ERC Advanced Grant für innovative Forschung: Neuer Tarnumhang für medizinische Therapeutika27. April 2022 Therapeutischer Proteinwirkstoff, der durch die Konjugation mit Polyethylenglykol-Ketten (PEG, blau) abgeschirmt und nicht vom Immunsystem erkannt wird. Im bewilligten ERC-Advanced-Grant-Projekt soll die PEGylierung weiterentwickelt werden. (Abbildung: ©: Holger Frey) Künftig soll ein Verfahren die Vorteile der PEGylierung für die Nanomedizin erhalten, die Erkennung der neuartigen PEG-Strukturen durch das Immunsystem jedoch verhindern. Seit ihrer Erfindung vor etwa 50 Jahren hat sich die PEGylierung zu einem Standardverfahren in der Pharmazie entwickelt. Arzneistoffe werden dabei unter einer Art Tarnumhang versteckt, um sie vor einem raschen Abbau oder unerwünschten Angriffen des Immunsystems zu schützen. Beispielsweise wird die PEGylierung bei den mRNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus eingesetzt. Allerdings gibt es zunehmend Probleme: In den Industrieländern bilden immer mehr Menschen Antikörper gegen die Substanz Polyethylenglykol (PEG) und reagieren darauf teilweise mit schweren Allergien. Prof. Holger Frey von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) arbeitet an einem neuen Verfahren, um die Nachteile der PEGylierung auszuschalten, gleichzeitig aber ihre Vorteile für die Zukunft zu erhalten. Er bekommt hierfür einen ERC Advanced Grant in Höhe von 2,5 Millionen Euro. PEGylierung – Schlüsselstrategie in der aktuellen Nanomedizin Polyethylenglykol ist fast allgegenwärtig: Es kommt in Kosmetikprodukten vor und in Zahnpasta, Waschmitteln und Lithium-Ionen-Akkus, Lebensmitteln und Textilien. Die pharmazeutische Technologie und die Medizin nutzen PEG als Wirkstoffträger und für eine Fülle von Spezialanwendungen. Einen unschätzbaren Wert erhält PEG jedoch durch seine Verknüpfung mit Wirkstoffen oder Proteinen: die PEGylierung. „Die PEGylierung ist für eine Vielzahl von kommerziellen Therapeutika unverzichtbar“, erklärt Frey. „Ohne dieses Verfahren würde unser Körper die Wirkstoffe, wie auch die mRNA-Impfstoffe, als unerwünschte Fremdsubstanzen betrachten, sie schnell abbauen und ausscheiden. Dieser Tarnkappeneffekt hat 30 Jahre lang gut funktioniert, aber die Waffe droht stumpf zu werden.“ Dies liegt im Immunsystem begründet, das die Polymere oft nicht mehr unerkannt in der Blutbahn zirkulieren lässt: In den Industrieländern sind neuen Untersuchungen zufolge bei bis zu 70 Prozent der Menschen Antikörper gegen PEG zu finden, während der Anteil Anfang der 1980er-Jahre nur bei einem bis zwei Prozent gelegen hat. Dies führt dazu, dass Arzneimittel, die mit PEG verknüpft sind, oft schnell aus dem Blutkreislauf entfernt werden und damit ihre Wirkung nicht mehr entfalten können. Außerdem kommt es zu Überempfindlichkeiten und teils starken allergischen Reaktionen, was durch das Verfahren ursprünglich vermieden werden sollte. Arbeitskreis wird spezielle PEG-Strukturen für medizinische Therapeutika entwickeln Eine Lösung sieht Frey in der Trennung zwischen der PEG-Verwendung in alltäglichen Produkten und in der medizinischen Anwendung. Für medizinische Therapeutika sollen im Rahmen des ERC-Projekts „RandoPEGMed“ die Arzneistoffe daher mit abgewandelten Polymeren verknüpft werden. Die Basis dafür bildet weiterhin Polyethylenglykol, es wird allerdings durch andere Bausteine ergänzt. „Wir wollen die einheitliche Struktur mit Unregelmäßigkeiten, die rein zufällig verteilt werden, aufbrechen“, erklärt der Chemiker. „Damit kann die Tarnung wieder hergestellt werden und die Wirkstoffe können ihren Bestimmungsort erreichen, ohne vom Immunsystem entdeckt zu werden.“ Der Wissenschaftler verfügt über langjährige Erfahrungen auf diesem Gebiet: Er hat mit seinem Team aus 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den vergangenen zehn Jahren eine Methodik entwickelt, um auf molekularem Niveau ein genaues Verständnis der Polymerketten zu erhalten. ERC Advanced Grant: Anerkennung für Forschung auf international höchstem Niveau Holger Frey (Foto: © Frey) Frey hat Chemie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg studiert und nach Aufenthalten in den USA und in Frankreich an der Universität Twente in den Niederlanden promoviert. Seit 2002 ist er Professor für Organische und Makromolekulare Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sein Arbeitskreis befasst sich mit neuen Polymermaterialien, darunter auf der einen Seite mit Polymeren für medizinische und pharmazeutische Zwecke, auf der anderen Seite mit biobasierten und potenziell nachhaltigen Materialien, die als Alternative zu Kunststoffen auf der Basis fossiler Rohstoffe dienen können. Die Forschungsergebnisse sind in mehr als 400 Originalpublikationen und Übersichtsartikeln erschienen, und es wurden mehr als 40 Patente erteilt. Frey ist auch Mitherausgeber der Polymerzeitschrift „Polymer Chemistry“ der Royal Society of Chemistry. In Mainz ist er unter anderem Teilprojektleiter im Sonderforschungsbereich 1066, der Nanotherapeutika für die Krebstherapie thematisiert und eine wichtige interdisziplinäre Brückenfunktion zwischen Chemie, Pharmazie und Medizin einnimmt.
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