Drei Euro pro Praxisbesuch? KBV-Vorschlag trifft auf breite Ablehnung

Wie sind steigende Milliardenkosten für die medizinische Versorgung zu begrenzen? Vorschläge von Kassenärzten und Kliniken zielen auf mehr eigene Zahlungen der Patienten. Eine ins Spiel gebrachte „Kontaktgebühr” trifft auf Widerspruch.

Angesichts steigender Kosten im Gesundheitswesen flammt die Debatte über Extra-Gebühren für Patienten in Praxen und Kliniken wieder auf. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, hat eine „Kontaktgebühr“ von drei oder vier Euro für Praxisbesuche gefordert. Von Patientenvertretern, Krankenkassen, der Opposition und der mitregierenden SPD kam umgehend scharfer Widerspruch. Das Bundesministerium für Gesundheit verwies auf erwartete Vorschläge einer Reformkommission im neuen Jahr. 

KBV-Chef Andreas Gassen. (Foto: © Axentis/Lopata)


Gassen hatte der „Bild“ gesagt, dass es statt einer früher zwischenzeitlich erhobenen Praxisgebühr künftig als Eigenbeteiligung bei Arztbesuchen eine Kontaktgebühr geben könne. „Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan, bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen eingezogen werden“, erläuterte der KBV-Chef. Ein Sprecher von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) antwortete darauf, dass man mit Sicherheit davon ausgehen könne, dass über solche Vorschläge in der Kommission debattiert werde. Einzelne Maßnahmen kommentiere man derzeit jedoch nicht.

Auch Arbeitgeber befürworten eine neue Gebühr 

Forderungen nach neuen Gebühren, die auch die Zahl der Arztbesuche senken sollen, kommen bereits von mehreren Seiten. So schlug die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) eine „Kontaktgebühr bei jedem Arztkontakt“ vor. Dies würde eine bessere Steuerungswirkung entfalten als die einstige allgemeine Praxisgebühr. Die Zahl unnötiger Arztbesuche und „Ärzte-Hopping“ könnten vermieden und damit Wartezeiten verkürzt und Praxen entlastet werden, hieß es in einem BDA-Positionspapier von Oktober.

Eine generelle Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal hatte es für Gesetzlich Versicherte in den Jahren 2004 bis 2012 gegeben. Sie brachte rund zwei Milliarden Euro pro Jahr ein. Auch viele Ärzte kritisierten aber den Aufwand, die Gebühr am Praxistresen einzukassieren. Gassen sprach sich denn auch „statt einer Praxisgebühr“ für eine Gebühr aus, die die Kassen einziehen. Sie müsse zudem „sozial verträglich gestaltet werden, damit niemand überfordert wird“.

Michaela Engelmeier (Foto: © Susie Knoll)

Patienten schon „Melkkühe der Nation“

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) wies die Forderung als unsolidarisch und sozial ungerecht zurück. „Sie würde besonders chronisch kranke Menschen und Menschen mit geringem Einkommen treffen, die auf eine verlässliche medizinische Versorgung angewiesen sind“, monierte Vorstandschefin Michaela Engelmeier. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, wurde noch deutlicher: „Patienten und Gesetzlich Krankenversicherte sind schon jetzt die Melkkühe der Nation.“ Er kritisierte, dass bei steigenden Einnahmen der Praxen „für gute oder schlechte Leistung das gleiche Geld bezahlt“ werde.

Der GKV-Spitzenverband nannte stete Rufe nach einer Extra-Gebühr nur dafür, überhaupt Kontakt zu einem Arzt zu haben, ein Ablenkungsmanöver. „Statt über Reformen zu sprechen, die dann auch die Ärzteschaft betreffen würden, wird auf die Patientinnen und Patienten verwiesen“, verdeutlicht Verbandsprecher Florian Lanz. Der Grünen-Fachpolitiker Janosch Dahmen erklärte gegenüber der „Rheinischen Post“, jede Gebühr bedeute Abrechnung, Kontrolle, Ausnahmen und Streitfälle. Das belaste Praxen, die am Limit arbeiten, und schaffe neue Verwaltungskosten, statt Probleme zu lösen.

Koalition will gezieltere Terminvergabe – mit Anreiz?

Nicola Buhlinger-Göpfarth (© Foto: HÄV/Marco Urban)

Der SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis kritisierte, eine pauschale Gebühr sei unsozial und ineffektiv. „Sie schreckt nicht ‚unnötige‘ Arztbesuche ab, sondern vor allem Menschen mit geringem Einkommen, chronisch Kranke und ältere Patientinnen und Patienten“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ablehnung kommt auch vom Verband der Hausärztinnen und Hausärzte. Die Co-Vorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth erklärte gegenüber den Funke-Zeitungen, damit doktere man nur an Symptomen herum. Sie warnte, sozial Schwache könnten notwendige Termine aus Angst vor Kosten aufschieben. 

Pantazis wies auf die von Union und SPD geplante Einführung eines Systems hin, bei dem Patienten primär in eine Hausarztpraxis gehen, die sie bei Bedarf – und mit einem Termin in einem bestimmten Zeitraum – an Fachärzte überweist. Diese „positive Steuerung“ sei wirksamer und fairer. Warken hatte kürzlich erläutert, dass es für einen gezielteren Termin-Zugang „Steuerungselemente“ brauchen werde. Dies könne ein Bonus sein, wenn man sich daran hält oder eine Gebühr, wenn man doch direkt zum Facharzt geht. Warken machte aber deutlich, dass es keine allgemeine Praxisgebühr wie früher bedeuten soll.

Gerald Gaß. (Foto: © DKG/Volkmar Otto)

Höhere Zuzahlung bei Klinikaufenthalten?

Von den Kliniken kommen ebenfalls Forderungen nach mehr Eigenbeteiligung. Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte der „Bild“: „Die Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten sollte verdoppelt werden: von zehn auf 20 Euro am Tag. Das ist angemessen.“ Das bringe den Kassen rund 800 Millionen Euro im Jahr. Auch wer künftig ohne Kontaktaufnahme und Beratung durch eine Leitstelle in Notfallzentren der Krankenhäuser komme, sollte dafür eine Gebühr bezahlen. „Ich finde 30 bis 40 Euro angemessen“, sagte er. 

Regierung plant große Reform

Die Bundesregierung will im neuen Jahr eine große Reform der gesetzlichen Krankenversicherung angehen. Sie soll den starken Ausgabenanstieg für die Versorgung begrenzen und weitere Beitragsanhebungen vermeiden. Die Expertenkommission soll bis März Vorschläge zur Stabilisierung ab dem Jahr 2027 vorlegen. Bis Ende 2026 sollen weitergehende Reformvorschläge folgen.