Energieproduktion in Immunzellen: Proteinkönigin Atossa befiehlt die Zellinvasion

Die Studie wurde an Fruchtfliegen durchgeführt, doch einen Hauptregulator wie Atossa gibt es nicht nur bei diesen: Der dafür verantwortliche Protein-Code in Fliegen ist zu 44 Prozent identisch mit dem vergleichbaren im Menschen. (Foto: © Sebastian/stock.adobe.com)

Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben Forschende ein neues Protein entdeckt, das die Energieproduktion in Immunzellen ankurbelt und damit ihre Invasionskraft erhöht. Die Erkenntnisse könnten nicht nur die Immunabwehr verbessern, sondern auch das Verständnis der Energieregulation in Zellen des menschlichen Körpers revolutionieren.

Lebende Organismen müssen auf Herausforderungen reagieren können, insbesondere indem sie die Aktivität ihrer Immunsysteme anpassen. Aber wie können Immunzellen in Gewebe eindringen, um solche Infektionen aufzuspüren und zu eliminieren? Bei der Untersuchung dieses wichtigen Prozesses ist es Prof. Daria Siekhaus und Dr. Shamsi Emtenani am ISTA gelungen, eine noch wichtigere Frage zu beantworten: Was ist für die zur Zellinvasion benötigte zusätzliche Energie verantwortlich?

Die Forschenden entdeckten einen Ablauf, der die Energieproduktion in den Immunzellen ankurbelt und ihnen so die nötige Energie für ihr Eindringen ins Gewebe bereitstellt. Der neue Pfad wird von einem bisher nicht untersuchten Protein gesteuert, das die Wissenschaftler nach der persischen Königin Atossa benannten. Obwohl die Experimente an Fruchtfliegen durchgeführt wurden, zeigen die Ergebnisse, dass ähnliche Proteine in Säugetieren die gleiche Funktion haben. „Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, wie diese Entdeckung zu neuen Perspektiven in der menschlichen Physiologie führen kann, da die Steigerung der Energieproduktion in diversen Zellen im menschlichen Körper von entscheidender Bedeutung ist“, erklärt Erstautorin Emtenani. Ihre gemeinsame Arbeit mit der University of Albany (USA), der University of Toronto (Kanada), dem CeMM Research Center und dem Vienna BioCenter wurde jetzt in der Zeitschrift der European Molecular Biology Organization (EMBO) veröffentlicht.

Zellbiologin Shamsi Emtenani beschrieb den Hauptregulator Atossa erstmals und wies den Mechanismus nach, mit dem er die intrazelluläre Energieproduktion ankurbelt. (Foto: © Mariana Guarda/ISTA)

Atossa kommandiert die Energiesteigerung

Für Zellen ist es energetisch kostspielig, die Umgebung aus dem Weg zu räumen und ins Gewebe einzudringen. Das Immunsystem nutzt die Mitochondrien um Energie zu gewinnen. Die Forschenden haben nun herausgefunden, dass das Protein Atossa eine Kaskade in Gang setzt, die mitochondrielle Energieerzeugung reguliert und verbessert.

„Atossa wirkt sowohl als Gaspedal als auch als Gangschaltung“, erklärt Siekhaus. „Erstens aktiviert das Protein zwei Stoffwechselenzyme, die dazu beitragen, dass mehr Treibstoff in die mitochondriale Fabrik gelangt, und zweitens schaltet es die Mitochondrien in einen höheren Gang.“ Dieser Gangwechsel wird dadurch bewirkt, dass Atossa die Konzentration des Proteins Porthos erhöht. Porthos ist eine RNA-Helikase, benannt nach einem der drei Musketiere, die für ihre Treue im Dienste der französischen Königin bekannt sind. Porthos unterstützt dann den Aufbau des Apparates, der die Produktion von Proteinen ermöglicht, darunter viele, die die mitochondriale Aktivität und damit die Energieproduktion erhöhen.

Pionierarbeit an Fruchtfliegen relevant für den Menschen

Durch Bildgebung in lebenden Embryonen von Fruchtfliegen konnten die Forschenden eine deutliche Verringerung der Zellwanderung in Abwesenheit von Atossa feststellen. Außerdem wird die Funktion von Atossa nur in Pionierzellen benötigt. Ähnlich wie bei einer Expedition durch ein Dickicht leisten die ersten Zellen die Schwerstarbeit, sich mit der Machete einen Weg zu bahnen, und benötigen daher mehr Energie. Mit Unterstützung des Forschungspartners Dr. Thomas Köcher vom Vienna BioCenter verglichen die ISTA-Wissenschafter die Energiewerte mit und ohne das Atossa-Gen und bestätigten, dass Atossa diese tatsächlich steigert.

Einen Hauptregulator wie Atossa gibt es jedoch nicht nur in Fruchtfliegen. Der dafür verantwortliche Protein-Code in Fliegen ist zu 44 Prozent identisch mit dem vergleichbaren im Menschen. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass die Säugetiergene die Funktion des Fruchtfliegenproteins ersetzen können. „Wir sind sehr fasziniert von den Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen. Atossa könnte von zentraler Bedeutung für die Steigerung der Energieproduktion sein. In Immunzellen ist das zum Beispiel für die Produktion von Antikörpern und die Bestimmung weißer Blutkörperchen von Bedeutung. Atossa-ähnliche Proteine finden sich auch in Gehirnzellen. Hier liegen Defekte manchen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde“, sagt Siekhaus und weist auf künftige Forschungsansätze hin.

Das Vermächtnis einer Iranerin

„Die Arbeit mit Fliegen ist ideal, um komplizierte genetische Mechanismen aufzuspüren und neue Dinge zu entdecken. Es erfordert enormen Mut und großes Geschick, etwas völlig Unerforschtes zu analysieren. Für mich ist Shamsis Arbeit, die jeden Schritt des Ablaufs nachweist, ein Musterbeispiel für die beste Wissenschaft, die man auf diesem Gebiet betreiben kann“, lobt Siekhaus die Iranerin, die seit 2015 in ihrem Labor arbeitet. Emtenani selbst fügt hinzu: „Ich habe mir dieses spezielle Gen aus Neugierde angeschaut. Das Spannende daran ist: Wenn man als Erste die Funktion eines Gens im Bereich der Fruchtfliege entdeckt, darf man dessen Protein benennen.“

Das früher als CG9005 indizierte Protein wurde von Emtenani auf den Namen Atossa getauft. Da sich die Pionierzellen in einer Linie bewegen, eine nach der anderen, ähnlich einem Wasserlauf, wählte sie den Namen einer persischen Königin aus dem Reich der Achämeniden. „Atossa bedeutet wörtlich übersetzt ‘tröpfelnd’ und steht in Verbindung mit meiner Herkunft. Es schien mir auch passend für eine Königin, die drei Proteine befehligt – eines von ihnen ein Musketier –, die dafür verantwortlich sind, dass Zellen neue Gebiete erobern.“

Emtenani S, Martin E, Gyoergy A et al. A genetic program boosts mitochondrial function to power macrophage tissue invasion. EMBO J 2022; doi: 10.15252/embj.2021109049.