ESCMID Global 2024: Unter Senioren verdreifacht sich bei Kontakt mit kleinen Kindern das Risiko für eine Pneumokokkeninfektion

Unter den Studienteilnehmern mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren war die Punktprävalenz für eine Besiedelung mit Pneumokokken bei denjenigen am höchsten, die in der jüngeren Vergangenheit mit kleineren Kindern in Kontakt gekommen waren. (Foto: © Irina Schmidt/stock.adobe.com)

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass für Personen im Alter ab 60 Jahren der Kontakt mit kleinen Kindern der wichtigste Faktor bei der Übertragung von Streptococcus pneumoniae ist.

Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) schätzen, dass es in den USA jährlich zu mehr als 150.000 Krankenhauseinweisungen aufgrund einer Pneumokokken-Pneumonie kommt. Auch stellen Pneumokokken die häufigste bakterielle Ursache für Pneumonien im Kindesalter dar, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren. Bei Erwachsenen machen demnach Pneumokokken zehn bis 30 Prozent der ambulant erworbenen Pneumonien aus.

Seit Pneumokokken-Konjugat-Impfstoffe (PCV) im Jahr 2000 in das amerikanische Impfprogramm für Kinder aufgenommen wurden, ist die durch impfstoffähnliche Stämme verursachte invasive Erkrankung bei Kindern um mehr als 90 Prozent zurückgegangen – ein Effekt, der bei älteren Erwachsenen nicht beobachtet wurde. Dies deutet darauf hin, dass Pneumokokken möglicherweise auch von anderen Altersgruppen als Kindern übertragen werden.

Die Raten der asymptomatischen Übertragung variieren – die CDC gehen davon aus, dass bei 20 bis 60 Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter eine Kolonisierung nachweisbar sein könnte, während nur fünf bis zehn Prozent der Erwachsenen ohne Kinder eine Pneumokokkenbesiedelung aufweisen.

Wichtige Fragen zu den Quellen der Übertragung von Pneumokokken auf ältere Erwachsene in der Allgemeinbevölkerung sind noch unbeantwortet. Diese Informationen seien jedoch von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der möglichen indirekten Auswirkungen des Einsatzes von PCVs bei Kindern und älteren Erwachsenen, heißt es in der Mitteilung der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases, auf deren diesjähriger Jahrestagung (ESCMID Global 2024, zuvor ECCMID) in Barcelona (Spanien; 27. –30.04.2024) die neuen Forschungsergebnisse zu diesem Thema vorgetragen werden.

„Wenn eine erhebliche Übertragung von Pneumokokken zwischen Erwachsenen auftritt, könnte die Impfung älterer Erwachsener den zusätzlichen Vorteil haben, dass Ansteckungen und möglicherweise schwere Erkrankungen reduziert werden“, erklärte Dr. Anne Wyllie von der Yale School of Public Health, New Haven (USA), Hauptautorin der Studie, im Vorfeld des ECCMID-Kongresses.

Längsschnittstudie an Paaren im Alter von mindestens 60 Jahren mit gemeinsamem Haushalt

Um mehr über die Bedeutung der Ansteckung innerhalb von Familien beziehungsweise Haushalten zwischen Erwachsenen ab 60 Jahren und die mit der Ansteckung mit Pneumokokken in der Gemeinschaft verbundenen Risiken herauszufinden, führten die Forschenden in New Haven (USA) eine Längsschnittstudie an in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Paaren im Alter von mindestens 60 Jahren durch, die nicht mit jüngeren Personen zusammenlebten. So wurden im Herbst/Winter 2020/2021 und 2021/2022 insgesamt 183 Erwachsene (Durchschnittsalter 70 Jahre; 51% Frauen; 85% Weiße) aus 93 Haushalten in die Untersuchung aufgenommen. Die Studienautoren sammelten an insgesamt sechs Terminen (über einen Zeitraum von 10 Wochen) alle zwei Wochen Speichelproben und erhoben mittels Fragebögen Daten zu sozialen Kontakten und der Gesundheit der Teilnehmenden. Mittels quantitativer Polymerase-Kettenreaktion (qPCR) wurden Speichelproben auf das Vorhandensein von Pneumokokken-DNA und die Diversität der Pneumokokkenstämme getestet. Normalerweise wird der Test auf Pneumokokken bei Erwachsenen mithilfe von Nasopharyngealabstrichen durchgeführt, doch frühere Arbeiten derselben Autoren hatten ergeben, dass dies nicht ausreicht, um eine Besiedelung bei Erwachsenen zu erfassen – für die Identifizierung einer Pneumokokkeninfektion bei Erwachsenen seien Speichelproben sinnvoller.

Insgesamt 52/1088 (4,8%) Proben wurden positiv auf Pneumokokken getestet, wobei 28/183 (15%) Personen bei mindestens einer Probenentnahme eine Kolonisierung aufwiesen. Eine Reihe von Untersuchten wurden zu mehreren Zeitpunkten positiv auf Pneumokokken getestet, darunter zwei Teilnehmer, die sich während des zehnwöchigen Beprobungszeitraumes angesteckt hatten. Zwei weitere Erwachsene wurden an fünf der sechs Zeitpunkte positiv getestet – einer von ihnen berichtete über täglichen Kontakt mit Kindern im Alter von zwei bis 59 Monaten beziehungsweise fünf bis neun Jahren. In 5/93 (5,4%) Haushalten waren beide dort lebenden Personen Träger, wenn auch nicht unbedingt zum selben Zeitpunkt.

Die Punktprävalenz für das Vorhandensein von Pneumokokken (zu jedem Zeitpunkt der Erhebung) war bei älteren Erwachsenen, die täglich beziehungsweise regelmäßig alle paar Tage Kontakt mit Kindern hatten, wesentlich höher (10%) als bei solchen, die keinen Kontakt zu Kindern hatten (1,6%).

Höhere Punktprävalenz bei Kontakt mit Kindern unter zehn Jahren, höchste Werte bei täglichem oder regelmäßigem Kontakt

Unter den Studienteilnehmern, die über einen kürzlichen Kontakt berichteten (innerhalb von 2 Wochen vor der Probenentnahme), war die Punktprävalenz bei denjenigen am höchsten, die mit jüngeren Kindern in Kontakt gekommen waren. Dabei lag die Punktprävalenz bei Untersuchten, die kurz zuvor mit Kindern im Alter von unter fünf oder solchen im Alter von fünf bis neun Jahren zusammen gewesen waren, bei 14,8 beziehungsweise 14,1 Prozent. Im Vergleich dazu betrug die Punktprävalenz bei jenen mit Kontakt zu älteren Kindern (ab 10 Jahre) bei nur 8,3 Prozent. Bei genauer Betrachtung der Kontakte zu der jüngsten Altersgruppe von Kindern ergaben sich folgende Punktprävalenzen: 14 Prozent bei Kontakt zu Kindern bis zu einem Jahr, elf Prozent bei Kindern im Alter von einem bis zwei Jahren und 17 Prozent bei Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren.  Zwar blieben die Zahlen niedrig, doch hatten diejenigen, die täglich oder alle paar Tage Kontakt mit Kindern hatten, die höchste Prävalenz (15,7 % bzw. 14,0 %). Diejenigen, die ein- oder zweimal im Monat Kontakt hatten oder keinen Kontakt hatten, hatten eine niedrigere Prävalenz (4,5 % bzw. 1,8 %).

Ein Kontakt mit Kindern im Alter unter zehn Jahren in der jüngeren Vergangenheit (innerhalb von 2 Wochen vor Probenentnahme) war den Daten zufolge im Vergleich zu keinem Kontakt mit einem signifikanten (3-fachen) Anstieg der Infektionsrate assoziiert. Ebenso besaßen die Personen im Alter von über 60 Jahren, die täglich oder alle paar Tage Kontakt zu Kindern hatten, ein sechsmal höheres Risiko für eine Ansteckung im Vergleich zu anderen Personen dieses Alters, die keinen Kontakt zu Kindern hatten.

„Unsere Studie ergab keine eindeutigen Hinweise auf eine Übertragung von Erwachsenen auf andere Erwachsene, obwohl es Haushalte gab, in denen eine Person über mehrere Zeitpunkte hinweg positiv auf Pneumokokken getestet wurde“, erklärt Wyllie. „Es gab auch Fälle, in denen bei beiden Erwachsenen in einem Haushalt ungefähr zur gleichen Zeit Pneumokokken nachgewiesen wurden. Wir stellten fest, dass die Übertragung unter solchen älteren Erwachsenen am höchsten ausfiel, die häufig Kontakt mit kleinen Kindern hatten. Dies deutet darauf hin, dass der Hauptvorteil der Pneumokokkenimpfung für Erwachsene darin besteht, ältere Erwachsene direkt zu schützen, die Kontakt zu solchen Kindern haben, die trotz erfolgreicher nationaler Impfprogramme für Kinder möglicherweise noch einige impfstoffähnliche Pneumokokkenstämme in sich tragen und diese übertragen.“

Die Autoren weisen darauf hin, dass der Studienzeitraum mit der COVID-19-Pandemie zusammenfiel. Dies hatte zur Folge, dass sie Risikofaktoren für die Übertragung von Pneumokokken in einer Zeit untersuchen konnten, als strenge Maßnahmen zur Eindämmung der Übertragung ergriffen und später im Laufe der Zeit gelockert wurden. Interessanterweise blieben die Übertragungsraten in beiden Studienzeiträume (Herbst/Winter 2020/2021 und 2021/2022) konstant, obwohl das Alltags- und Gemeinschaftsleben in der zweiten Saison wieder aufgenommen wurde und Atemwegsviren lokal wieder stärker Verbreitung fanden.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Ergebnisse auf einer kleinen bevölkerungsbasierten Untersuchung (mit vergleichsweise wenigen identifizierten Infektionsträgern) in einer Region der USA basieren, in der hauptsächlich weiße Personen mit höherem Bildungsstand leben. Dies könnte die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Menschen anderer Abstammung oder Ethnie einschränken. Die Forschenden betonen außerdem, dass Speichelproben im Allgemeinen sensitiver bei der Erkennung einer Pneumokokkenbesiedelung bei Erwachsenen sind, es aber trotzdem möglich ist, dass die Gesamtprävalenz von Pneumokokken unterschätzt wurde, da die Studienautoren keine Proben an anderen Stellen in den oberen Atemwegen nahmen.