkzeuge „gut nutzen, um die Zusammenarbeit zu stärken“. Insbesondere seit Beginn der Pandemie würden die digitalen Möglichkeiten genutzt. Juhra geht davon aus, dass dies auch nach der Pandemie so fortgeführt wird. Bezüglich der Verordnung von Apps bemängelte er allerdings die bis heute fehlende Evidenz. Hein, Gründungsmitglied des Arbeitskreises Digitalisierung, wollte die Digitalisierung insgesamt „nicht so negativ sehen“, obgleich auch er – gerade was die Verordnung von Apps betrifft – noch viele Fragen ungeklärt sah. Wie sieht es mit der Arzthaftung aus? Welche Qualität hat eine App-Verordnung, fragte er. Auch den Nutzen des Digitalen Versorgungsgesetzes habe sich ihm bisher nicht erschlossen – er nannte es „unbedingt verbesserungswürdig“. „Nimmt man den Ärzten durch die gesetzliche Regelung nicht etwas weg?“, gab er zu Bedenken. Er wünschte sich zudem, dass bei der Entwicklung digitaler Tools, die Ärzte als Anwender stärker in den Blick genommen werden. Bisher werde zumeist erwartet, „dass diese damit schon irgendwie zurechtkommen“. Für die Medizinstudentin Youssef war klar, dass man sich auf allen Ebenen mit der Digitalisierung, die unabwendbar sei, beschäftigen muss. Sie müsse vor allem auch in der Weiterbildung verstärkt zum Tragen kommen, da es essenziell sei, in den digitalen Anwendungen sicher zu werden. „Dabei dürfen wir natürlich die Patientensicherheit und die Ethik nicht aus dem Blick verlieren“, betonte Youssef. Auch mit Dr. Google setzte sich die Diskussionsrunde auseinander. Wie mit Patienten umgehen, die in der Sprechstunde dessen Erkenntnisse als Grundlage der Behandlung sehen? Prinzipiell sei es doch gut, dass sich Patienten vorab informierten, fand Samland und sah etwa die Möglichkeit, Patienten auch auf andere Informationsquellen im Internet hinzuweisen, die fachspezifisches Wissen besser abbildeten. Houy, warf ein, dass Ärzte keine Angst vor Dr. Google haben müssten, „schließlich fragt der Patient Sie ja in der Sprechstunde um Rat“. „Sehen Sie dies eher als Anlass für eine Diskussion“, forderte sie auf. Houy, die einzige Juristin in der Runde, bewertete es insgesamt als positiv, „dass Medizinern die rechtlichen Aspekte, die mit der Digitalisierung verbunden sind, immer bewusster werden. Ganz anders übrigens ihre Beobachtung auf einem Präsenz- und Onlinekongress, die sie genauer auf rechtlich Problematisches hin untersucht hat – dort schaffe die Digitalisierung offenbar viele Probleme „Ich war schockiert, wie viele Datenschutzverstöße begangen wurden, mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen.“ Würden diese konsequent verfolgt, ginge auch der finanzielle Schaden in die Millionenhöhe. Als drei prägnante Verstöße nannte die Juristin das Zeigen von Patientenbildern ohne Zustimmung, die Präsentation von Röntgenbildern mit Namen und Daten und die Verwendung von Abbildungen aus Büchern oder dem Internet ohne Quellenangabe. Als ein Fazit der Veranstaltung kann ein abschließendes Statement Samlands gelten in Hinblick darauf, dass die Medizin bisher noch unter fünf Prozent digital aufgestellt sei: „Wir müssen die Digitalisierung aktiv mitgestalten, bevor es die Firmen für uns übernehmen.“ (hr)
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