EHDS und EU-HTA: Gesundheitsdaten und Arzneimittelbewertung vereinheitlichen

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Die EU-Staaten rücken mit dem Start des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) und des europäischen Nutzenbewertungsverfahrens (EU-HTA) zusammen. Experten diskutierten den Nutzen von EHDS und EU-HTA mit Blick auf den Datenschutz im Rahmen des Berliner Forums der AWMF.

Beide Vorhaben haben zwei zentrale Ziele: Erstens soll die medizinische Versorgung von EU-Bürgerinnen und Bürgern durch umfassende Digitalisierung und Datennutzung über die einzelnen Ländergrenzen hinweg verbessert werden. Und zweitens soll für die europäische Forschung der weltweit größte Datenschatz von Gesundheitsdaten geschaffen werden.

Nicht nur im Rahmen des Berliner Forums, sondern auch auf einer Pressekonferenz diskutierten Experten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zentrale Fragen: Welche ersten Erfahrungen liegen mit den beiden Initiativen vor? Wo liegen derzeit die größten Herausforderungen? Und wie wird der Nutzen für Patientinnen und Patienten sichergestellt, aber gleichzeitig sensible Gesundheitsdaten geschützt?

EHDS: Nutzen für Gesundheitsversorgung und Forschung – über Ländergrenzen hinweg

Der EHDS hat einen doppelten Nutzen: In der Primärnutzung sollen EU-Bürgerinnen und -Bürger mehr Kontrolle über sowie Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten haben. Gleichzeitig soll die Gesundheitsversorgung über Ländergrenzen hinweg durch einen sicheren und vereinheitlichten Austausch von Gesundheitsdaten viel effizienter werden: Zum einen sollen Ärztinnen und Ärzten auch im EU-Ausland auf wichtige Diagnosedaten zugreifen können. Zum anderen sollen Bürgerinnen und Bürger sollen ihre eRezepte in jeder Apotheke innerhalb der EU einlösen können.

Die EU-Verordnung zum EHDS schafft grenzübergreifende Regelungen zum Austausch von Gesundheitsdaten. Der Zeitplan sieht für 2027 die Festlegung der ersten Schritte vor. Ab 2029 wird es dann konkret, mit dem verpflichtenden Start der Datenweitergabe in bestimmten Bereichen.

Hierzulande ist das am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) für die Mitarbeit an der Ausgestaltung zuständig. Gerade werde unter Beteiligung des BfArM europaweit spezifiziert, wie die einzelnen Datenelemente aussehen und welche Standards und Schnittstellen dafür angewendet werden sollen, wie Dr. Stefanie Weber, Abteilungsleiterin „Kodiersysteme und Register“ im BfArM erläuterte.

EHDS liefert Realdaten aus der Versorgungspraxis

Zugleich soll der EHDS – in der Sekundärnutzung – Forschung und Innovation in Europa stärken: Mit pseudonymisierten Gesundheitsdaten von bis zu 450 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern könnte er einer der weltweit größten Gesundheitsdatenpools werden – mit enormem Potential für die Erforschung von Krankheiten und der Entwicklung von neuen Therapien.

Prof. Rolf-Detlef Treede zeigte das Potenzial dieses Datensatzes auf. Er führte aus, dass etwa Leitlinien auf den Ergebnissen kontrollierter klinischer Studien beruhten. Diese sind zwar Goldstandard, aber − wie AWMF-Präsident Treede erklärte − auch „sehr artifizielle Populationen“. Er hob hervor: „Der EHDS kann helfen Realdaten aus der Versorgung, aus der echten Praxis zu bekommen.“

Weber ergänzte, dass durch Pseudonymisierung und Auswertung großer Datenmengen bisher verborgen gebliebene Muster und Zusammenhänge erkannt werden könnten. Und das nicht nur bei häufigen Erkrankungen, sondern auch bei seltenen Krankheitskonstellationen, so Weber weiter.

AWMF: Qualität der Daten ist entscheidend

Allerdings wandte Treede auch ein: „Aktuell stehen wir noch vor zahlreichen Herausforderungen – etwa bei der Interoperabilität, also der Notwendigkeit, die verschiedenen Kodier- und Abrechnungssysteme der Länder für den Datenaustausch kompatibel zu machen.“ Eine der zentralen Herausforderungen sei aus Sicht der AWMF, die Datenqualität sicherzustellen.

Der AWMF-Präsident betonte: „Nur valide und für die medizinische Behandlung und Forschung relevante Daten sollten gespeichert und genutzt werden. Abrechnungs- und Erlösdaten, welche auf die medizinische Behandlung keinen Einfluss haben sollten, sollen nicht berücksichtigt werden.“ Denn solche Informationen könnten die gespeicherten Daten verzerren.

EU-HTA: Nutzenbewertung von Medizinprodukten auf europäischer Ebene

In diesem Jahr begann außerdem eine neue Epoche in der Nutzenbewertung. Mit Start des EU-HTA wird diese Nutzenbewertung schrittweise von der nationalen auf die europäische Ebene gehoben. „Die Initiative bietet viele Chancen, etwa einen rascheren und egalitäreren Zugang zu neuen Arzneimitteln in allen EU-Staaten“, erläutert Prof. Bernhard Wörmann, Vorsitzender der ständigen Kommission Arzneimittel der AWMF. Er sieht aber auch Risiken: Die Ablösung des bewährten nationalen Prozesses des AMNOG-Verfahrens durch ein noch unerprobtes EU-Verfahren. Dazu komme eine höhere Komplexität, denn: Die Versorgungssituationen in allen EU-Staaten müsste berücksichtigt werden.

Wie Wörmann ausführte, sei der EU-Prozess deutlich langsamer gestartet als erwartet. Statt 25 geplanten Verfahren für 2025 seien bisher erst zehn initiiert worden. Als Hauptgrund nannte Wörmann das Gefühl der Unsicherheit seitens der pharmazeutischen Industrie. Der Experte geht davon aus, dass die frühzeitige Beratung (Joint Scientific Consultation), die Qualität des Assessments, die Berechenbarkeit der Bewertung und die Bereitschaft zur Umsetzung in den einzelnen Ländern eine zentrale Rolle bei der Vertrauensbildung spielen werden.

AWMF: Comparative Effectiveness erfordert frühe Einbindung der Fachgesellschaften

Für die AWMF ein wichtiges Anliegen: Das System der „Comparative Effectiveness“ − bei dem der Wert eines neuen Arzneimittels im Vergleich mit dem bisherigen Standard ermittelt wird − setze voraus, dass der aktuelle Therapie- und Versorgungsstatus korrekt erfasst werde. „Dafür ist umfassende Expertise aus Forschung und Leitlinienarbeit essenziell – die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Länder müssen bei dem Prozess also zwingend strukturell und frühzeitig eingebunden werden“, betonte Wörmann. (ja/BIERMANN)