E-Zigaretten: Experten sind uneins über den Nutzen der E-Zigarette bei der Entwöhnung29. Mai 2020 Foto: © Frank Eckgold/Adobe Stock Der diesjährige Weltnichtrauchertag am 31. Mai läuft unter dem Motto „Kill yourself starter kit – Lass dich nicht manipulieren“. Weiterhin ein von Experten viel diskutiertes Thema ist der Nutzen – oder Schaden – der E-Zigarette in der Entwöhnung. Während die einen ausschließlich die langfristige Lungengesundheit im Blick haben, betrachten andere vor allem den Suchtaspekt des Rauchens und wie die E-Zigarette dabei helfen könnte. Die Auffassung, dass E-Zigaretten Gesundheitsgefahren bergen und keine Alternative für Menschen sind, die mit dem Rauchen aufhören möchten, vertreten die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und die Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (GPP). Zur Rauchentwöhnung seien in erster Linie strukturierte Entwöhnungsprogramme zu empfehlen. Laut der Europäischen Tabakkontrollskala 2019, die im Rahmen der European Conference on Tobacco or Health (ECToH) vorgestellt wurde, belegt Deutschland bei der Tabakprävention im europäischen Vergleich den letzten Platz. Fast ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland raucht klassische Tabakzigaretten; bei Kindern und Jugendlichen sind es knapp zehn Prozent. Zwar geht der Anteil der jugendlichen Tabakraucher in Deutschland zurück, der Konsum von E-Zigaretten nimmt in der Bevölkerung – und vor allem bei jungen Erwachsenen – jedoch kontinuierlich zu. Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 121.000 Menschen an Erkrankungen, die durch das Rauchen verursacht werden. „Dazu zählen vor allem Herz-Kreislauf-, Lungen- und Krebserkrankungen“, sagt Prof. Robert Bals, Direktor der Klinik Innere Medizin V – Pneumologie, Allergologie, Beatmungs- und Umweltmedizin des Universitätsklinikums des Saarlandes, Homburg. „Wer raucht, gehört außerdem zur Risikogruppe für das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Im Fall einer Infektion kann es zu einem besonders schweren Verlauf der Viruserkrankung kommen.“ Da die Abwehrkräfte des Bronchialsystems bei Rauchern nur eingeschränkt funktionieren, bestehe zudem eine erhöhte Infektionsgefahr. E-Zigaretten stünden fälschlicherweise im Ruf, deutlich weniger gesundheitsschädlich zu sein als herkömmliche Tabakzigaretten, untertreicht die DGP im Vorfeld des Weltnichtrauchertages. Je nach E-Zigarettentyp und Zusammensetzung des verwendeten Liquids enthielten die elektronischen Verdampfer atemwegsreizende Substanzen wie Propylenglykol, krebserregende Substanzen wie Formaldehyd und teilweise gesundheitsschädigende Metalle wie Blei, Chrom und Nickel. „Die Langzeitfolgen des Konsums lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht umfassend abschätzen“, so Bals. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte ihre Warnung vor E-Zigaretten kürzlich noch einmal verschärft. Die DGP empfiehlt, die aktuelle Corona-Pandemie zum Anlass zu nehmen, mit dem Rauchen aufzuhören. „So kann man nicht nur die Gefahr für zahlreiche Folgeerkrankungen verringern, sondern auch das Risiko für COVID-19 und einen lebensbedrohlichen Verlauf beeinflussen“, erklärt Prof. Michael Pfeifer, Präsident der DGP. E-Zigaretten seien zur Tabakentwöhnung jedoch nicht geeignet. „Denn wer E-Zigaretten raucht, ist keineswegs abstinent, sondern ersetzt lediglich ein schädliches Produkt gegen ein anderes, von dem wir annehmen dürfen, dass es ebenfalls schädlich und hochgradig suchterzeugend ist“, sagt der Experte. So zeige eine Studie, dass E-Zigaretten unter kontrollierten klinischen Bedingungen zwar einen kurzfristigen positiven Entwöhnungseffekt haben, sie langfristig und unter realen Bedingungen aber die Rauchabstinenz erschweren. Die DGP verweist hier auf ein Positionspapier der European Respiratory Society aus August 2019 zum Thema Tabak-Harm-Reduction. „Als Entwöhnungshilfe sind E-Zigaretten daher aus unserer Sicht sehr kritisch zu sehen und nicht geeignet für eine Abstinenzbehandlung“, so Pfeifer von der Universität Regensburg, Chefarzt an der Klinik Donaustauf und der Klinik für Pneumologie und konservative Intensivmedizin am Krankenhaus Barmherzige Brüder, Regensburg. „Vielmehr umfasst eine erfolgreiche Tabakentwöhnung viele Einzelbausteine, wie eine individuelle Beratung, Gruppentherapien, Nikotinersatzpräparate und Medikamente“, erklärt Bals. „Ein Problem in Deutschland ist jedoch die Finanzierung solcher Entwöhnungsprogramme. Denn die Erstattung der Kosten für Betroffene und für Anbieter ist nicht einheitlich geregelt.“ Die DGP und die GPP fordern daher professionelle Entwöhnungsprogramme, die Rauchern kostenfrei und flächendeckend zur Verfügung stehen. „Davon gibt es in Deutschland nämlich viel zu wenige“, sagt Pfeifer. Jugendliche als besondere Zielgruppe Eine besondere Zielgruppe bei der Tabakkontrolle sind Jugendliche. Darauf weist Prof. Matthias Kopp, Präsident der GPP, hin: „Fast 80 Prozent der Raucher haben ihre erste Zigarette vor dem 18. Lebensjahr geraucht. Bei unseren Anstrengungen zur Tabakentwöhnung und Rauchprävention müssen wir Jugendliche und junge Familien mit kleinen Kindern besonders in den Fokus nehmen.“ Kinder und Jugendliche sind umso mehr gefährdet, mit dem Rauchen anzufangen, wenn in der Familie oder im Freundeskreis geraucht wird. „Große Erfolge können auch mit Maßnahmen zur Tabakkontrolle erzielt werden“, so DGP-Präsident Michael Pfeifer. Länder wie Großbritannien oder Frankreich, die eine strengere Tabakkontrolle verfolgen – durch beispielsweise umfassende Werbeverbote, nachdrückliche Anti-Raucher-Kampagnen, nationale Rauchentwöhnungsangebote oder hohe Tabakpreise – weisen einen eindrucksvollen Rückgang in der Raucherprävalenz auf. „In Deutschland werden Maßnahmen wie Rauch- und Werbeverbote oder Tabaksteuern leider nur zögerlich umgesetzt. Es passiert zumeist nicht mehr als das gesetzliche Minimum. Es ist daher aus Sicht der DGP schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass das Verbot der Außenwerbung für E-Zigaretten – wie jetzt vorgesehen im Entwurf für die morgige erste Lesung im Bundestag für ein zweites Gesetz zur Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes – erst ab 1. Januar 2024 und nicht auch 2022 wirksam werden soll.“ Internationale Vereinigung gegen Krebs fordert strikte Regulierung von E-Zigaretten Auch die Union Internationale Contre le Cancer (UICC) fordert zum Weltnichtrauchertag eine strikte Regulierung von E-Zigaretten. Dazu gehörten Altersbeschränkungen, Vorschriften über die Inhaltsstoffe und andere Regeln im Bezug auf Verkauf und Verbreitung von E-Zigaretten, teilte der Verband kürzlich in Genf mit. Es gebe immer mehr Studien, die zeigten, dass es sich um ungesunde Produkte handele, die darauf abzielten, abhängig zu machen, teilte der Verband mit mehr als 1160 Mitgliedsorganisationen in 173 Ländern mit. Er beschäftigt sich mit der Erforschung, Prävention und Behandlung von Krebserkrankungen. Der Markt für E-Zigaretten wachse rasant, so die UICC. Der Wert sei innerhalb von fünf Jahren von rund 7 auf schätzungsweise 20 Milliarden Dollar gewachsen, hieß es weiter. Menschen, die „vapen“ oder „dampfen“, griffen später häufiger zu herkömmlichen Zigaretten als Menschen, die nie E-Zigaretten nutzten, zeigten Studien, so die UICC. Weltweit sei die Zahl der Tabakkonsumenten von 2000 bis 2015 von 43 auf 34 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Tabakkonsumentinnen von 11 auf 6 Prozent. Die Tabakindustrie verhindere mit Marketing-Taktik einen schärferen Rückgang, so der Verband. Die Vereinigung verlangt unter anderem eine Pflicht zur Offenlegung der Inhaltsstoffe von E-Zigaretten, den Einsatz von Steuern, um Rauchen und Dampfen zu reduzieren, Verbote, mit Marketing gezielt Minderjährige anzusprechen und die Überwachung von sozialen Medien. Es müsse sichergestellt werden, dass E-Zigaretten Jugendlichen nicht als „sicher“ oder „risikoarm“ präsentiert würden. Expertenlager sieht Chancen der E-Zigarette für Rauchentwöhnung als massiv unterschätzt Als weiterhin massiv unterschätzt hingegen sieht ein anderes Lager von Experte die Chancen, die die E-Zigarette Rauchern bei der Entwöhnung bietet. Dieses Fazit zogen die Referenten eines Online-Symposiums Ende Mai. Prof. Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt-University of Applied Sciences hatte die Fachtagung mit dem Titel „Zwischenbilanz E-Zigarette: Was wir wissen, müssen“ initiiert. Er resümierte: „Die Politik in Deutschland muss den nächsten Schritt gehen und die Potenziale der E-Zigarette bei der Rauchentwöhnung in den Blick nehmen. Dazu brauchen die Forschenden mehr Fördermittel. Wir müssen die Aufklärungsarbeit für Rauchende direkt, aber auch für Ärzte und Apotheker intensivieren. Das Kernproblem beim klassischen Zigarettenrauchen ist nicht das Nikotin. Es sind die bei der Verbrennung entstehenden krebserregenden Stoffe. Es ist in der Wissenschaft Konsens, dass Raucher mit dem Umstieg auf die E-Zigarette die Schadstoffaufnahme um bis zu 95 Prozent senken können. Die Chancen, die die E-Zigarette für die Rauchentwöhnung bietet, müssen auch die künftige Gesundheitspolitik bestimmen.“ Stöver bezeichnete das Online-Symposium, das von über 800 Personen im Web verfolgt wurde, als Erfolg: „Die Vortragenden haben den aktuellen Forschungsstand zur E-Zigarette differenziert aufbereitet und die Chancen für die Rauchentwöhnung in den unterschiedlichen Kontexten klar aufgezeigt.“ So bezeichnet es Dr. Thomas Hering, Facharzt für Pneumologie, Allergologie und Schlafmedizin mit dem Schwerpunkt Tabakentwöhnung, als weit verbreitete gravierende Fehleinschätzung, dass E-Zigaretten genauso schädlich seien wie Tabakzigaretten. Hering berichtete, dass E-Zigaretten als Ersatzprodukte bei der Rauchentwöhnung wesentlich besser angenommen würden als beispielsweise nikotinhaltige Kaugummis. Prof. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe, stellte fest, dass Nikotin selbst Krankheiten wie Arteriosklerose nicht fördere. Die schädliche Wirkung gehe vom Tabakrauch aus. Erfahrungen aus Schweden und Norwegen zeigten, dass die Raucherquote in der Bevölkerung durch die Verwendung von Ersatzprodukten wie Snus deutlich gesenkt werden könne. Storck sagte, dass Langzeitdaten zu E-Zigaretten und Tabakerhitzern derzeit noch ausstünden. Er sprach sich für eine differenzierte Risikokommunikation an Raucher aus, die die Potenziale der E-Zigarette bei der Rauchentwöhnung explizit berücksichtige. Ute Mons, Epidemiologin und Public-Health-Wissenschaftlerin am Deutschen Krebsforschungszentrum, erklärte anlässlich des Online-Symposiums: „Im bestimmungsgemäßen Gebrauch haben E-Zigaretten nur einen Bruchteil des Krebsrisikos von Tabakzigaretten.“ Ein Umstieg sei daher auf jeden Fall zu begrüßen. Sämtliche ihr bekannten Studien hätten das Potenzial von E-Zigaretten bei der Tabakentwöhnung deutlich gezeigt. Natürlich sei eine vollständige Entwöhnung wünschenswert, aber in der Praxis oft nicht realistisch. Von einem dualem Konsum riet Mons in jedem Fall ab. Es sei weiterhin erstaunlich, sagte Mons weiter, dass die ausgewogene und differenzierte Risikokommunikation bei Rauchern in Deutschland nicht ankomme. Sie kritisierte zugleich, dass die politische Unterstützung für den Forschungsansatz der Risikominimierung derzeit noch nicht ausreichend vorhanden sei. Forschungsanträge würden abgelehnt, in Großbritannien sei man in der Diskussion und der sachlich-nüchternen Bewertung von Möglichkeiten der E-Zigarette bei der Rauchentwöhnung viel weiter. Daniela Jamin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences und Mitautorin des Ratgebers E-Zigarette, ergänzte, dass der Irrglaube, dass E-Zigaretten gefährlicher als klassische Zigaretten seien, selbst unter Ärzten und Apothekern weit verbreitet sei. So würden 69 Prozent der Ärzte und sogar 91 Prozent der Apotheker das Konzept der Risikominimierung gar nicht kennen und sich unzureichend über die E-Zigarette informiert fühlen. Es fehle daher derzeit schlicht am Faktenwissen. Außerdem verwies Jamin auf die Chancen der E-Zigarette im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Sie befürwortete die Organisation von Gesundheitstagen und die Verstärkung entsprechender Informationsangebote in Unternehmen. Stöver kündigte das nächste Symposium zur E-Zigarette für den 15. Oktober 2020 an. „Uns geht es darum, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in konkretes politisches Handeln umgesetzt werden können. Daher werden wir weiter daran arbeiten, den für Raucherinnen und Raucher vielversprechenden Ansatz der Risikominimierung, englisch Harm Reduction, in Deutschland noch bekannter zu machen. Ich glaube, dass die politische Diskussion zur Rauchentwöhnung um unsere Erkenntnisse nicht herumkommt und Harm-Reduction-Ansätze künftig stärker fördert.“
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