Endophytischer Pilz: Tuberkulosewirkstoff aus afrikanischer Arzneipflanze

Kultur des endophytischen Pilzes Mucor irregularis. (Linda Wiegand/HHU)

Düsseldorfer Forscher haben in interdisziplinärer Zusammenarbeit den neuen Wirkstoff Chlorflavonin entdeckt, der ein neues Wirkschema gegen Tuberkulose aufweist.

Endophytische Pilze leben innerhalb von Pflanzen. Sie versorgen sich mit den Nährstoffen der Pflanzen, sie schützen ihre Wirte aber auch, etwa indem sie antibakterielle oder andere schützende Substanzen bilden. Diese Pilze sind deshalb in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus der Wirkstoffforschung gelangt, da sie zum Teil deutlich anders wirkende Stoffe bilden, mit denen neue Behandlungsstrategien gegen Krankheiten entwickelt werden können. Auch die Pharmazeuten aus der Arbeitsgruppe von Prof. Peter Proksch (Institut für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie, IPBB) konzentrieren sich verstärkt auf diese Pilze.

Viele seiner Nachwuchswissenschaftler kommen aus dem Ausland. „Wenn sie nach Düsseldorf kommen, bitten wir unsere neuen Promovierenden, Arzneipflanzen aus ihrer Heimat mitzubringen“, so Proksch. Mit diesen Pflanzen arbeiten sie dann in Düsseldorf, untersuchen sie auf ihre Wirkstoffe und isolieren die bioaktiven Verbindungen. Proksch weiter: „Diese Arbeitsweise ist auch sehr wichtig, wenn die Wissenschaftler wieder in ihre Heimat zurückkehren, denn so haben die Forschungen einen regionalen Bezug und eine größere Akzeptanz vor Ort.“

Herve Sergi Akone, ein ehemaliger Doktorand aus Kamerun, brachte die in der traditionellen Medizin Kameruns verwendete Arzneipflanze Moringa stenopetala mit. Er kehrte darüber hinaus während seiner Promotionszeit zu Sammelreisen nach Kamerun zurück, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanziert wurden. Aus der Pflanze extrahierte Akone, der mittlerweile an der HHU promovierte, den endophytischen Pilz Mucor irregularis und daraus wiederum die wirksame Substanz Chlorflavonin. Deren antimikrobielle Wirkung wurde von Nidja Rehberg, einer Doktorandin aus der Arbeitsgruppe von Prof. Rainer Kalscheuer (ebenfalls IPBB) getestet. In einem mehrstufigen Prozess, an dem verschiedene zum Graduiertenkolleg GRK 2158 gehörende Arbeitsgruppen beteiligt waren, wurde die Substanz aufgereinigt und hinsichtlich des Wirkspektrums getestet.

Es zeigte sich, dass Chlorflavonin spezifisch antibakteriell gegen den Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis wirkt. Die entsprechenden Tests wurden im Hochsicherheitslabor am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene an virulenten Stämmen von M. tuberculosis durchgeführt.

In weiteren Schritten konnten der Wirkort und -mechanismus gegen den Tuberkuloseerreger bestimmt werden: Gehemmt wird die Herstellung wichtiger Aminosäuren im Erreger, was dessen Stoffwechsel und Vermehrung behindert. Besonders bedeutsam ist, dass Chlorflavonin auch gegen multi- und extremresistente Stämme von M. tuberculosis – sogenannte XDR-Isolate – wirkt. Diese werden immer mehr zum Problem, was nicht zuletzt daran liegt, dass die letzten neuen Medikamente gegen Tuberkulose in den 1970er-Jahren entwickelt wurden. Heute ist eine Therapie sehr aufwendig, zeitintensiv und nebenwirkungsreich: Über mindestens sechs Monate müssen vier unterschiedliche Medikamente eingenommen werden. Gerade in ärmeren Ländern wird diese kostenintensive Behandlung oft nicht durchgehalten, sondern vielfach abgesetzt, wenn die Symptome zurückgehen.

Umso wichtiger wird es deshalb, neue Wirkstoffe zu finden, die an anderen Stellen ansetzen als die alten Substanzen, um so der Ausbildung von Resistenzen vorzubeugen. Genau einen solchen neuen Weg eröffnet das Chlorflavonin, welches darüber hinaus sehr gut mit bestimmten anderen klinischen Antituberkulosewirkstoffen zusammenspielt. „Gegebenenfalls kann so die Therapiezeit deutlich reduziert werden, was sich positiv auf die Kosten und die Motivation der Patienten auswirken kann“, hofft Kalscheuer.

Das Chlorflavonin ist eine für Pilze ungewöhnliche Substanz, sie tritt eher bei Pflanzen auf. Ihre genaue Wirkung wurde mittels Computermodellen am Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie bestimmt. So weiß man, an welche Stellen des M. tuberculosis die Substanz koppelt. Am Computer kann auch getestet werden, wie die aus dem Pilz stammende Grundsubstanz modifiziert werden kann, um noch besser an die Zielstruktur zu koppeln und so optimal zu wirken. „Auf der Grundlage einer Leitsubstanz kann eine ganze Bibliothek an verschiedenen Derivaten entwickelt werden, die bessere Eigenschaften in der Aufnahme, Verstoffwechselung oder Pharmakokinetik aufweisen können“, fasst Proksch die kommenden Aufgaben zusammen.

Originalpublikation: Rehberg H et al. ACS Infect. Dis., 6. Nov. 2017 (online)