Ein neuer Verdächtiger bei Chorea Huntington26. August 2024 Hirn-Organoide, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen entwickelt wurden: Gesunde Organoide (links) zeigen eine organisierte neurogene Zone (gelb) und neuronale Vorläuferzellen (rot). Organoide, die von der Huntington-Krankheit betroffen sind (rechts), weisen dagegen fast keine neurale Vorläuferzellen und zelluläre Polaritätsdefekte (gelb) auf. Diese Defekte sind in der Literatur ähnlich für menschlichen Föten mit der Huntington-Krankheit beschrieben. (Quelle: © Selene Lickefett, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Werner Dykstra, Max Delbrück Center) Forschende aus Berlin und Düsseldorf haben mithilfe von Hirnorganoiden ein neues Gen mit dem Fortschreiten von Chorea Huntington in Verbindung gebracht. Das Gen trägt möglicherweise viel früher als bisher angenommen zu Anomalien im Gehirn bei, berichten sie in „Nature Communications“. Erstmals haben Forschende das Gen CHCHD2 mit Chorea Huntington in Verbindung gebracht und das Gen als mögliches therapeutisches Ziel identifiziert. In einem Hirnorganoid-Modell der Erkrankung haben sie festgestellt, dass Mutationen im Huntington-Gen HTT auch CHCHD2 beeinflussen; CHCHD2 spielt eine Rolle dabei, die normale Mitochondrienfunktion aufrecht zu erhalten. An der Studie waren sechs verschiedene Labore des Max Delbrück Centers unter der Leitung von Dr. Jakob Metzger von der Arbeitsgruppe „Quantitative Stammzell-Biologie“ und die Arbeitsgruppe „Stem Cell Metabolism“ von Prof. Alessandro Prigione an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) beteiligt. Jedes Labor brachte sein Fachwissen zu Chorea Huntington, Hirnorganoiden, Stammzellenforschung und Genomeditierung ein. „Es hat uns überrascht, dass Chorea Huntington die frühe Entwicklung des Gehirns durch Defekte, die mit mitochondrialer Fehlfunktionen zusammenhängen, beeinträchtigen kann“, erklärt Dr. Pawel Lisowski, ein Erstautor aus Metzgers Arbeitsgruppe am Max Delbrück Center. „Das Organoidmodell deutet darauf hin, dass HTT-Mutationen die Gehirnentwicklung noch vor dem Auftreten klinischer Symptome schädigen. Es ist also sehr wichtig, diese spät auftretende neurodegenerative Erkrankung früh zu erkennen“, ergänzt Selene Lickfett, ebenfalls Erstautorin der Studie und Doktorandin in Prigiones Arbeitsgruppe an der HHU. Drei Buchstaben werden ungewöhnlich oft wiederholt Bei Chorea Huntington werden im Huntington-Gen HTT die drei Nukleotide Cytosin, Adenin, Guanin (CAG) ungewöhnlich oft wiederholt. Menschen mit 35 oder weniger Wiederholungen gehören im Allgemeinen nicht zur Risikogruppe, während 36 oder mehr Wiederholungen auf die Krankheit hindeuten. „Je größer die Anzahl an Wiederholungen, desto früher treten die Symptome der Krankheit auf“, erklärt Metzger, Letztautor der Studie. Die Mutationen lassen die Nervenzellen im Gehirn nach und nach absterben. Im Laufe der Zeit erleben Betroffene, dass sie ihre Muskeln immer weniger steuern können und sie entwickeln psychiatrische Symptome wie Impulsivität, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Weltweit sind etwa fünf bis zehn von 100.000 Menschen von Chorea Huntington betroffen. Aktuell verfügbare Therapien behandeln lediglich die Symptome; sie können weder den Verlauf verlangsamen noch die Krankheit heilen. Das Gen HTT zu editieren, ist eine Herausforderung Um die Auswirkungen von Mutationen im HTT-Gen auf die frühe Gehirnentwicklung zu studieren, nutzte Lisowski zuerst Varianten der CRISPR-Cas9-Geneditierungstechnik und manipulierte die DNA-Reparaturwege, um gesunde, induzierte pluripotente Stammzellen so zu modifizieren, dass sie eine große Anzahl an CAG-Wiederholungen enthielten. Dieser Prozess sei technisch herausfordernd, da Geneditierungswerkzeuge in Bereichen des Erbguts, die Sequenzwiederholungen wie die CAG-Wiederholungen in HTT enthalten, nicht effizient sind, erklärt Lisowski. Aus den genetisch veränderten Stammzellen züchteten die Forschenden dann Hirnorganoide. Als sie deren Genexpressionsprofile in den verschiedenen Entwicklungsstadien analysierten, stellten sie fest, dass das CHCHD2-Gen durchgehend unterexprimiert war. Das wiederum reduzierte den Stoffwechsel der neuronalen Zellen. Bei gesunden Menschen gewährleistet CHCHD2 die Gesundheit der Mitochondrien. Das Gen wurde bisher mit Parkinson in Verbindung gebracht, aber noch nie mit Chorea Huntington. Die Forschenden konnten die schädigende Wirkung auf die neuronalen Zellen rückgängig machen, wenn sie die Funktion des CHCHD2-Gens wiederherstellten. „Das war überraschend“, erklärt Lickfett. „Damit könnte dieses Gen prinzipiell ein Ziel für künftige Therapien sein.“ „Außerdem traten Defekte in neuronalen Vorläuferzellen und Hirnorganoiden auf, bevor sich potenziell toxische Aggregate des mutierten Huntingtin-Proteins gebildet hatten“, fügt Metzger hinzu. Dies deute darauf hin, dass die Pathologie im Gehirn bereits beginnt, lange bevor sie in der Klinik in Erscheinung tritt. „Die vorherrschende Meinung ist, dass die Krankheit als Degeneration reifer Neuronen verläuft“, erklärt Prigione. „Aber wenn sich die Veränderungen im Gehirn bereits früh im Leben entwickeln, müssen therapeutische Strategien möglicherweise zu viel früheren Zeitpunkten ansetzen.“ Weitreichende Implikationen „Unsere Strategien zur Genomeditierung, vor allem, wenn sie die CAG-Wiederholungen im Huntington-Gen entfernen, sind sehr vielversprechend und konnten einige dieser Entwicklungsdefekte rückgängig machen. Das ebnet den Weg für eine potenzielle Gentherapie“, sagt Prigione. „Ein weiterer potenzieller Ansatz für die Therapien wäre es, die CHCHD2-Genexpression zu erhöhen.“ „Die Ergebnisse könnten auch breitere Anwendung bei anderen neurodegenerativen Krankheiten finden“, erklärt Prigione. „Frühzeitige Behandlungen, die die hier gezeigten mitochondrialen Phänotypen rückgängig machen, könnten ein vielversprechender Ansatz für die Bekämpfung von altersbedingten Krankheiten wie Chorea Huntington sein.“
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