Erhöhtes Tierärzteaufkommen: 12. Leipziger Tierärztekongress feiert Besucherrekord

Leipzig am Morgen Foto: © Sigrun Grombacher

Trotz widriger Wetterverhältnisse strömten vom 18.-20. Januar 2024 um die 6900 Veterinärmediziner aus dem gesamten Bundesgebiet und dem deutschsprachigen Ausland in die Messestadt, um am 12. Leipziger Tierärztekongress teilzunehmen.

Und die Reise lohnte sich: Leipzig war „the place to be“ für alle ambitionierten, fortbildungsfreudigen Veterinäre, Tiermedizinischen Fachangestellten und Studenten der Tiermedizin. Neben einem an Vielfalt schwer zu überbietenden Vortrags- und Seminarprogramm mit mehr als 500 Vorträgen, imponierte die Veranstaltung auch mit 329 Ausstellern, womit sich die Fachmesse als größte ihrer Art in Mitteleuropa positionierte.

Leipziger Messe Foto: © Sigrun Grombacher

„Das Wachstum des Leipziger Tierärztekongresses ist überwältigend und verdeutlicht, wie wichtig er für Veterinärmediziner jeglicher Tätigkeitsfelder ist“, resümierte dann auch Prof. Dr. Uwe Truyen, Kongresspräsident und Direktor des Instituts für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen an der Universität Leipzig. „Das Erfolgsrezept liegt in der Verbindung von fachlicher Fortbildung und Networking auf der vetexpo. Das Vernetzen, voneinander lernen, sich austauschen und gemeinsam feiern – all das schafft eine einmalige Atmosphäre, die auch in diesem Jahr deutlich spürbar war.”

Die gute Stimmung zog sich wie ein roter Faden durch das Programm: So trafen die Vorträge zur Bildgebung auf derart reges Interesse, dass selbst der hierfür bereitgestellte riesige Veranstaltungssaal, der 1500 Besucher fasst, zeitweise an seine Grenzen stieß.

Die Tierbilder von Malerin Tina Paulus fanden großen Anklang bei den Tierärzten. Foto: © SG

Dr. Ingmar Kiefer von der Universität Leipzig führte durch das äußerst kurzweilige Programm. Tierärztin Sabrina Gamerad, auch von der Uni Leipzig, referierte zum Thema Harnabsatzstörungen. Sie empfahl bei Traumata und Verdacht auf obstruktive Urolithiasis dem Röntgen den Vorzug zu geben, während sie bei Weichteilveränderungen durch z. B. Entzündungen oder Neoplasien primär zur Sonographie riet. Natürlich seien bei der Wahl der Mittel immer entsprechend Signalement, Vorbericht und Klinik zu berücksichtigen. Zuvor hatte Kristina Merhof von der TiHo Hannover, die über die bildgebende Diagnostik des Ileus sprach, zu Beginn ihres Vortrages einen persönlichen Einblick gewährt, indem sie die einzelnen „Stufen des Lernens“ mit eigenen Erfahrungen unterfütterte, die den Entwicklungsprozess veranschaulichten. Sie riet, „die kleine verunsichernde Stimme im Innern akzeptieren zu lernen, um den Lernprozess nicht einfrieren zu lassen resp. zu lähmen und sich vom Stadium der unbewussten Inkompetenz über die bewusste Inkompetenz zur bewussten Kompetenz und schließlich zur unbewussten Kompetenz vorzuarbeiten.” In Bezug auf die Ileusdiagnostik empfahl Merhof auch bei der Katze stets in drei Ebenen zu röntgen und verwies darauf, dass von einer Kontrastpassage mit Bariumsulfat dringend abzusehen sei, sofern man plane, eine Endoskopie durchzuführen. Denn Bariumsulfat ruiniere das Endoskop. Da bei vermuteten Perforationen des Magendarmtraktes Bariumsulfat ohnehin kontraindiziert sei, bedienten sie sich gerne erst einmal der Pneumocolonographie, bei der über einen Foley-Katheter vorsichtig Raumluft intrarektal appliziert wird und dann laterale und VD-Aufnahmen angefertigt werden.

Dr. Imke März von der Tierklinik Hofheim und PD Dr. Luciano Pizzulli, Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, nahmen einen Abgleich des Diurese-Managements von Human- und Veterinärmedizin vor. Foto: © SG

Prof. Holger Volk, Tiho Hannover, hatte sich mit dem unbewussten und bewussten Lernen bereits am Vortag in seinem Vortrag zu lebenslangem Lernen (– von Fehlern lernen im tierärztlichen Team) beschäftigt. Neben der Lernspirale wog er das auf Wachstum ausgerichtete (Growth) Mindset im Vergleich zum „Fixed Mindset“ ab, das sich weiterem Wachstum weitgehend verschließt durch Leitsätze wie etwa „Ich bin entweder gut in etwas oder ich bin es nicht“ und welches persönliches Versagen als die fixe Grenze der eigenen Fähigkeiten verbucht.

Im Verlauf seines Vortrages berichtete Volk über einen Zwischenfall, der sich während seiner Tätigkeit in Großbritannien ereignete: Durch die versehentliche intravenöse Verabreichung eines Antibiotikums, das nicht für diese Applikationsform zugelassen war, hatten zwei Studenten aus Unwissenheit einem Pony das Leben genommen. Ein schwerwiegender Vorfall, der einer gründlichen, zeitnahen Aufarbeitung bedurfte. Im Zuge der Aufarbeitung stellte sich heraus, das auf dem Weg hin zu der Fehlhandlung durch die Studenten, bereits eine Reihe von ungünstigen Vorbedingungen vorgelegen hatte, wie etwa mangelhafte Kommunikation unter den Beteiligten. Volk stellte die Grundsätze des im britischen Gesundheitssystem NHS gepflegten „Just Culture Guide” vor. Eine Art Leitfaden, der Führungskräfte dazu ermutigt, Mitarbeiter, die in einen Vorfall im Bereich der Patientensicherheit involviert sind, konsequent, konstruktiv und fair zu behandeln. Die weitestmögliche gerechte Behandlung des Gesundheitspersonals unterstützt eine Kultur der Fairness, Offenheit und des Lernens, indem sie den Mitarbeitenden das Selbstvertrauen gibt, sich zu äußern, wenn etwas falsch läuft, anstatt Angst vor Schuldzuweisungen zu haben. Volk verstand es mit der ihm eigenen Leichtigkeit, das gravierende Thema aufzubereiten. Er stellte auch eigene Bemühungen der TiHo vor, die tradierte Kultur der Schuldzuweisung nicht länger zu pflegen, sondern durch eine offene Fehlerkultur zu ersetzen. Als Message resümierte er, dass Teams zusammen lernen, d. h. wachsen, müssen – und im besten Falle auch zusammen feiern -, damit sie in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens selbst unter hohen Anforderungen reibungsarm (und möglichst fehlerfrei) miteinander arbeiten können. Hier gäbe es noch einiges an Unterstützungsarbeit für die Veterinärmediziner und Studenten der Tiermedizin zu leisten. Für humanmedizinische interdisziplinäre Teams, von denen es zukünftig hoffentlich auch vermehrt solche geben wird, die Veterinärmediziner einbinden, existieren derartige Hilfestellungen bereits, wie der Vortrag seines Vorredners, Prof. Jan Ehlers von der Universität Witten/Herdecke, Fachtierarzt für Informatik und Dokumentation, zeigte. Ehlers‘ Arbeitsschwerpunkte liegen in der interprofessionellen Lehr- und Lernforschung im Gesundheitswesen und in der Digital Planetary Health.

Der Kongressbesuch machte Lust auf mehr

Die hohe Beliebtheit des Kongressprogramms führte laut Veranstalter zu vollbesetzten Sälen und guten Bewertungen in der Besucherbefragung. So gaben 96 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, den Leipziger Tierärztekongress Kollegen weiterzuempfehlen und auch 2026 wieder zu besuchen. Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe, ergänzt: „Der neue Besucherrekord und die durchweg positiven Rückmeldungen von Ausstellern und Teilnehmern unterstreichen die herausragende Stellung des Leipziger Tierärztekongresses. Zudem werden die Aussteller der vetexpo immer internationaler, was die Relevanz der Veranstaltung auf europäischer Ebene widerspiegelt. Wir freuen uns darauf, den Branchentreff auch zukünftig weiter auszubauen.“ 

Tierärzte scheinen an „Rücken” zu leiden und das durch alle Altersklassen. Am Stand der Invitalis GmbH war jedenfalls immer etwas los. Foto: © Sigrun Grombacher

Auf der vetexpo herrschte unübersehbar optimistische Stimmung. Die Fachbesucherinnen und Fachbesucher nutzten die Gelegenheit, sich über aktuelle Trends, Produktentwicklungen und innovative Behandlungsmethoden in der tiermedizinischen Versorgung zu informieren. Auf der Jobmesse Vetjobs24 CAREER CORNER pärsentierten sich 35 Unternehmen als potenzielle Arbeitgeber dem heiß umkämpften Nachwuchs.

Auch Diana Kuhn, Auszubildende zur Tiermedizinischen Fachangestellten in der Kleintierpraxis Gräfenberg, die mit ihrer kleinen Hündin Viky die Fachmesse und Vortragsveranstaltungen besuchte, war von den tollen Angeboten sehr angetan. Sie bedauerte, dass sie und ihre Chefinnen am Donnerstag aus Platzgründen nicht mehr in die Vorträge zu Intoxikationen bei Kleintieren reinkamen. Aber insgesamt empfand sie den Kongressbesuch als eine tolle Erfahrung. Für Viky, Tierschutzhündin aus Kroatien, war es der erste, aber bestimmt nicht der letzte Kongress.

Von den Ausstellern planen 95 Prozent auch im Jahr 2026 auf der vetexpo vertreten zu sein und empfehlen die Veranstaltung weiter. „Der Leipziger Tierärztekongress ist für uns als Goldsponsor immer ein besonderes Event. Die Resonanz an unserem Messestand war überwältigend“, sagt Betina Prestel, Geschäftsführerin der Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH Deutschland und Vorsitzende des Bundesverbandes für Tiergesundheit. „Besonderes Interesse gab es an unserem neuen oralen Medikament für Katzen mit Diabetes, dass die Therapie revolutionieren wird. Auch auf der CAREER CORNER waren wir als Arbeitgeber präsent und konnten dort die nächste Generation der Tierärztinnen und Tierärzte kennenlernen. Kurzum, eine rundum gelungene Veranstaltung. Wir freuen uns schon auf den Leipziger Tierärztekongress 2026.“

Gleb Levin, der neben anderen Mitarbeitern den Stand von ESAVS (European School for Advanced Veteruinary Studies) betreute, zeigte sich hingegen ein wenig enttäuscht über das mangelnde Interesse der Tierärzteschaft. Er berichtete, dass zwar zahlreiche für ESAVS tätige Dozenten deutschstämmig seien, aber dass es deutlich weniger Teilnehmer an den ESAVS-Kursen aus Deutschland gäbe als aus vielen anderen Ländern.

Foto: © Sigrun Grombacher

„Als Unternehmen muss man hier einfach dabei sein. Auf keiner anderen Veranstaltung erreichen wir so viele Veterinärmediziner aller Altersgruppen – von Studierenden bis zu langjährig erfahrenen Tierärztinnen und Tierärzten für die verschiedensten Tierarten”, zog Tonja Grassmann, Leiterin Corporate Communications & Public Policy DACH der MSD Tiergesundheit ein durchweg positives Resümee. „Wir haben den Leipziger Tierärztekongress genutzt, um unseren neuesten Rinderimpfstoff gegen Kryptosporidien bei Kälbern vorzustellen und haben sehr positives Feedback erhalten. Für uns ist der Leipziger Tierärztekongress ein gesetzter Termin, denn hier trifft sich die deutsche Tierärzteschaft.” Wer vor Ort war, kann letzteres bestätigen. Es war ein bisschen, als würde die Tierärzteschaft die Silvesterparty nachholen und das neue Jahr in bester Stimmung gemeinsam mit Kollegen und Ausstellern begrüßen.

Herausforderung Tierärztemangel

Angesichts des aktuellen Rückgangs an niedergelassenen Tierärzten diskutierte das Berufspolitische Forum in mehreren Vorträgen, wie junge Tierärztinnen und Tierärzte dazu ermutigt werden könnten, sich selbstständig zu machen. „Wir möchten jungen Veterinärmedizinern zeigen, dass die Arbeit in der eigenen Praxis nicht nur Spaß macht, sondern sich auch finanziell lohnt. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine Niederlassung sind derzeit hervorragend, da eine kontinuierlich steigende Nachfrage nach tierärztlichen Leistungen besteht“, betont Dr. Uwe Hörügel, Präsident der Sächsischen Landestierärztekammer, die die Schirmherrin des 12. Leipziger Tierärztekongresses ist. Er erklärte außerdem, dass es unkomplizierte Finanzierungsmodelle gäbe, die den Erwerb und die Tilgung einer Praxis ohne Startkapital ermöglichten.

Die Zukunft im Visier

Auf die Tierärzte von morgen warten große Aufgaben. Dies wurde nicht zuletzt im Vortrag von Prof. Christina Strube von der Tiho Hannover deutlich, die über „Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Zeckenaktivität“ sprach. Sie betonte, dass ein ganzjähriger Zeckenschutz nicht nur den eigenen Vierbeiner schütze vor Dermacentor reticulatus & Co., sondern die gesamte einheimische Hundepopulation. Außerdem berichtete sie von einer Studie, in der Igel auf Ektoparasitenbefall untersucht wurden und mit 98,6 Prozent nahezu alle untersuchten Tiere von mindestens einer Ektoparasitenart befallen waren. Zwar sei die epidemiologische Bedeutung von Igeln als Reservoir von Krankheitserregern derzeit nicht bekannt, aber Borrelia spp. und Anaplasma phagocytophilum wurden in früheren Studien in Blut- und/oder Gewebeproben und Zecken von Igeln nachgewiesen. Auch empfahl sie in Tierheimen verschiedene Akarizide bei Hunden einzusetzen, um zukünftigen Resistenzen vorzubeugen.

Prof. Christina Strube, TiHo Hannover Foto: © SG

Dass Tierärzte eine feste Säule im Gesundheitsschutz von Mensch, Tier und Umwelt sind, klang auch in den Vorträgen von Prof. Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) an. Der Vortrag am Samstag beschäftigte sich mit der aktuellen Situation bei den anzeige- und meldepflichtigen virusbedingten Tierseuchen. Am Freitag zeigte er in einem kurzweiligen Überblick auf, was in der Infektionsdiagnostik heute alles möglich ist. Im Anschluss strapazierte Dr. Jens Böttcher vom Tiergesundheitsdienst Bayern die Lachmuskeln des Publikums mit seinem Vortrag „Die Rindersalmonellen-Verordnung: Ein überlebtes Relikt alten Rechts“. Mit seinem knorrigen norddeutschen Humor kann er jedem „Comedian“ das Wasser abgraben, so viel steht fest.

Prof. Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts Foto: © SG

Insgesamt kann man der auf dem Leipziger Tierärztekongress versammelten Tierärzteschaft, sowie der gesamten Branche, einen äußerst gesunden Humor und gute Resilienz bescheinigen in diesen nicht ganz einfachen Zeiten.

Der 13. Leipziger Tierärztekongress mit Fachmesse vetexpo findet vom 15. bis 17. Januar 2026 wieder zeitgleich zur PARTNER PFERD auf der Leipziger Messe statt.

(Text: sg/Leipziger Messe)