Energieschub für anhaltenden Entzündungsschmerz?

Unter dem Mikroskop zeigt sich die enge Verbindung von Astrozyten-Fortsätzen (grün) mit Nervenzellen (rot) im Rückenmark der Maus. Foto: ©Sebastián Marty-Lombardi/Universitätsklinikum Heidelberg

Heidelberger Forschende haben untersucht, welche genetischen Informationen im Rückenmark angeschaltet werden, wenn im Körper Entzündungen schmerzen. Dabei entdeckten sie eine bisher unbekannte Verbindung mit dem Zuckerstoffwechsel. 

Entzündungsschmerz dauert für gewöhnlich länger an, die schmerzleitenden Nervenfasern des Rückenmarks verändern sich und reagieren sensibler auf Reize aus dem entzündeten Bereich. Doch der Entzündungsschmerz wirkt sich nicht nur auf die Schmerzweiterleitung aus, sondern auch auf den Energiestoffwechsel der Zellen im Rückenmark. Das haben Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg entdeckt. Sie untersuchten im Tierversuch, wie sich mit Beginn des Entzündungsschmerzes die genetische Aktivität im Rückenmark verändert. Dabei entdeckten sie, dass in Astrozyten ein Gen des Zuckerstoffwechsels verstärkt aktiviert wurde. Das führte dazu, dass diese Zellen ihre Zuckerreserven in Form von Glykogen aufstockten. Das Team vermutet, dass damit der erhöhte Energiebedarf der benachbarten Nervenzelle gedeckt wird, wenn diese sich für den anhaltenden Schmerz vorbereiten. Ihre Erkenntnisse publizierten sie in „Nature Metabolism“.

Die Arbeit ist Teil des von Heidelberg aus koordinierten Sonderforschungsbereichs „Von der Nozizeption zum chronischen Schmerz: Struktur-Funktions-Merkmale neuraler Bahnen und deren Reorganisation“ (SFB 1158). Sprecherin ist Prof. Rohini Kuner, Geschäftsführende Direktorin des Pharmakologischen Instituts, das an der Medizinischen Fakultät Heidelberg angesiedelt ist.

Protein legt Zuckerspeicher an

„Unsere Entdeckung ist ein erster konkreter Hinweis, dass die Wahrnehmung von Entzündungsschmerz mit dem Energiestoffwechsel verknüpft ist – auch wenn wir noch viele Details klären müssen“, erläutert Prof. Jan Siemens, Arbeitsgruppenleiter am Pharmakologischen Institut. Das Team beobachtete, dass in den Astrozyten im Rückenmark von Mäusen in Folge des Entzündungsschmerzes genetische Information abgerufen werden, die unter anderem dazu führten, dass das Protein PTG (Protein Targeting to Glycogen) verstärkt gebildet wurde. Nach sechs Stunden enthielten die Astrozyten deutlich mehr Glykogen, danach lagerten sie wieder weniger Zuckerreserven ein. Noch ist unklar, was genau diesen Mechanismus in Gang setzt. Möglicherweise ist es die verstärkte neuronale Aktivität durch den Schmerzreiz.

Auch was mit dem gespeicherten Zucker passiert, bleibt noch zu klären. Es gibt aber Hinweise: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Stoffwechsellabors des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg beobachteten, dass in den schmerzleitenden Nervenzellen des Rückenmarks zeitlich passend bestimmte Signalstoffe vermehrt gebildet wurden, unter anderem der Neurotransmitter Glutamat. In speziell gezüchteten Mäusen, die das PTG der Astrozyten nicht bilden konnten, war Glutamat dagegen reduziert. Die Forschenden halten es daher für möglich, dass die Astrozyten den Nervenzellen den zusätzlichen Zuckervorrat liefern könnten, um genügend Neurotransmitter für die sensibilisierte und damit verstärkte Reizweiterleitung produzieren zu können.

Ähnliche Abläufe bei chronischem Schmerz?

Nicht nur auf molekularer Ebene zeigten die veränderten Mäuse Unterschiede: Diese Tiere empfanden zwar gleichermaßen den akuten Schmerz zu Beginn der Entzündung, allerdings normalisierte sich bei ihnen die gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei anhaltendem Entzündungsreiz deutlich schneller als bei den Tieren mit PTG. Das macht den Stoffwechselweg um PTG interessant für zukünftige therapeutische Ansätze – eventuell nicht nur bei anhaltendem Entzündungs-, sondern auch bei chronischem Schmerz. „Das Rückenmark spielt eine wichtige Rolle bei der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses, bei dem die schmerzleitenden Nervenfasern anhaltend überempfindlich reagieren. Auch dabei verändert sich der Energiestoffwechsel. Es könnte sich daher ein genauer Blick auf die daran beteiligten Proteine lohnen, um diese Prozesse beeinflussen zu können“, kommentiert Siemens.