Eigenes Herz-Kreislauf-Risiko wird oft unterschätzt

In Punkto Risikoeinschätzung für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung klafft bei vielen Personen eine deutliche Lücke zwischen Realität und eigener Wahrnehmung. (Symbolfoto: ©Stockwerk-Fotodesign/stock.adobe.com)

Menschen, die sich ihres erhöhten Risikos für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung nicht bewusst sind, können diesem nicht präventiv entgegenwirken. In Deutschland gibt es in dieser Hinsicht noch viel zu tun, wie eine aktuelle Erhebung zeigt.

Die Wahrnehmung von Risiken wird von verschiedenen psychologischen Modellen des Gesundheitsverhaltens als einer der Schlüsselparameter im Hinblick auf mögliche Verhaltensänderungen angesehen. Eine zentrale Annahme ist, dass Personen mit höherer Risikowahrnehmung eher ihr Verhalten ändern.

Viele Menschen in Deutschland mit einem eigentlich erhöhten Risiko unterschätzen dieses allerdings, ergab eine Auswertung von Daten aus der RKI-Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA), die jüngst im „Journal of Health Monitoring“ erschienen ist. Diese Personen seien eine zentrale Zielgruppe für die kardiovaskuläre Prävention, heben die Studienautoren hervor. An der Studie beteiligt waren neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Robert Koch-Institutes (RKI) auch Forschende vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE), vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung sowie von der Universität Potsdam.

Erhebung zu tatsächlichem und selbst eingeschätztem Risiko

Für die Analyse des Risikos auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) befragten die Forschenden zwischen Juni 2022 bis Januar 2023 rund 5800 Teilnehmende der GEDA-Studie (Alter 35–69 Jahre) in einem standardisierten computergestützten Telefoninterview. Ausgeschlossen wurden Personen, die schon einmal eine Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Diagnose erhalten hatten, sodass die Daten von 3271 Personen in die Analyse einbezogen wurden. Für die Auswertung der GEDA-Daten verwendeten die Forschenden ein Risikoscore des DIfE, der auf Fragen zu Alter, Geschlecht und lebensstilassoziierten Faktoren, zum Vorliegen von Bluthochdruck und Diabetes sowie zur Familiengeschichte von HKE basiert.

„Für die Surveillance des HKE-Risikos auf Bevölkerungsebene sind nichtklinische Risikoscores von großem Vorteil, weil die Risikofaktoren durch eine Befragung leicht zu erfassen sind und keine aufwändigen Labortests oder Messungen erfordern“, erläutert das RKI das Vorgehen in einer Mitteilung zur Veröffentlichung.

Das auf Basis des DIfE-Risikoscores ermittelte Risiko, in den nächsten zehn Jahren erstmals einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen, teilten die Studienverantwortlichen in die Kategorien niedrig (<5 %), noch niedrig (≥5 bis <7,5 %), erhöht (≥7,5 bis <10 %) und hoch (≥10 %) ein. Zusätzlich wurde das selbst wahrgenommene HKE-Risiko als nahezu kein, geringes, mäßiges und hohes Risiko erfragt.

Die Hälfte der Personen mit erhöhtem Risiko unterschätzt dieses

Im Ergebnis hatte nahezu ein Fünftel der 35- bis 69-jährigen Studienteilnehmer ein erhöhtes (6%) bis hohes (12%) Risiko, in den nächsten zehn Jahren erstmals einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Zwar war der Anteil derer, die in ihrer eigenen Wahrnehmung nahezu kein oder nur ein geringes Risiko hatten, geringer, je höher das getestete Risiko lag. Doch etwa die Hälfte der Personen mit ungünstigem Risikofaktorenprofil unterschätzte das eigene HKE-Risiko. Die Risikounterschätzung war sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit niedriger Bildung, besserer psychischer Gesundheit und körperlicher Aktivität assoziiert.

Dem RKI zufolge kann für Personen, die ihr eigenes Risiko unterschätzen, zum Beispiel der Zugang zu einem niedrigschwelligen selbst durchführbaren Risikotest von großem Vorteil sein. Das DIfE bietet einen solchen Online-Selbsttest auf seiner Internetseite an. Der Test informiert nicht nur über das persönliche Risiko, sondern zeigt auch individuelle Ansatzpunkte auf, das Risiko zu senken und damit der Krankheitsentwicklung vorzubeugen. Auch in der ärztlichen Praxis könne der Risikoscore für die individuelle Risikoeinschätzung und Risikokommunikation nützlich sein, betont das RKI.

(ah)