Eine Überraschung fürs Auge: Langlebige T-Zellen patrouillieren auf der Cornea

Foto.©Barraquer, Barcelona-ISM/Science Photo Library

Bisher nahmen Wissenschaftler an, dass spezialisierte Immunzellen nicht in der transparenten Cornea vorkommen. Nun konnten mithilfe des Live-Cell-Imaging von Hornhäuten unerwartete “Bewohner” entdeckt werden – spezialisierte Immunzellen, die im Gewebe zirkulieren und bereit sind, Krankheitserreger anzugreifen.

„Wir dachten, dass die zentrale Cornea frei von Immunzellen ist“, sagt Esen Akpek, Clinician Scientist, der an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, immunologische Erkrankungen der Hornhaut erforscht.

„Die Studie, die am 24. Mai in Cell Reports1 veröffentlicht wurde, könnte Forschern helfen, Krankheiten, die das Auge betreffen, besser zu verstehen und Therapien zu entwickeln, die auf Infektionen auf der Augenoberfläche abzielen“, so Tanima Bose, Immunologin beim Pharmaunternehmen Novartis in Kundl, Österreich.

Immunreaktion der Hornhaut
„Die Cornea zeigt eine abgeschwächte Reaktion auf Infektionen, unter anderem weil aggressive Immunzellen die klare Gewebeschicht schädigen und die Sicht behindern könnten“, erklärt Co-Autor Scott Mueller, Immunologe an der Universität Melbourne, Australien. Aus diesem Grund befinden sich die Immunzellen, die eine schnelle, aber grobe Reaktion auf eine Infektion zeigen, wie beispielsweise dendritische Zellen und Makrophagen, auch größtenteils in den äußeren Abschnitten der Hornhaut und treten nur bei Bedarf in Erscheinung.

Langlebige Immunzellen, sogenannte T-Zellen, befinden sich in fast jedem Gewebe des Körpers. Sie haben die Fähigkeit, Krankheitserreger, denen sie zuvor schon einmal begegnet sind, schnell anzugreifen. Dieser Prozess wird als „Immungedächtnis“ bezeichnet. Mueller und seine Kollegen stellten sich die Frage, ob solche Zellen auch in der Cornea vorkommen.

Mithilfe eines leistungsstarken Multiphotonenmikroskops zur Untersuchung von lebendem Gewebe analysierten die Wissenschaftler die Hornhäute von Mäusen, deren Augen mit dem Herpes-simplex-Virus infiziert worden waren. Sie beobachteten, dass zytotoxische T-Zellen und T-Helferzellen – Vorläufer des Immungedächtnisses – die Cornea infiltriert hatten und bis zu einem Monat nach der Infektion existent blieben. Weitere Betrachtungen, einschließlich invasiverer Mikroskopietechniken, konnten zudem zeigen, dass sich die entdeckten zytotoxischen T-Zellen zu langlebigen Gedächtniszellen entwickelt hatten.

Um die Hornhäute von sechs gesunden Erwachsenen genauer zu untersuchen, verwendeten die Forschenden Live-Cell-Imaging. Sie konnten Zellen identifizieren, die in Form, Größe und Geschwindigkeit den in der Cornea der Mäuse patrouillierenden T-Zellen ähnelten. „Es war ein ,Aha-Moment’. Wir waren etwas überrascht und erfreut zu sehen, dass es tatsächlich ein Immungedächtnis in der Hornhaut gibt“, erläutert Mueller. Aktuell arbeitet der Immunologe daran, Gewebe von Organspendern zu gewinnen, um den genauen Typ der patrouillierenden Zellen im Menschen zu bestätigen.

Zukunftschancen
Die Ergebnisse der Untersuchungen könnten das Verständnis von Krankheiten wie dem chronischen Trockenen Auge, aber auch das Verständnis des fortschreitenden Hornhautverlustes bei Autoimmunerkrankten und der Abstoßung von Hornhauttransplantaten verbessern.

Darüber hinaus interessiert den Clinician Scientist Akpek, ob diese langlebigen Immunzellen auch an der Gürtelrose beteiligt sind. Bei dieser Erkrankung leiden die Betroffenen unter einem schmerzhaften Ausschlag, der durch das Varizella-Zoster-Virus verursacht wird. In den Vereinigten Staaten erkrankt in etwa jeder dritte Mensch im Laufe seines Lebens einmal an Gürtelrose und ungefähr acht Prozent der Fälle treten im Auge auf, was zu Sehverlust führen kann. „Ich frage mich, ob mit den Gedächtnis-T-Zellen bei Personen, die wiederkehrende Gürtelrose-Infektionen bekommen, etwas nicht stimmt“, so Akpek.

Originalpublikation: Loi J K et al. Corneal tissue-resident memory T cells form a unique immune compartment at the ocular surface. Cell Reports (2022) DOI: 10.1016/j.celrep.2022.110852