Epilepsie bei Hunden: Die Lebensqualität steht für die Tierhalter im Mittelpunkt24. September 2021 Prof. Holger Volk von der TiHo Hannover mit seiner an Epilepsie erkrankten Hündin “Beauty” (2002). Foto: © privat Interview mit Professor Holger Volk von der Tierärztlichen Hochschule Hannover Die idiopathische Epilepsie tritt zu 0.6 % bis 18.3 % bei speziellen Rassen in der Hundebevölkerung auf und erscheint vielen Hundehaltern als vernichtende Diagnose. Dass dem nicht so sein muss, stellt Prof. Holger Volk von der Tierärztlichen Hochschule Hannover klar. Er zählt zu den führenden Spezialisten für Epilepsie bei Tieren in Europa und war fast 15 Jahre am Royal Veterinary College in London tätig, wo er auch für mehrere Jahre das Department of Clinical Science and Services geleitet hat. Seit Januar 2019 ist Volk Direktor der Klinik für Kleintiere der TiHo Hannover. Eine neue Studie (1) hat gezeigt, dass Hundehaltern besonders jene Therapieansätze wichtig sind, die sich auf ihre Lebensqualität und die ihres Hundes auswirken. Das Interview, das in Kompakt VetMed 04/2021 erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher. Herr Professor Volk, epileptische Anfälle beim eigenen Haustier erleben die meisten Tierhalter als sehr beängstigend. Was können Tierärzte diesen Tierhaltern zur Beruhigung sagen? Ein epileptischer Anfall wirkt immer sehr beunruhigend, weil wir das Gefühl haben, keine Kontrolle darüber zu haben. Ich hatte selbst früher als Student eine Irish-Setter-Hündin mit Epilepsie, „Beauty“. Auch für mich war das beängstigend. Tierärzte sollten dem Tierbesitzer zeigen, dass sie seine Probleme ernst nehmen. Ein positiver Aspekt ist ja immerhin, dass das Tier nicht mitbekommt, was mit ihm geschieht, während eines generalisierten Anfalls, denn es ist nicht bei Bewusstsein. Um im Ernstfall helfen zu können, sollten Tierhalter immer Notfallmedikamente zuhause haben, wie etwa rektales Diazepam. Oft sind die Anfälle bereits nach ein, zwei Minuten vorbei, und solange sie nur ganz kurz sind, ist das vollkommen in Ordnung. Wenn jedoch viele Anfälle auftreten an einem Tag, oder der Hund einen Anfall hat, der länger als fünf oder zehn Minuten dauert, muss der Tierhalter das Diazepam unmittelbar verabreichen und eventuell, wenn die Krampfanfälle länger andauern, auch zum Tierarzt fahren. Wie sind kleine Anfälle einzuordnen, wenn z.B. nur ein Bein zuckt, oder der Kopf? Bei einem fokalen Anfall kann es ebenso zu Gehirnschädigungen kommen wie bei einem generalisierten, sie sind also genauso relevant wie die generalisierten. Es ist wichtig, sich als Tierarzt nach diesen fokalen Anfällen zu erkundigen, insbesondere wenn der Hund bereits auf Antiepileptika ist, damit man weiß, ob schon ein Therapieerfolg eingetreten ist, oder nicht. Der Tierhalter sollte auch möglichst die Dauer des Anfalls, genau gesagt die Zeitspanne, in der die Muskelzuckungen auftreten, mit einer Stopp-Uhr messen und dokumentieren. Auch ein Video hilft. Es ist ebenfalls wichtig zu schauen, wie der Anfall angefangen hat. Ist eine Kastration anzuraten, wenn eine Epilepsie vermutet wird? Wir haben eine Studie (2) gemacht, in der wir gezeigt haben, dass die Kastration beim männlichen Hund keine Vorteile bietet, eher im Gegenteil. Wir haben herausgefunden, dass Hunde, die nicht kastriert waren, erst zu einem späteren Zeitpunkt im Leben eine Epilepsie entwickelt haben als kastrierte, und dass Hunde, die nicht kastriert waren, auch insgesamt länger gelebt haben. Bei der Hündin ist es ein bisschen anders. Da kommt es auf den Einzelfall an. Bei Frauen gibt es eine Epilepsieform, die katameniale Epilepsie, die zyklusabhängig ist, das gleiche gibt es bei der Hündin. Wir haben bei nicht kastrierten Hündinnen, die in die Läufigkeit kommen, festgestellt, dass bei manchen entweder direkt in der Läufigkeit Krampfanfälle auftreten oder ein bis drei Monate danach. Aber das heißt nicht, dass das bei allen Hündinnen so ist, deswegen muss man das Geschehen ein paar Zyklen beobachten, ob das wirklich hoch- und runtergeht mit dem Anfallsleiden. Bei betroffenen Hündinnen ist eine Kastration hilfreich. Können die Lebensumstände des Tieres den Verlauf der Epilepsie beeinflussen? Wie beim Menschen, ist der Lifestyle von ganz entscheidender Bedeutung. Es wirkt sich positiv aus, wenn die Hunde in einer vertrauten Umgebung sind, ein stets ähnlicher Tagesrhythmus und geregelte Schlafenszeiten eingehalten werden, also wenn sie wenig Stressfaktoren ausgesetzt sind. Wir wissen z.B., dass Hunde mit Epilepsie nicht so gut schlafen. Auch die ganz alltäglichen Dinge des Lebens, wie gute Ernährung, Bewegung, gute Hydration sollten in optimaler Weise berücksichtigt werden, das kann auf jeden Fall helfen. Ich denke, das ist recht gut nachvollziehbar. An Epilepsie leidende Hunde zeigen häufig ein verändertes Verhalten und Defizite in der Kognition. Wie können Besitzer damit umgehen, wie sollen sie sich verhalten? Bei zwei von drei epileptischen Hunden werden Veränderungen im Sinne von Angststörungen auftreten (Studie (3)), das besagt die Statistik. Die Ängste beziehen sich aber eher auf fremde Tiere oder Personen, ungewohnte Situationen. Vertraute Menschen und Tiere stellen kein Problem dar. Solange man das weiß und selbst ruhig ist, umso besser für das Tier. Bezüglich der Kognition: Beim Lernverhalten konnten wir zeigen, dass Hunde, die eine positive Verstärkung bekommen, besser lernen und dass sie auch motivierter sind, weiterhin zu lernen. Man sollte Hunden, die an Epilepsie leiden, einfach mehr Zeit geben zum Lernen. Das gilt vor allem, wenn das Tier auf Medikamenten ist, da manche Medikamente wie z.B. Phenobarbital einen ein bisschen vernebeln und damit lernt es sich nicht so leicht. Welchen Einfluss hat die Ernährung auf die Anfallshäufigkeit? Was wir mittels mehrerer Studien (4) (5) (6) herausgefunden haben ist, dass die Ernährung und das Mikrobiom einen wichtigen Anteil für die grundsätzliche Gehirngesundheit bieten. Die Ernährung kann definitiv die Gehirnaktivität verbessern. Durch eine gezielte Ernährung mit Fischölen und mittelkettigen Fettsäuren und anderen Antioxidantien kann bei alternden Hunden die Gehirngesundheit verbessert werden. Sie erlangen auch wieder eine bessere Kognition, sind wieder besser trainierbar. Zu den gleichen Erkenntnissen sind wir auch in der Epilepsie-Forschung gekommen. Das Allerwichtigste bei der Ernährung eines an Epilepsie erkrankten Hundes ist, dass er eine einfach zu verdauende, qualitativ hochwertige Ernährung erhält. Man sollte vor allem eine Ernährung mit mittelkettigen Fettsäuren ausprobieren, die nachgewiesenermaßen eine Verbesserung in der Kognition und in der Epilepsiekontrolle hervorrufen kann. Nicht bei jedem Tier, aber bei vielen. Generell sollte wenig oder gar nichts vom Tisch gefüttert werden, um den Salzkonsum gering zu halten. Was auch spannend ist: Beim Vorliegen einer Epilepsie sind auch Veränderungen im Mikrobiom nachweisbar. Da arbeiten wir gerade an einem sogenannten Mikrobiom-Additing, wir versuchen, bestimmte Bakterien in das Mikrobiom „einzuführen“, um zu gucken, ob wir die Epilepsie und das Verhalten verbessern können. Was ist bei der Eingabe von Kaliumbromid zu beachten? Wenn man einen Hund hat, der auf Kaliumbromid ist, das ja selbst chemisch nichts anderes ist als ein Salz, wird die Therapie sehr schnell negativ beeinflusst, wenn der Salzgehalt der Nahrung schwankt. Konkret heißt das, wenn der Salzgehalt in der Nahrung hoch ist, geht der Kaliumbromidspiegel runter. Dann haben wir einen Wirkungsverlust. Deswegen hier auf keinen Fall Sachen vom Tisch, weil unser Menschenessen leider sehr oft sehr salzhaltig ist. Gibt es „Hindernisse“, die den Therapieerfolg limitieren? Wir haben eine Studie gemacht, die ergeben hat, dass nur einer von fünf Hundebesitzern die Medikamente seinem Hund zu hundert Prozent korrekt gemäß der tierärztlichen Anweisung verabreicht. Das ist niederschmetternd, denn gerade bei der Epilepsie-Therapie ist es immens wichtig, dass man die verordneten Arzneimittel zu hundert Prozent korrekt eingibt. Wenn man das nicht macht, kann man dadurch sogar die Epilepsie verschlimmern, wenn der Arzneimittelspiegel immer wieder hoch- und runtergeht. Die Besitzer-Compliance ist extrem wichtig für den Therapieerfolg. Wie sieht es bei den Katzen aus? Bei der Katze ist die idiopathische Epilepsie die häufigste neurologische Erkrankung, genauso wie beim Hund. Katzen sieht der Besitzer nur nicht immer, wenn sie Anfälle haben. Die verkriechen sich und man hört sie vielleicht nur Miauen. Anfälle bei Katzen sehen entweder so aus wie Kaugummikauen, mit dem sie nicht aufhören können, die Tiere speicheln und die Pupillen werden ganz groß. Oder sie haben fokale, symmetrische Anfälle oder generalisierte Anfälle, die sehen meistens ganz schlimm aus. Die Tiere haben dann starke Kontraktionen in allen vier Gliedmaßen und im Kopf und auch wieder diese Kaubewegungen. Und auch wenn die Tabletteneingabe bei ihnen oft schwieriger ist – Katzen sprechen genauso gut auf die Medikamente an wie Hunde. Herzlichen Dank für das Gespräch, Prof. Volk. (1) Jones G M C, Volk H A, Packer R M A: Research priorities for idiopathic epilepsy in dogs: Viewpoints of owners, general practice veterinarians, and neurology specialists, J Vet Intern Med 2021 May;35(3):1466-1479., doi: 10.1111/jvim.16144 (2) Van Meervenne S et al., Associations Between Neutering and Idiopathic Epilepsy in Labrador Retrievers and Border Collies Under Primary Veterinary Care in the UK, Vet J 2019 Oct;252:105354., doi: 10.1016/j.tvjl.2019.105354 (3) Watson F et al., Behavioural changes in dogs with idiopathic epilepsy, Vet Rec. 2020 Jan 25;186(3):93., doi: 10.1136/vr.105222 (4) Han F Y et al., Dietary medium chain triglycerides for management of epilepsy: New data from human, dog, and rodent studies, Epilepsia 2021 Aug;62(8):1790-1806., doi: 10.1111/epi.16972 (5) Berk B A et al., A Multicenter Randomized Controlled Trial of Medium-Chain Triglyceride Dietary Supplementation on Epilepsy in Dogs, J Vet Intern Med 2020 Mai; 34 (3): 1248-1259., doi: 10.1111/jvim.15756 (6) Molina J et al., Efficacy of Medium Chain Triglyceride Oil Dietary Supplementation in Reducing Seizure Frequency in Dogs With Idiopathic Epilepsy Without Cluster Seizures: A Non-Blinded, Prospective Clinical Trial, Vet Re. 2020 Jun 12; vetrec-2019-105410., doi: 10.1136/vr.105410
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