eRezept-Start in zwei Ländern: Ärzte fühlen sich überrumpelt13. Mai 2022 Dr. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KVSH sieht einen „Kommunikations-GAU erster Klasse”. Foto: KHSH Zu früh, zu schlecht kommuniziert, per Zwang verordnet: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Virchowbund-Landesgruppen in Schleswig-Holstein und Bayern kritisieren, dass die dortigen Arztpraxen bereits ab September zur Ausstellung von eRezepten verpflichtet worden sind. Hintergrund: Die Gesellschafterversammlung der gematik hat am 9. Mai den stufenweisen bundesweiten e-Rezept-Roll-out als Beschlussvorlage vorgelegt. Zuerst wird demnach die Umsetzung in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Bayern am 01.09.2022 verpflichtend. “Ohne irgendeine Rücksprache und Planung” Die beiden KVen berichten, sie seien erst am 10. Mai erstmals und parallel zu den Medien darüber informiert worden. In beiden Bundesländern seien die technischen Voraussetzungen weder in allen Praxen noch in allen Apotheken und Kliniken gegeben, betonen sie jetzt in einer Mitteilung. „Dies ist ein Kommunikations-GAU erster Klasse, der zeigt, wie weit das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die gematik von Praxisabläufen entfernt sind. Die akut in Kraft gesetzte Verpflichtung nimmt uns jede Chance, mit den technisch gerüsteten Praxen geordnet zu starten und weitere zur Mitarbeit zu motivieren”, kritisiert Dr. Monika Schliffke, die Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein (KVSH). “Ohne irgendeine Rücksprache und Planung setzen uns BMG und gematik erneut etwas vor, was nur zu Chaos in den Praxen führen kann.“ Der Teufel steckt im Detail Dass das System unzureichend getestet sei, betont der Vorstandsvorsitzende der KV Bayerns (KVB), Dr. Wolfgang Krombholz: „Eine von der gematik gesetzte Zielmarke für den Roll-out-Start von 30.000 Rezepten unter Einbeziehung von nur 3 Softwaresystemen reicht lange nicht aus, um eine stabile Funktionsfähigkeit anzuzeigen. Täglich werden in Deutschland fast 2 Mio. Rezepte an Patienten ausgestellt. Es reicht auch nicht, dass angeblich schwere Fehler ausgeräumt seien, denn es sind meist die kleinen Fehler, die die Praxisabläufe extrem behindern.“ Auch nach Ansicht des Virchowbunds kann das eRezept erst dann als ausreichend getestet gelten, wenn es auf allen Praxisverwaltungssystemen und bei allen Fachrichtungen stabil laufe. Selbst kleine Probleme führten durch die schiere Masse an Rezepten, die in einer durchschnittlichen Arztpraxis anfallen, zu einem enormen Mehraufwand, warnen die Landesgruppen in einer Pressemitteilung. Der Niedergelassenen-Verband denkt hier auch an die Medizinischen Fachangestellten (MFA): „Der schon jetzt spürbare Fachkräftemangel würde dadurch massiv verschärft. Viele Praxen könnten dann nur noch deutlich weniger Patienten behandeln oder müssten sogar schließen“, warnt Dr. Veit Wambach. Der Hausarzt ist Vorsitzender der Landesgruppe Bayern im Virchowbund sowie stellvertretender Bundesvorsitzender. “Politische Erpressung” statt Funktionalität Die Landesgruppen zeigen sich enttäuscht vom Bundesgesundheitsminister, so Wambach und Matthias Seusing, Landesgruppenvorsitzender in Schleswig-Holstein: “Prof. Karl Lauterbach hat noch zu Anfang des Jahres erklärt, er habe das eRezept vorerst gestoppt und wolle eine umfassende Digitalisierungsstrategie vorlegen. Von dieser Strategie ist weit und breit nichts zu sehen.“ Pflichtanwendungen für Praxen müssten so entwickelt werden, dass sie tatsächlich eine Erleichterung für Patienten und Ärzte bieten, fordern sie. Lauterbach hatte noch vor Kurzem betont, dass digitale Anwendungen einen konkreten Nutzen bringen müssten (wir berichteten). Neben der unausgereiften Technik und den Kommunikationsdefiziten bemängeln die Landes-KVen und die Virchowbund-Landesgruppen das unkooperative Verhalten des Ministeriums. Die Landesgruppenvorsitzenden kritisieren, dass offenbar fehlerbehaftete Anwendungen ohne dahinterliegende Strategie per Zwang umgesetzt werden müssten. „Wieder einmal sorgen der Minister und die gematik durch ihr Projektmanagement und ihre Kommunikation dafür, dass zentrale Partner wie die Ärzteschaft und MFA verprellt werden.“ Die KVen sehen sogar “politische Erpressung”, mit der mangelnde Funktionalität ersetzt werden solle. (ms)
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