Erbgut von Primaten als Schlüssel zur menschlichen Gesundheit2. Juni 2023 Weißstirn-Kapuzineraffen (Cebus unicolor) in der Nähe von Manaus, Brasilien Foto: © Rebecca Still Ein internationales Forschungsteam hat Primaten-Genome von 809 Affen aus 233 Arten mittels KI auf die klinische Relevanz von individuellen Genvarianten analysiert. Die Genomdaten versprechen neue Erkenntnisse über die genetischen Ursachen menschlicher Krankheiten. Mit Entwicklung eines auf Deep-Learning basierenden Algorithmus könnten diese Daten in Zukunft als eine Grundlage für personalisierte medizinische Behandlungskonzepte beim Menschen dienen. Martin Kuhlwilm, Wissenschafter am Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien, hat an dieser und weiteren Studien zum Genom verschiedener Primaten mitgewirkt, deren gesammelte Ergebnisse aktuell in der neuesten Ausgabe des Fachjournals „Science” publiziert wurden. Die erzielten Resultate sind vielversprechend und ermöglichen weitere Einblicke in die Evolution der Primaten, in manche (vermeintliche) Alleinstellungsmerkmale des Menschen sowie in genetische Ursachen menschlicher Erkrankungen.Bereits jetzt in aller Munde, aber noch sehr ausbaufähig: die personalisierte, auf der Genetik des Individuums basierende Medizin, die zukünftig noch mehr sinnvolle Lösungen und Therapiekonzepte für den Menschen bieten soll. Voraussetzung dafür diese Frage zunehmend exakter zu beantworten ist es, unter den hunderttausenden Mutationen des menschlichen Genoms diejenigen zu identifizieren, die tatsächlich Krankheiten verursachen. Weil der Fortschritt bei der Entschlüsselung des individuellen Genoms nur langsam erfolgt und humane Datensätze überdies nur über einen erdgeschichtlich begrenzen Zeitraum verfügbar sind, lag es nahe, sich Informationen aus dem Genom nahe verwandter Primatenarten zunutze zu machen: Denn die genetische Vielfalt, die bei den 520 bekannten nichtmenschlichen Primatenarten vorkommt, ist das evolutionäre Ergebnis ständig ablaufender „Experimente der Natur” zur genetischen Variation. Diese finden seit Millionen von Jahren ununterbrochen statt – und liefern damit eine wertvolle Datenquelle.Genom aus dem Katalog Humboldt-Totenkopfaffen (Saimiri cassiquiarensis ssp. cassiquiarensis), Mamirauá, Brasilien. Foto: © Marcelo Santana Zunächst erstellten die Wissenschafter mittels Sequenzierung von rezenten und fossilen Primaten-Genomen den bisher umfangreichsten Katalog an Genomdaten von nonhumanen Affen, in den die Ergebnisse von 809 Individuen aus 233 untersuchten Arten einflossen. Die Veröffentlichung dieses einzigartigen Datensatzes umfasst so die Genomdaten von fast der Hälfte aller auf der Erde lebenden Primatenarten. Die Daten ermöglichten es dem Forschungsteam zunächst, die Arten in phylogenetischen Analysen zu vergleichen und so das Verständnis der Evolutionsgeschichte der Primaten zu verbessern.Aber nicht nur das – denn ausgehend von der Annahme, dass Genvariationen einer Primatenspezies ähnliche Auswirkungen haben wie dieselbe Variante bei einer anderen Spezies, wurden bei eng verwandten Arten Populations-Screenings durchgeführt und gemeinsame Genvarianten systematisch katalogisiert. Martin Kuhlwilm erklärt: „Mit dem neuen Genomkatalog hat sich die Zahl der genomischen Variationen halbiert, von denen man annahm, dass sie nur beim Menschen vorkommen. Diese Reduktion erleichtert die Identifizierung derjenigen Mutationen, die wir nicht mit Primaten teilen und die so die Grundlage für Merkmale sein könnten, die uns zu Menschen machen.” „Da wir aber viele der jüngsten genetischen Veränderungen nicht alleine tragen, sondern mit anderen Arten teilen, scheint das, was uns tatsächlich zum Menschen macht, seltener zu sein als erwartet”, führt Kuhlwilm weiter aus. „Dies zeigt, dass das Studium unserer lebenden Verwandten uns hilft, unsere eigene Spezies besser zu verstehen.”KI für krankheitsverursachende MutationenEine der Grenzen in der Human- und klinischen Genetik besteht darin, dass es derzeit nicht möglich ist, unter Hunderttausenden von Mutationen diejenigen zu erkennen, die Krankheiten verursachen. Gegenwärtig sind die genetischen Ursachen vieler Volkskrankheiten wie Diabetes und Herzerkrankungen unbekannt, was entweder auf fehlende genetische Informationen oder auf die große Zahl der beteiligten genetischen und anderen Faktoren zurückzuführen ist. Durch den Vergleich der Genome jener 233 Arten nonhumaner Primaten mit dem Genom des Menschen konnten über 4,3 Millionen „Fehlmutationen” in den Genen identifiziert werden, die nachfolgend die Zusammensetzung der Aminosäuren in den Proteinen verändern und potentielle Ursachen für humane Krankheiten sein können. Die tatsächliche Identifikation von krankheitsverursachenden Mutationen gelang durch die Entwicklung des auf Deep-Learning basierenden Algorithmus „PrimateAI-3D” und ließ umgekehrt auch gemeinsam bei Menschen und Affen vorkommende Genvarianten ausschließen, die nicht pathogen sind. So kamen 6 Prozent der möglichen Fehlmutationen häufig bei Primaten vor und werden daher als „potenziell gutartig” angesehen, da ihr Vorhandensein bei diesen Tieren ohne Anzeichen von Krankheit toleriert wird.In Anbetracht der Tatsache, dass heute bereits mehr als 60 Prozent der Primatenarten auf der Erde vom menschenverursachten Aussterben in den nächsten zehn Jahren bedroht sind, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um diese unersetzlichen Arten zu schützen. Denn, so Studienautor Lukas Kuderna: „Wir müssen jetzt entscheiden, ob wir handeln wollen, um diese wertvollen Tierarten zu erhalten. Jede für sich ist wertvoll – und unser Spiegel, der zum Verständnis unserer Genome und damit unserer selbst dient.”
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