Erlanger Schlaganfall-Register feiert 30-jähriges Bestehen

Prof. Peter Kolominsky-Rabas, Gründer und wissenschaftlicher Leiter des Erlanger Schlaganfall-Registers. (Foto: Ilona Hörath/FAU)

Das Erlanger Schlaganfall-Register feiert sein 30-jähriges Bestehen. Seit seiner Gründung hat es sich nicht nur zum größten bevölkerungsbasierten Register in Deutschland entwickelt, es ist auch eines der weltweit ältesten wissenschaftlichen Register zur Versorgungsforschung über die Volkskrankheit Schlaganfall.

Seit 1994 erfasst das Forschungsteam der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) um den Neurologen Prof. Peter Kolominsky-Rabas Daten zu Epidemiologie, Krankheitsverlauf, Versorgung und Kosten des Schlaganfalls. Aufgrund des Alleinstellungsmerkmals wird das Erlanger Register seit 2000 vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) gefördert. Die Anschubfinanzierung erfolgte 1995 durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention.

„In Deutschland müssen wir anhand der epidemiologischen Berechnungen des Erlanger Schlaganfall-Registers von rund 270.000 neuen Schlaganfällen pro Jahr ausgehen. Rund 66.000 davon sind Schlaganfälle, die sich bei den Betroffenen wiederholt haben“, erklärt Kolominsky-Rabas, Gründer und wissenschaftlicher Leiter des Erlanger Schlaganfall-Registers. „Die Patientinnen und Patienten, die einen erstmaligen Schlaganfall erleiden, sind im Durchschnitt 75 Jahre alt. Mit der Alterung der Gesamtbevölkerung – Stichwort demographischer Wandel – wird sich die Zahl der neuen Schlaganfälle in den nächsten Jahrzehnten mehr als verdoppeln.“

Neuland betreten

Wie verbreitet ist Schlaganfall, wie verläuft die Erkrankung, wie hoch ist die Sterblichkeit und wie hoch sind die Behandlungskosten? Auf die Fragen nach den Auswirkungen, die ein Schlaganfall hat, gab es lange Jahrzehnte keine Antworten. Erst die Wissenschaftler der FAU haben – als erste in Deutschland – belastbare Zahlen vorgelegt. Damit haben sie vor 30 Jahren völliges Neuland betreten, denn bis zur Gründung des Erlanger Schlaganfall-Registers wurde eine derartige Forschung in Deutschland nicht betrieben.

Geburtsstunde des Erlanger Schlaganfall-Registers

Weshalb das Erlanger Schlaganfall-Register gegründet wurde, hat einen guten Grund. Krankenkassen stellten sich damals die Fragen: Wie viele Schlaganfall-Patienten müssen in Deutschland voraussichtlich versorgt werden? Wie viele dieser Patienten überleben und mit welchen Behinderungen? Denn danach richtete sich die Planung für die ersten Stroke Units in den Krankenhäusern, die ab 1994 entstanden. „Aussagekräftige Zahlen, die diese Fragen hätten zuverlässig beantworten können, gab es in dieser Zeit nicht“, erkärt Kolominsky-Rabas. „Dieser Zeitpunkt ist die Geburtsstunde des Erlanger Schlaganfall-Registers“, sagt der Neurologe rückblickend. Der Mediziner war zu dieser Zeit an der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen unter der damaligen Leitung von Prof. Bernhard Neundörfer tätig. Gemeinsam begannen sie, eigene Daten zu erheben und die bestehenden Lücken mit belastbaren Zahlen zu schließen.

Alleinstellungsmerkmal: Daten entlang der gesamten Versorgungskette

Was das Erlanger Schlaganfall-Register besonders macht, ist sein Alleinstellungsmerkmal. Ob ambulant oder stationär: Die Registerdaten werden entlang der gesamten Versorgungskette beginnend mit der Akutbehandlung auf der Stroke Unit, über die Rehabilitation, die Langzeitpflege bis hin zur hausärztlichen Betreuung erhoben. Ein besonderes Augenmerk der Forschenden gilt den erneuten Schlaganfällen sowie den möglichen Spätfolgen wie Depressionen, epileptischen Anfällen sowie Demenzerkrankungen. „Die freiwillige Datenspende der Erlanger Bürgerinnen und Bürger erlaubt so eine umfassende Versorgungsforschung zur Volkskrankheit Schlaganfall und hat die Berechnung der Krankheitskosten erst möglich gemacht.“

Eine Frage der Kosten

Erstmalig in Deutschland haben die Wissenschaftler des Erlanger Schlaganfall-Registers gemeinsam mit Prof. Oliver Schöffski vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Gesundheitsmanagement an der FAU die lebenslangen medizinischen Behandlungskosten nach einem einmaligen Hirninfarkt berechnet: Sie betragen rund 43.000 Euro pro Schlaganfallpatient. „Dies macht den Schlaganfall zu einer für die Gesundheitssysteme ‚teuersten‘ Erkrankungen“, urteilt Kolominsky-Rabas. Auch haben die Forschenden die Gesamtkosten der zukünftigen Versorgung von Schlaganfallpatienten in Deutschland hochrechnen können. „Bis 2040 wird die Anzahl der Schlaganfälle um 30 Prozent steigen. Damit unterstreichen unsere Zahlen den hohen gesundheitspolitischen Stellenwert der Volkskrankheit Schlaganfall und deren Auswirkungen für die sozialen Sicherungssysteme.“

Bislang 11.000 dokumentierte Fälle

Die Erfassung der akuten Schlaganfälle erfolgt in enger Kooperation mit der Neurologischen Klinik am Uniklinikum Erlangen unter der Leitung von Prof. Stefan Schwab. Seit der Gründung des Registers im April 1994 konnten so auf breiter Basis insgesamt 11.000 Fälle dokumentiert werden. „Wir erheben die Langzeitdaten aller Patienten innerhalb der Stadt Erlangen, bei denen ein Schlaganfall diagnostiziert wurde, und begleiten die Erkrankten vom ersten Tag der Erkrankung an über ihre ganze Lebenszeit hinweg“, erläutert Kolominsky-Rabas. Dazu gehört die Erhebung vielfältiger Daten: Benötigt der Patient zum Beispiel Hilfe beim Essen oder An- und Auskleiden, liegen zusätzlich zum Schlaganfall weitere Erkrankungen vor, bestehen Risiken wie zum Beispiel Übergewicht und Bluthochdruck oder fand eine ambulante Rehabilitation statt?

Künstliche Intelligenz hält Einzug

Noch mehr Vorteile für die Prävention, Diagnose und Behandlung von Schlaganfällen bieten die Registerdaten, wenn sie mit Künstlicher Intelligenz (KI) verbunden sind. Denn auch nach 30 Jahren entwickelt sich das Register weiter und hat zum Beispiel das Themenfeld KI für sich neu erschlossen. In der die Analyse großer und strukturierter Datenmengen erkennen KI-Algorithmen unterschiedliche Muster, die Fachleute womöglich nicht so leicht erkennen können. „Dank KI lassen sich Risikofaktoren sowie gezielte Maßnahmen zur Verhinderung von Schlaganfällen identifizieren“, erläutert Kolominsky-Rabas.

So wurden Registerdaten erstmals im Bereich des sogenannten Maschinellen Lernens eingesetzt – im Rahmen eines Projektes mit Siemens Healthineers. „Auf diese Weise ist es gelungen, ein Vorhersage-Modell zu entwickeln, um die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schlaganfalls abschätzen zu können.“

Wissenschaftliches Symposium zum Jubiläum

Anlässlich des Jubiläums „30 Jahre Erlanger Schlaganfall-Register“ findet am Donnerstag, 6. Juni, von 14.00 bis 17.30 Uhr ein wissenschaftliches Symposium mit nationalen und internationalen Fachexperten statt.